Politik

Razzia bei Predigern: Spannungen zwischen Deutschland und Türkei

Die deutschen Behörden haben Razzien gegen türkische Prediger durchgeführt. Nach dem Putschversuch wachsen die Spannungen zwischen Deutschland und der Türkei. Es ist unklar, ob die Aktion Auswirkungen auf Angela Merkels Flüchtlingsdeal mit Erdogan haben wird.
15.02.2017 12:24
Lesezeit: 2 min

Die Polizei durchsucht die Wohnungen von Geistlichen des türkischen Islamverbandes Ditib in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, die im Auftrag der Regierung Anhänger der Gülen-Bewegung ausspioniert haben sollen. Die deutschen Behörden verdächtigen sie, dass die Beschuldigten Informationen über Gülen-Anhänger gesammelt und sie an das türkische Generalkonsulat in Köln weitergegeben hätten, erklärte die Bundesanwaltschaft am Mittwoch in Karlsruhe. Die vier Beschuldigten hätten auf eine Aufforderung der türkischen Religionsbehörde Diyanet vom 20. September 2016 hin gehandelt.

Bundesjustizminister Heiko Maas forderte Ditib auf, die Vorwürfe unverzüglich und lückenlos aufzuklären. "Nichts rechtfertigt die Begehung von Straftaten", erklärte er. "Wer den Islam nur als Deckmantel für Spionage benutzt, kann sich nicht auf die Religionsfreiheit berufen." Ob Maas konkrete Fakten vorliegen hat, ist unklar.

Wenn sich der Spionageverdacht gegen einzelne Ditib-Imame bestätige, müsse sich die Organisation vorhalten lassen, zumindest in Teilen ein verlängerter Arm der türkischen Regierung zu sein, sagte Maas. "Grundsätzlich gilt: Der Einfluss des türkischen Staates auf die Ditib ist zu groß. Der Verband muss sich glaubhaft von Ankara lösen." Maas forderte Ditib zu einer Änderung der Satzung auf, die die Organisation eng an die türkische Religionsbehörde Diyanet binde. "Nur als unabhängiger deutscher Verband hat die Ditib eine Zukunft als verlässlicher Partner."

Ditib war in der Vergangenheit ein enger Ansprechpartner für die Politik in Deutschland. Zuletzt stellten jedoch einige Bundesländer die Zusammenarbeit infrage. Kritiker werfen Ditib eine zunehmend konservative, der türkischen Regierungspolitik entsprechende Haltung vor.

Die Bundesanwaltschaft erklärte, die Aufforderung von Diyanet zur Spionage sei verbunden gewesen mit der Feststellung, dass die Bewegung des in den USA im Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen für den Putschversuch in der Türkei im vergangenen Juli verantwortlich sei.

Die Deutschen verdächtigen die Ditib, ein Hort des türkischen Geheimdienstes MIT zu sein. Die Türken verdächtigen die CIA, hinter Gülen und dem Putsch zu stecken.

Wer hinter Gülen steckt ist unklar. Er lebt in Pennsylvania im Exil und wird von den USA nicht ausgeliefert, obwohl die Türkei dies mehrfach gefordert hatte.

Gegen die vier Geistlichen in Deutschland werde wegen des Verdachts auf geheimdienstliche Agententätigkeit ermittelt. Das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei ist wegen zahlreicher Differenzen gespannt. Die türkische Regierung hatte im Juli nur knapp einen Putsch-Versuch überstanden. Präsident Recep Tayyip Erdogan beklagte mehrfach, dass die EU ihm nach dem Putsch zu wenig Solidarität gezeigt hatte.

Erst vor wenigen Tagen haben mehrere türkische Nato-Offiziere um Asyl in Deutschland angesucht, weil sie der Beteiligung an dem Putsch bezichtigt werden. Die Nato hatte schon sehr früh festgestellt, dass sie nichts mit dem Putsch zu tun hat.

Die Spannungen könnten auch zum Problem für Angela Merkel werden: Die Kanzlerin hat mit dem türkischen Präsidenten Erdogan einen Deal geschlossen, wonach die Türkei der EU die Flüchtlinge aus Syrien fernhält. Bisher hat sich die Türkei an die Vereinbarungen gehalten. Erdogan beklagt jedoch, dass die EU ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen ist. Er hat bereits mehrfach gedroht, den Deal einseitig zu beenden und die Grenzen für Flüchtlinge und Migranten zu öffnen.

Die EU-Außengrenzen sind nach Aussage des österreichischen Innenminister nicht ansatzweise geschützt. Die EU könnte daher aus eigenen Kräften eine neue Flüchtlingsbewegung vermutlich nicht stoppen.

Erst vor wenigen Tagen war Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Türkei zu Besuch. Es wurde bisher nicht bekannt, welche konkreten Ergebnisse ihre Unterredungen mit Erdogan erbracht haben.

Die Ditib gilt als mit Abstand größte muslimische Organisation in Deutschland. Sie vertritt als Dachverband nach eigenen Angaben über 70 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime in 900 Gemeinden. Die "Diyanet Isleri Türk Islam Birligi" (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion) bekennt sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und ist laut ihrer Homepage überparteilich. Die Ditib ist eng mit der Religionsbehörde in Ankara verbunden und wurde auf deren Initiative gegründet, um für türkische Migranten in Deutschland einen laizistisch geprägten Islam zu etablieren. Die Ditib ist stark vom türkischen Staat abhängig, da dessen Religionsbehörde die Ditib-Imame auswählt und sie auch bezahlt.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Unternehmen
Unternehmen Daimler-Sparprogramm: Was plant Daimler Truck in Deutschland?
09.05.2025

Der Nutzfahrzeughersteller Daimler Truck strebt an, seine Wettbewerbsfähigkeit in Europa zu erhöhen und hat sich mit dem...

DWN
Panorama
Panorama Endlos-Hitze droht im Sommer: Wetterextreme betreffen jüngere Generationen erheblich stärker
09.05.2025

Endlos-Hitze droht im Sommer - diese Schlagzeile geistert an diesem Freitag durch die Medien. Klar ist, dass die Folgen der globalen...

DWN
Technologie
Technologie Datenfalle USA: Warum viele Unternehmen in Gefahr sind - ohne es zu merken
09.05.2025

Viele Unternehmen übertragen täglich Daten in die USA – und merken nicht, dass sie damit in eine rechtliche Falle tappen könnten. Das...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Chinas Exporte überraschen - Fokus auf die USA
09.05.2025

Trotz des anhaltenden Handelskonflikts mit den Vereinigten Staaten sind Chinas Exporte überraschend robust geblieben. Der Außenhandel mit...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Reiche fordert den Ausbau von Gaskraftwerken in Deutschland
09.05.2025

Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche setzt auf einen schnellen Ausbau von Gaskraftwerken in Deutschland. Die Gründe dafür...

DWN
Politik
Politik Putins Parade: Moskau feiert "Tag des Sieges" – Europas Spaltung auf dem Roten Platz sichtbar
09.05.2025

Während Putin mit Pomp den „Tag des Sieges“ feiert, marschieren zwei europäische Regierungschefs an seiner Seite – trotz Warnungen...

DWN
Panorama
Panorama Der stille Anti-Trump? Internationale Reaktionen auf Papst Leo XIV.
09.05.2025

Mit der Wahl von Robert Francis Prevost zum neuen Oberhaupt der katholischen Kirche übernimmt erstmals ein Amerikaner das Papstamt. Welche...

DWN
Finanzen
Finanzen Allianz-Aktie nach Dividendenabschlag im Minus – Chance für Anleger?
09.05.2025

Die Allianz-Aktie zählt 2025 zu den Top-Performern im DAX – doch am Freitagmorgen sorgt ein deutlicher Kursrückgang für Stirnrunzeln...