Politik

In Algerien droht ein verdeckter Krieg zwischen den USA und Russland

In Algerien droht ein neuer Stellvertreter-Krieg zwischen Ost und West. Die Regierung muss auf der Hut sein. Für Europa hätten instabile Verhältnisse in Algerien gravierende Auswirkungen, weil dann mit einer neuerlichen Flüchtlingsbewegung Richtung Europa zu rechnen ist.
19.02.2017 23:52
Lesezeit: 6 min

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Update: (20.2., 17.00): Bundeskanzlerin Angela Merkel hätte am Montag für einen zweitägigen Besuch nach Algerien fliegen sollen. Dort wollte sie am Montagabend mit Ministerpräsident Abdelmalek Sellal unter anderem über Migrationspolitik und die Sicherheitslage in Nordafrika sprechen. Der Besuch wurde jedoch überraschend abgesagt.

Die EU versucht, Flüchtlinge und Migranten in Nordafrika zu halten, was insbesondere im Jahr der Bundestagswahl von großer Bedeutung ist. So wurde mit Libyen ein Deal vereinbart, der allerdings aus Sicht der Menschenrechte in Skandal ist, weil die Sicherheit und Unversehrtheit der Flüchtlinge und Migranten in Libyen nicht ansatzweise sichergestellt werden kann. Das Land ist nach einer westlichen Militärintervention in die Anarchie gestürzt. Russen und Amerikaner versuchen, sich vor der Haustür Europas einen Stützpunkt zu sichern. Dabei geht es vor allem um die Erdölvorkommen in Libyen.

Auch in Algerien ist die Sicherheitslage entgegen dem ersten Anschein alles andere als stabil.

Die Bedrohungen, denen Algerien derzeit ausgesetzt ist, kommen aus den Nachbarländern, so der private US-Informationsdienst Stratfor. Die militanten Islamisten sind seit dem algerischen Bürgerkrieg in die Nachbarländer vertrieben wurden. Stratfor beschreibt die Entwicklung in einer Analyse: „Sie (Anm.d.Red. die Islamisten) nahmen Zuflucht in den umliegenden Staaten wie Mali, Mauretanien und Niger. Als der ehemalige libysche Staatschef Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 fiel, erhielten die Gruppen einen Zugang zu Waffen und Häfen in bisher nie gekanntem Ausmaß.“

Im Jahr 2013 wurden die Folgen ihres Aufstiegs deutlich und die algerische Regierung erkannte die Gefahr. Denn die islamistische Mulathameen-Brigade führte einen Angriff auf die Tigantourine Erdgas-Anlage in der Nähe von Ain Amenas aus. Der Vorfall löste eine beispiellose Debatte darüber aus, ob Algerien in anderen Ländern militärisch eingreifen sollte, um die Risiken abzuschwächen, die in der Sahel-Zone vorherrschen.

Die Mulathameen-Brigade wurde im Jahr 2012 vom Algerier Mokhtar Belmokhtar gegründet. Er gilt als Afghanistan-Veteran, der im Jahr 1991 nach Afghanistan reiste, um dort mit den „Mudschahedin“ gegen die Sowjetunion zu kämpfen. Später schloss er sich Al-Qaida an und wurde Kommandeur innerhalb der Organisation Al-Qaida im islamischen Maghreb (AQIM). Im Juni 2015 meldete die libysche Regierung, dass Belmokhtar bei einem US-Luftschlag getötet wurde. Der Top-Islamist war zudem einer der wichtigsten Schmuggler im Maghreb. Er soll Drogen, Zigaretten, Diamanten und gestohlene Autos geschmuggelt haben und betätigte sich als Schlepper. Über die Einnahmen soll er die Aktivitäten seiner und weiterer islamistischer Gruppen finanziert haben. Insbesondere der Zigaretten-Schmuggel führte dazu, dass er „Mr. Marlboro“ genannt wurde, berichtet der Guardian.

Algerien hat bisher darauf gesetzt, seine Grenzen mit zusätzlichen Soldaten und Paramilitärs zu sichern, um das Einsickern von Islamisten aus den Nachbarländern zu verhindern. Die 5.955 Kilometer lange Grenze Algeriens zu Mauretanien, Mali, Niger und Libyen wurde mit Soldaten – nicht mit Polizeieinheiten – dicht gemacht. Um Einfälle aus der Wüste zu verhindern, hat die algerische Armee 20 Überwachungsstationen an der südlichen Grenze installiert. Dazu zählten auch Drohnen und eine High-Tech-Überwachungstechnologie.

Doch die Präventions-Maßnahmen haben nicht gegriffen. Es zeigte sich, dass eine lückenlose Sicherung der algerischen Grenze nahezu unmöglich ist. Waffentransporte und Menschen können über den Süden und den Osten nach wie vor nach Algerien gelangen.

Seit seiner Unabhängigkeit hat Algerien seine militärische Stärke erweitert. Im Jahr 2009 übertraf es Südafrika als größten Rüstungsmarkt des Kontinents. Vier Jahre später wurde Algerien das erste Land, das jährlich mehr als zehn Milliarden Dollar für sein Militär ausgab. Algerien hat eines der größten Militärs der Region und bezieht seine Ausrüstung vor allem aus Russland, so Stratfor.

Alleine in den Jahren 2005 und 2006 hatte Algerien russische Rüstungsgüter im Wert von 7,5 Milliarden Dollar gekauft, schreibt der türkisch-tatarische Analyst Ilyas Kemaloğlu von der türkischen Denkfabrik ORSAM in einer Analyse. Im Gegenzug erklärte sich Moskau bereit, Algeriens Schulden in Höhe von 4,7 Milliarden Dollar zu streichen. Mit dieser Praxis versucht Russland, den einst sowjetischen Rüstungsmarkt unter Kontrolle zu halten und bisher ist die Regierung in Moskau erfolgreich gewesen. Im Jahr 2011 erfolgten 15 Prozent aller russischen Rüstungsexporte nach Algerien. Einer der Gründe für die massiven Waffenkäufe Algeriens liegt im Arabischen Frühling. Im Herbst 2011 hatten sich Algier und Moskau auf einen Waffen-Deal zur Lieferung von 120 Panzern der russischen Klasse T-90 geeinigt. Der Wert dieses Deals betrug 50 Millionen Dollar. Ein Jahr zuvor hatte Algerien von Russland bereits 185 Panzer der Klasse T-90 erhalten. Darüber hinaus hat Algerien unter anderem das Panzir-S1-Flugabwehrsystem, Kampfjets der Klassen SU-30 MK 2 und SU-30 MKA, Helikopter der Klassen Yak-130 und Mi-24 A und mit Dieselmotoren betrieben U-Boote von Russland gekauft. Bei allen Deals fiel auf, dass die Regierung in Algier einen großen Wert darauf legte, die neueste russische Technologie zu erwerben. Die erworbenen russischen Technologien sind derart vielfältig, dass Algerien bei anstehenden Modernisierungen oder Reparaturen vollständig auf die russischen Rüstungskonzerne angewiesen sein wird, so Kemaloğlu.

Der britische Autor Stephen Pollard schreibt in einem Beitrag für den Spectator, dass der algerische Präsident Abdelaziz Bouteflika schwerkrank sei und womöglich bald sterben könnte, was für Algerien gefährlich, aber vor allem für die EU noch gefährlicher wäre. Pollard meint: „Wenn Bouteflika geht, wird Algerien wahrscheinlich implodieren. Die Islamisten, die durch seine eiserne Hand in Schach gehalten wurden, werden das Vakuum nutzen. Die Spannungen, die seit dem Ende des Bürgerkriegs begraben wurden, werden wieder an die Oberfläche kommen. Und dann könnte Europa durch eine andere große Welle von Flüchtlingen aus Nordafrika überwältigt werden (…) Erst vor 24 Jahren sind 150.000 in einem algerischen Bürgerkrieg zwischen den Islamisten und dem Staat gestorben. Dieses Mal wird es weit blutiger sein, nicht zuletzt wegen der Entwicklung des bewaffneten Islamismus in den letzten paar Jahren (…) Ein algerischer Bürgerkrieg würde eine große Zahl von Flüchtlingen schaffen. Ein Analyst sagte mir, er erwarte, dass 10 bis 15 Millionen Algerier versuchen werden, das Land zu verlassen. In Anbetracht der Geschichte, würden sie erwarten, von einer Nation aufgenommen zu werden: Frankreich.“

Die Auswirkungen eines „algerischen Exodus“ würde, so Pollard, die Auswirkungen der syrischen Flüchtlings-Krise innerhalb der EU in den Schatten stellen.

Dalia Ghanem-Yazbeck vom Carnegie Middle East Center widerspricht dieser Analyse. Sie schreibt in einem Artikel: „Bouteflikas Tod wird höchstwahrscheinlich nicht zum Zusammenbruch des algerischen Staats führen (…) Das Militär, mit seiner Fähigkeit kohäsiv zu handeln und Stabilität sicherzustellen, wird die Gewalt in Schach halten. Darüber hinaus werden Millionen von Algeriern, die die extreme Grausamkeit des ,schwarzen Jahrzehnts“ der 1990er Jahre (Anm.d.Red. der Bürgerkrieg) ablehnen, dies auch weiterhin tun. Diese Gegebenheiten sollten einkalkuliert werden, bevor das Schlimmste angenommen wird.“

Doch die Regierung in Algier ist tatsächlich besorgt um die Stabilität im Land. Alle Imame des Landes hatten in der vergangenen Woche vom Ministerium für religiöse Angelegenheiten die Anweisung erhalten, während ihrer Freitagspredigten die Bedeutung von Stabilität und Sicherheit im Land hervorzuheben, berichtet Asharq al-Awsat. Es sei eine religiöse Pflicht aller Bürger diese Sicherheit und Stabilität zu wahren, predigten sie. Premier Abdelmalek Sellal sagte, dass jegliche Bestrebungen, Algerien zu destabilisieren, scheitern werden. Die Regierung befürchtet eine Neuauflage des Arabischen Frühlings, die zu Zuständen wie in Syrien und Libyen führen könnte.

Im April finden in Algerien Parlamentswahlen statt. Drei führende islamistische Parteien - El Binaa, die Front für Gerechtigkeit und Entwicklung (FJD) und Ennahda meldeten im Dezember, dass sie sich angesichts der Wahlen zu einer „strategischen Allianz“ zusammenfinden wollen. Der Politologe Rachid Grine sagte der Nachrichtenagentur AFP, dass die islamistischen Parteien seit der Machtübernahme Bouteflikas im Jahr 1999 fast ausgelöscht wurden. „Doch wenn die Wahlen ehrlich ablaufen, werden die Islamisten (…) zu den Gewinnern zählen“, so Grine.

Das American Enterprise Institute (AEI) berichtet, dass am 26. Januar der neue AQIM-Führer Abdelmalek Droukdel die Algerier dazu aufgerufen hat, sich dem „Heiligen Krieg“ gegen den 79-jährigen Präsidenten Bouteflika anzuschließen. Das AEI wörtlich: „Wenn Algerien, das größte Land in Afrika, fällt, wäre das ein Preisgewinn für Al-Qaida. Westliche Politiker sorgen sich bereits über islamistische Gruppen im Nachbarland Libyen. Ein Umsturz in Algerien würde das Problem verschlimmern. Die Gruppe (Anm.d.Red. AQIM) könnte Algerien als sicheren Hafen nutzen, um den US-Verbündeten Marokko und die junge Demokratie in Tunesien anzugreifen. Es würde der extremistischen Gruppe einen Halt geben, um nicht nur die Sahel-Zone und Afrika südlich der Sahara, sondern auch das Mittelmeer zu destabilisieren. Al-Qaida könnte durch seine Kontrolle von Teilen Algeriens die Wirtschaft der EU lähmen, da das Land die zweitgrößte externe Erdgas-Quelle der EU ist.“

Die Staaten in Nordafrika nehmen aus Sicht der Bundesregierung eine zentrale Rolle in dem Bemühen ein, die Flüchtlingsbewegungen nach Europa einzudämmen. Im Oktober stattete Merkel bereits Niger und Mali einen Besuch ab. Die beiden Länder sind bedeutende Transitstaaten für Flüchtlinge, zehntausende Migranten durchqueren sie jährlich Richtung Norden.

Mali, Niger und ganz besonders das am Mittelmeer liegende Libyen haben aber nur schwache Regierungen, die die Landesgrenzen und das Territorium ihrer Staaten nur teilweise kontrollieren. Das ist in dem an die drei Staaten grenzenden Algerien anders. Der Maghreb-Staat gilt der Bundesregierung als wichtiger Partner im Kampf gegen Schleuser und Terroristen sowie im Bemühen um Stabilität und Sicherheit in der Region.

Um die Zahl der Migranten zu verringern, die sich über das Mittelmeer auf den Weg nach Europa machen, strebt die Bundesregierung nach dem Vorbild des EU-Flüchtlingsabkommens mit der Türkei enge Partnerschaften mit den Maghreb-Staaten sowie mit Ägypten an. Kritiker sehen darin einen Versuch, Flüchtlingen das Recht auf einen Asylantrag in Europa verwehren zu wollen.

Die Bundesregierung fordert von den Maghreb-Staaten Algerien, Marokko und Tunesien zudem, dass sie ihre Staatsbürger schnell und unkompliziert zurücknehmen, wenn ihnen in Deutschland Asyl verweigert wurde. Am Dienstag hatte Merkel bereits den tunesischen Ministerpräsidenten Youssef Chahed in Berlin empfangen. Im Anschluss kündigte sie an, die Rückführung abgelehnter tunesischer Asylbewerber beschleunigen zu wollen. Dies könne freiwillig durch finanzielle Anreize oder aber durch Abschiebungen geschehen.

Dieses Anliegen der Bundesregierung dürfte auch bei dem Besuch Merkels in Algier zur Sprache kommen. Nach dem Gespräch mit Regierungschef Sellal ist am Dienstag auch ein Treffen mit Präsident Abdelaziz Bouteflika geplant. Die Kanzlerin will zudem Vertreter der Zivilgesellschaft treffen und eine Mädchenschule besuchen, an der Deutsch unterrichtet wird. Zudem soll Merkel am Dienstag gemeinsam mit Sellal die 6. Deutsch-Algerische Gemischte Wirtschaftskommission eröffnen.

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