Politik

Draghi: Deutsche Sparer profitieren von niedrigen Zinsen der EZB

EZB-Chef Draghi hat eine ganz neue Sicht auf die Niedrigzinsen angeboten: Die deutschen Sparer profitieren demnach von der Abschaffung der Zinsen, weil die Wirtschaft belebt werde und man so Arbeitsplätze schaffen könne. Rein rechnerisch hat die EZB-Politik allerdings zu einer glatten Enteignung der Sparer geführt, deren Auswirkungen im Hinblick auf Lebensversicherungen und Altervorsorge noch nicht ansatzweise abzusehen sind.
28.09.2016 16:20
Lesezeit: 2 min

EZB-Chef Mario Draghi hat vor dem Europa-Ausschuss des Bundestages für seine in Deutschland umstrittene Nullzinspolitik geworben. Die EZB habe mit ihren Maßnahmen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze und einer besser laufenden Wirtschaft beigetragen, sagte der Italiener am Mittwoch laut Redetext vor den Abgeordneten. In Deutschland komme dies beispielsweise dem Exportgeschäft zugute. Von einer Erholung der Wirtschaft profitierten wiederum die Sparer. „Es liegt also in unser aller Interesse, auch dem der deutschen Sparer, ein möglichst starkes nachhaltiges Wachstum in Deutschland und im Euroraum zu erzielen“, sagte Draghi.

Tatsächlich haben die niedrigen Zinsen zwar die Aktienmärkte beflügelt, eine direkte Auswirkung auf den Arbeitsmarkt ist unbekannt: Frankreich, das einen solchen Impuls dringend gebrauchen könnte, meldete erst vor wenigen Tagen eine neue Rekord-Arbeitslosigkeit. 

Deutschland gehört vielmehr zu den größten Verlierern, denn die deutschen Sparer/Kreditnehmer mussten in den letzten fünf Jahren durchweg „Verluste“ in Kauf nehmen. Die „Verluste“ seit 2010 belaufen sich auf 281 Euro pro Kopf oder 22,8 Milliarden Euro insgesamt.

Nicht eingerechnet ist die Entwicklung bei der Altersvorsorge und den Lebensversicherern, die wegen der Niedrigzinsen fundamentale Schwierigkeiten mit ihrem Geschäftsmodell haben.

Für einen künftigen Anstieg der langfristigen Zinsen seien allerdings mehr Investitionen und Strukturreformen erforderlich – zur Steigerung von Wachstum und Produktivität. Zunächst müssten die Maßnahmen der EZB jedoch ihre volle Wirkung entfalten können. „Und dazu müssen andere Politikbereiche sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene wesentlich entschlossener beitragen“, sagte Draghi vor den Parlamentariern.

Unionspolitiker hatten diese Politik mehrfach heftig kritisiert, doch nach dem Eindruck des Grünen-Haushaltsexperten Sven-Christian Kindler gingen sie nicht hart mit Draghi ins Gericht: "CDU und CSU sind als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet." Der EZB-Chef habe den Ball zurecht an die nationalen Regierungen zurückgespielt, die mehr investieren müssten. SPD-Vize-Fraktionschef Carsten Schneider sagte, Draghi habe sich zur Wehr gesetzt gegen Attacken aus der deutschen Politik und darauf verwiesen, dass solche Angriffe nur dazu führen würden, dass die EZB noch mehr tun müsse.

Der Ausschuss-Vorsitzende Gunther Krichbaum (CDU) sagte, es habe im Ausschuss Zustimmung und Kritik gegeben. So sei angesprochen worden, dass der Kurs der EZB wie ein "verstecktes Rettungspaket" wirke, zu dem der Bundestag aber nie seine Zustimmung gegeben habe. Draghi habe dagegen die Notwendigkeit von Strukturreformen angesprochen, damit die EZB den Spielraum bekomme, aus ihrer expansiven Geldpolitik wieder auszusteigen.

Zugleich setzte Draghi sich vor der Presse gegen Vorwürfe des Branchenverbandes der privaten Geldhäuser in Deutschland zur Wehr, die Niedrigzinspolitik habe zu den Problemen der Deutschen Bank beigetragen. "Ich teile diese Sicht nicht", sagte er nach dem Auftritt vor dem Ausschuss. Deutsche Bank und Commerzbank befinden sich derzeit wegen niedriger Renditen zunehmend in Schwierigkeiten. Draghi lehnte eine Stellungnahme zu der Frage ab, ob das größte deutsche Finanzinstitut vom Staat aufgefangen werden könne. Das Bundesfinanzministerium hatte zuvor einen Bericht der Wochenzeitung "Die Zeit" dementiert, wonach bereits an einem Notfallplan für den Branchenprimus gearbeitet werde.

Eine Mitschuld der EZB an den Schwierigkeiten deutscher Banken wies Draghi generell zurück. Die Niedrigzinspolitik sei dafür nicht verantwortlich, sagte er nach Angaben von Teilnehmern. In seiner zuvor gemachten öffentlichen Erklärung betonte Draghi, dass die Banken ihre Geschäftsmodelle möglicherweise an das derzeitige Niedrigzinsmodell anpassen müssten. "Sie müssen aber auch ihre eigenen strukturellen Probleme angehen - etwa Überkapazitäten, den Bestand an notleidenden Krediten und die möglichen Auswirkungen technischer Innovationen", sagte Draghi.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Finanzen
Finanzen EU-Vermögensregister und Bargeldbeschränkungen: Risiko für Anleger

Das EU-Vermögensregister gehört derzeit zu den größten Risiken für Anleger. Daher ist es wichtig, sich jetzt zu überlegen, wie man...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Grünes Image unter Druck: EU plant strengere Regeln für Umweltwerbung
09.07.2025

Begriffe wie „klimaneutral“ oder „biologisch abbaubar“ begegnen Verbraucherinnen und Verbrauchern inzwischen fast überall – von...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutschlands 500-Milliarden-Euro-Infrastrukturplan: Eine Chance für europäische Bauunternehmen?
09.07.2025

Deutschland plant das größte Infrastrukturprogramm seiner Geschichte. Doch es fehlen Bauarbeiter. Können andere europäische Firmen und...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Kurs stabil trotzt Milliardenbewegung: Anleger bleiben dennoch vorsichtig
08.07.2025

80.000 Bitcoin aus der Satoshi-Ära wurden bewegt – doch der Bitcoin-Kurs blieb stabil. Was hinter dem Rätsel steckt, warum Investoren...

DWN
Politik
Politik Steinmeier drängt auf mehr gemeinsame Rüstungsprojekte in Europa
08.07.2025

Bei seinem Besuch in Lettland hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier für mehr Zusammenarbeit in der europäischen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Schwäche in China bremst Porsche: Absatz geht im ersten Halbjahr zurück
08.07.2025

Porsche muss im ersten Halbjahr 2025 einen spürbaren Rückgang beim Fahrzeugabsatz hinnehmen. Besonders in China läuft das Geschäft...

DWN
Politik
Politik Trump verspricht Raketen für die Ukraine – doch zu welchem Preis?
08.07.2025

Donald Trump kündigt neue Waffenlieferungen an die Ukraine an – obwohl er sich lange zurückhielt. Ein Signal der Stärke oder Teil...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Nvidia-Aktie auf Höhenflug: Wie realistisch ist das 250-Dollar-Ziel?
08.07.2025

Die Nvidia-Aktie eilt von Rekord zu Rekord – doch Analysten sehen noch Luft nach oben. Wie realistisch ist das Kursziel von 250 Dollar?...

DWN
Politik
Politik NATO-Chef erwartet Doppelangriff: China greift Taiwan an, Russland die NATO
08.07.2025

Ein gleichzeitiger Angriff Chinas auf Taiwan und Russlands auf die NATO – ausgerechnet NATO-Chef Mark Rutte hält dieses...