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Im Ringen um den künftigen Sitz der bislang in London ansässigen EU-Bankenaufsicht EBA pocht Luxemburg auf den Zuschlag. Luxemburg sei bereits ein bedeutender Finanzstandort und Sitz von EU-Finanzinstitutionen wie der Europäischen Investitionsbank (EIB) oder des Euro-Rettungsfonds ESM, schrieb der luxemburgische Premierminister Xavier Bettel in einem Brief an EU-Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Zudem habe das Großherzogtum einen Rechtsanspruch darauf, dass die Behörde in Luxemburg angesiedelt werde, sagte eine Regierungssprecherin. Sie verwies auf eine Vereinbarung von 1965, Finanzinstitutionen in Luxemburg anzusiedeln. Die Entscheidung die Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt und die EBA in London zu beheimaten, sei eine Ausnahme gewesen. "Wir wollen, das die Entscheidung von 1965 diesmal respektiert wird", sagte die Sprecherin.
Nach dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union (EU) muss die EBA in ein EU-Land umziehen. Inzwischen bewerben sich alle verbleibenden 27 EU-Mitgliedsstaaten um den Sitz der Bankenaufsicht, wie eine Sprecherin der EU-Kommission sagte. Das gelte auch für die ebenfalls in London ansässige Arzneimittelaufsicht EMA.
Der hessische Finanzminister Thomas Schäfer warb am Donnerstag in London für eine Ansiedlung der Behörde in Frankfurt. Er verwies darauf, dass die Europäische Kommission eine Zusammenlegung der EBA mit der bereits in Frankfurt ansässigen Versicherungsaufsicht EIOPA vorgeschlagen hat. Die Behörde legt mit ihren 159 Beschäftigten die Bankenregeln für die EU fest und überwacht diese. Die Entscheidung über den künftigen Sitz treffen letztendlich die EU-Staaten.
Luxemburg diente in der Vergangenheit als Steueroase für Großkonzerne. Vieles spricht dafür, dass dies auch in Zukunft so sein wird. Dies könnte vor allem für die Finanzindustrie interessant sein, die nach dem Brexit auf den Kontinent wechseln will. Amsterdam hätte den Vorteil einer höheren Lebensqualität - doch die Diskretion und die niedrigen Steuern in Luxemburg machen das Großherzogtum zu einer attraktiven Alternative.
Das Großherzogtum Luxemburg zählt weltweit zu den attraktivsten Standorten für Finanzdienstleister und multinationale Großkonzerne und ist nach den USA wahrscheinlich das weltweit zweitgrößte Investitionszentrum. Ende 2014 kam im Zuge der sogenannten „Luxemburg-Leaks“-Affäre heraus, dass hunderte Unternehmen ihre Tochterfirmen in Luxemburg über Jahre dazu benutzt hatten, Steuerzahlungen in ihren Herkunftsländern zu vermeiden. In Luxemburg mussten sie dagegen Gewinnsteuern bezahlen, die oftmals deutlich weniger als 1 Prozent betrugen. Sie nutzten dazu Tochterfirmen, die im Prinzip selbst keinen Umsatz machten, und verlagerten ihre Gewinne aus anderen EU-Staaten auf sie. Zu den Konzernen gehörten unter anderem Apple, Amazon, Ikea und die Deutsche Bank.
Bemerkenswert ist, dass die Anzahl solcher Steuerverträge in Luxemburg seit Bekanntwerden des Skandals nicht etwa sank, sondern weiter angestiegen ist, berichtete der Tagesspiegel im Dezember 2016. „Zuletzt ist die Zahl dieser geheimen Steuerdeals in der Europäischen Union drastisch angestiegen, wie ein am Mittwoch veröffentlichter Bericht des Netzwerks Eurodad zeigt: Von 547 im Jahr 2013 sei die Zahl kontinuierlich auf 1444 Deals bis Ende 2015 angestiegen. Im Steuerparadies Luxemburg hat sich die Zahl sogar mehr als vervierfacht (von 113 auf 519 Deals)“, schreibt der Tagesspiegel.
Neben Luxemburg haben noch mehrere andere Staaten Gesetze, die von Konzernen zur Steuervermeidung benutzt werden. Dazu gehört auch Großbritannien, das mit den Kanalinseln Jersey und Guernsey bedeutende Steueroasen unterhält – die übrigens Besitzungen der Krone sind. Auch die Niederlande gehören in diese Reihe. Das Land bietet dem Tagesspiegel zufolge 17 verschiedene Gesetze zur Steuervermeidung. Beobachter schätzen, dass bis zu 90 Prozent der Investitionen in den Niederlanden und Luxemburg über Briefkastenfirmen abgewickelt werden. Auch Irland gilt als Steueroase und befindet sich derzeit mit der EU-Kommission im Streit, weil die Regierungen unter anderem dem US-amerikanischen Großkonzern Apple jahrelang winzige Steuersätze gewährten. Apple hat seit 2003 elf Jahre lang auf alle Gewinne in Europa höchstens ein Prozent Steuern im Jahr gezahlt. 2014 waren es angeblich sogar nur 0,005 Prozent.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker steht unter Druck, weil er damals als Luxemburger Regierungschef und Finanzminister in verantwortlicher Position war. Der Untersuchungsausschuss zu Steuervermeidung und Steuerflucht des EU-Parlaments will Juncker deshalb befragen. Die Abgeordneten interessiert demnach vor allem der Ausbau Luxemburgs „zu einem internationalen Steuerparadies für ausländische Großkonzerne“. Die Kommission erklärte, Juncker habe nichts dagegen, ins Parlament zu kommen. Der Präsident sei „immer bereit, sich mit dem Europaparlament einzulassen und ihm die bahnbrechende Arbeit der Juncker-Kommission gegen Steuerflucht und Steuervermeidung zu erläutern", teilte ein Sprecher auf AFP-Anfrage mit. Einen Termin nannte er nicht.
Die Abgeordneten seien verärgert, dass ihnen viele relevante Steuerunterlagen durch den Europäischen Rat und die EU-Kommission vorenthalten werden, berichtete der Spiegel. Aus vertraulichen Protokollen der Arbeitsgruppe Steuern des Rates gehe hervor, dass Luxemburg zusammen mit anderen Ländern in den internen Sitzungen nach wie vor viele Fortschritte bei der Bekämpfung aggressiver Steuermodelle behindere. Es sei „schon beeindruckend, wie diese Mitgliedstaaten sich nach außen hin als Befürworter“ des Prozesses innerhalb der OECD gegen Gewinnverlagerung darstellten „und nach innen – im Schutze der Vertraulichkeit der EU-Verhandlungen – tatsächlich agieren", zitierte das Magazin aus einem Protokoll des Auswärtigen Amtes.
Im November 2016 hatten sich die EU-Finanzminister auf grobe Kriterien für eine Schwarze Liste der EU zur Steuerhinterziehung geeinigt. Darauf aufbauend hat die nicht-öffentlich tagende Ratsgruppe „Verhaltenskodex Unternehmensbesteuerung” 92 Länder ausgewählt, die genauer untersucht werden sollen. Auch die USA werden analysiert, EU-Mitgliedsländer werden nicht überprüft. Der Europaabgeordnete Sven Giegold kritisiert die Entscheidung scharf. „Es ist absurd, dass die EU eine Schwarze Liste im Dunkeln erstellt. Die Ratsarbeitsgruppe Verhaltenskodex Unternehmenssteuern tagt nicht-öffentlich und kann hier nur einstimmig Entscheidungen treffen. Seit ihrer Gründung 1998 hat sie es nicht geschafft, schädliche Steuerpraktiken innerhalb der EU effektiv zu bekämpfen. Es ist ein schlechter Witz, dass ausgerechnet diese Gruppe nun die EU-Liste der Steueroasen erstellen soll. Steuertransparenz beginnt im eigenen Vorgarten. Es ist ein Schlag ins Gesicht aller ehrlichen europäischen Steuerzahler, dass Großbritannien, Irland und Luxemburg eine echte Schwarze Liste mit harten Kriterien blockieren. Die von den Mitgliedstaaten diskutierten Kriterien der Schwarze Liste sind deutlich schwächer als von der Kommission vorgeschlagen. Insbesondere Großbritannien versucht, seine Territorien Jersey und Guernsey zu schützen, bevor es die EU verlässt“, schreibt Giegold auf seiner Homepage.
Derweil schafft es Luxemburg, neue Kundschaft anzuziehen. Der US-Versicherer AIG will sich im Großherzogtum für den anstehenden Austritt Großbritanniens aus der EU ein Standbein im Einheitlichen Markt sichern, berichtet Reuters. Die Pläne sollen bei grünem Licht der Aufsicht Anfang 2019 abgeschlossen sein. „Mit diesem entscheidenden Schritt wird sichergestellt, dass sich die AIG positioniert – welche Form der Brexit auch immer annehmen sollte“, sagte der Europa-Chef des Konzerns, Anthony Baldwin. AIG werde seine europäische Zentrale in London beibehalten, fügte der Versicherer hinzu.
Auch große Vermögensverwalter planen offenbar einen Umzug. Aufgrund des Austritts werde zu Stellenstreichungen bei britischen Vermögensverwaltern kommen, wird der Chefanalyst der Beratungsgesellschaft Create Research zitiert. Ein anonymer Mitarbeiter eines großen Fondsverwalters sagte, es würden Stellen nach Luxemburg verlagert. „Wir werden unsere Konzernzentrale nicht verschieben, aber wir müssen uns überlegen, wie wir Mitarbeiter in Luxemburg finden können.“