Mit seiner Forderung nach einem EU-Ausschluss Ungarns hat Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn für Verärgerung in Budapest gesorgt. Asselborn sei „belehrend, arrogant und frustriert“, konterte der ungarische Außenminister Peter Szijjarto am Dienstag. „Er hat sich schon längst selbst aus der Reihe der ernstzunehmenden Politiker ausgeschlossen“, sagte er nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur MTI in Budapest.
Luxemburg hat seit Beginn der Flüchtlingskrise erst einen Bruchteil der in der EU-Quote vereinbarten Zahl von Flüchtlingen aufgenommen. Die meisten Staaten der EU haben die durchaus umstrittene Quote, die zumindest ein Lösungsversuch gewesen wäre, stillschweigend unter den Tisch fallen lassen.
In einem Interview mit der Zeitung Die Welt hatte Asselborn zuvor erklärt: „Wer wie Ungarn Zäune gegen Kriegsflüchtlinge baut oder wer die Pressefreiheit und die Unabhängigkeit der Justiz verletzt, der sollte vorübergehend oder notfalls für immer aus der EU ausgeschlossen werden.“
Asselborn reagierte auf die Kritik an seiner Forderung. „Es geht nicht gegen ein Volk oder gegen ein Land“, sagt er der „Süddeutschen Zeitung“ (Mittwoch). Er sehe die EU in größter Gefahr. „Unsere Gründungsväter und -mütter haben gewusst, dass man die Gemeinschaft nicht nur auf Strukturen, sondern auch auf Werten aufbauen muss“, betonte er.
Es sei ihm mit seinen scharfen Worten um einen Weckruf vor dem Sondergipfel in Bratislava Ende der Woche gegangen: „Wir können nicht indifferent bleiben. Ich habe etwas gesagt gegen die Gleichgültigkeit. Es muss ein Ruck durch Europa gehen. Wir machen sonst alles kaputt.“
Die EU-Verträge sehen einen Ausschluss allerdings nicht vor. Sie erlauben nur, dass einem Land bei einer „schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung“ der Grundwerte der EU etwa das Stimmrecht entzogen werden kann.
Die EU-Kommission verfolgt die aufgeheizte Debatte mit wachsender Sorge und hat sich am Dienstag jedweder Stellungnahme enthalten.
Tatsächlich sind die Attacken gegen Orban unlogisch. Alle EU-Staaten haben stillschweigend davon profitiert, dass die Ungarn ihre Grenzen dichtgemacht haben. Orban sieht sich verpflichtet, den Schutz der Außengrenzen sicherzustellen - und arbeitet vergleichsweise pragmatisch mit den Nachbarländern zusammen. Kurz vor dem EU-Gipfel in Bratislava hat Orban mit seinem bulgarischen und serbischen Amtskollegen die Sicherung der EU-Außengrenzen besprochen. Im Mittelpunkt des Treffens der drei Regierungschefs stand am Dienstagabend in Burgas am Schwarzen Meer auch die Migrationskrise.
„Bulgarien trägt große Verantwortung als EU-Außengrenze zur Türkei“, sagte Bulgariens Ministerpräsident Boiko Borissow nach Informationen der Regierung. Ohne die gemeinsamen Bemühungen aller EU-Staaten werde es „keine umfassende und beständige Lösung“ in der Flüchtlingskrise geben, betonte Borissow.
Borissow rief zu einer gemeinsamen europäischen Lösung zur Bewältigung des Migrantenzustroms auf. „Wir stehen vor einer historischen Herausforderung für Europas Sicherheit“, warnte der bulgarische Regierungschef. Er verwies auf die Bedeutung des EU-Flüchtlingspakts mit der Türkei.
Orban wird am Mittwoch an der bulgarisch-türkischen Grenze vor Ort besichtigen, wie diese EU-Außengrenze unter anderem durch einen Drahtzaun geschützt wird. Bulgarien verlängert zurzeit die Schutzeinrichtung, um illegale Grenzübertritte von Migranten effektiver zu verhindern. Das EU-Land will die aus der Türkei kommenden Migranten zu den offiziellen Grenzübergängen lenken, wo sie registriert werden. Borissow lobte die Zusammenarbeit mit der Türkei gegen illegale Grenzübertritte.
Am 2. Oktober will Orban seine Politik durch eine Volksabstimmung bestätigen lassen.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier ging auf Distanz zu den Äußerungen seines persönlichen Freundes Asselborn. „Es ist jetzt nicht meine persönliche Haltung, einem europäischen Mitgliedsstaat die Tür zu weisen“, sagte er bei einem Besuch in Lettland. „Auf der anderen Seite kann ich verstehen, dass mit Blick auf Ungarn einige in Europa ungeduldig werden angesichts der fortdauernden Debatten zwischen der EU-Kommission und der ungarischen Regierung.“
Der lettische Außenminister Edgars Rinkevics bezeichnete Asselborns Vorschlag laut dpa als „Megaphon-Diplomatie“. „Diese Rhetorik hilft uns nicht.“ Litauens Außenminister Linas Linkevicius meinte ebenfalls: „So radikale Statements sind nicht immer hilfreich.“
Tatsächlich haben es sich die meisten Staaten vergleichsweisen bequem eingerichtet und überlassen das Problem, welches aus dem vom Westen mit betriebenen Krieg, dem Krieg im Irak und der Destabilisierung Libyens resultiert, den Staaten, die den Krisen am nächsten liegen. Italien fordert seit Monaten vergeblich eine Aufteilung der Flüchtlinge in Europa. Die Zahlen waren in Italien zuletzt deutlich gestiegen. In Griechenland leben die Flüchtlinge und Migranten unter menschenunwürdigen Bedingungen. Doch Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat erst vor wenigen Tagen vorgeschlagen, das Dublin-System wieder zu aktivieren, um Flüchtlinge und Migranten in das von der Euro-Krise schwer gezeichnete Griechenland abschieben zu können.