Politik

Austritt Großbritanniens: Der Fluglärm in Europa wird zunehmen

Lesezeit: 4 min
17.04.2017 01:36
Der Fluglärm in Europa wird wegen des Austritt Großbritanniens aus der EU zunehmen. (Artikel nur für Abonnenten zugänglich)
Austritt Großbritanniens: Der Fluglärm in Europa wird zunehmen

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Eine der Maßnahmen, die gegen die drohende Isolation von der Londoner Regierung ergriffen werden, ist der Ausbau des Flughafens Heathrow durch die Errichtung einer dritten Piste. Dieses seit zehn Jahren durch Anrainer und Umweltschützer bekämpfte Projekt werde, so Verkehrsminister Chris Grayling, „die Verbindungen mit dem Rest der Welt steigern“. Er sagte „boost“. Den protestierenden Bürgern beschied der Politiker, dass die Realisierung Jahre benötige und bis zur Eröffnung die Industrie ohnehin leisere Flugzeuge herstellen werde.

Maßnahmen gegen den Fluglärm sollen die Mitgliedstaaten ergreifen

Einer der größten Widersprüche in der EU-Politik ist der Umgang mit dem Fluglärm: Das Thema wurde im „Sinne der Subsidiarität“ zur Ländersache erklärt. Diese Entscheidung ist besonders grotesk, da kein Land allein die Landung lauter Flugzeuge verbieten kann, ohne dass die Nachbarländer profitieren. Somit wäre nur eine EU-weite Regelung sinnvoll, die zudem, angesichts der Größe der Gemeinschaft, für den gesamten Flugverkehr der Welt wirken würde.

Die EU-Kommission wollte eine Regelung vornehmen. Diese Initiative wurde von den Mitgliedstaaten im EU-Parlament und im EU-Rat blockiert. Die Kommission bestimmt daher, welche Staubsauger und welche Glühlampen verwendet werden dürfen, reguliert Bauernhöfe, Banken und Versicherungen, aber nicht den Fluglärm.

Man bekämpft die Flughäfen und nicht die Flugzeuge

Zuletzt hat sich das EU-Parlament im April 2014 mit dieser Frage befasst und eine Verordnung beschlossen, die „lokalen Behörden auch weiterhin ermöglicht, über lokale Lärmschutzmaßnahmen zu entscheiden“. In verständliche Sprache übersetzt bedeutet dieser Satz, dass man die Flughäfen und nicht die Flugzeuge mit Vorschriften belegt. Womit genau nicht die eigentlichen Verursacher des Lärms im Fokus der Politik stehen. In einzelnen Mitgliedstaaten gibt es daher Gesetze und Auflagen, die aber nur eine beschränkte Wirkung haben. Auf internationaler Ebene werden zaghaft Standards formuliert, die die schlimmsten Lärmerzeuger in Frage stellen.

Wie die Politik nicht die lauten Flugzeuge, sondern die Flughäfen bekämpft, so richten sich auch die Proteste der betroffenen Bürger gegen den Betrieb der bestehenden Flughäfen und gegen den Bau neuer Pisten. Die nicht selten erfolgreiche Verhinderung oder zumindest Verzögerung des Baus neuer Pisten bewirkt die paradoxe Folge, dass viele Flugzeuge in Warteräumen lange kreisen, länger Lärm verursachen und zusätzliche Abgase produzieren. Manche Umweltschützer meinen, dass die Behinderung des Flugverkehrs dazu dienen würde, den Menschen das Fliegen zu verleiden. Die Realität sieht anders aus.

2016 waren 3,7 Milliarden Passagiere unterwegs

Der Flugverkehr nimmt dramatisch zu: 2016 wurden über 40 Millionen Flüge gezählt. 3,7 Milliarden Passagiere sind jährlich unterwegs – zum Vergleich: Die Weltbevölkerung zählt derzeit 7,5 Milliarden Personen. 3,7 Milliarden sind eine gigantische Zahl, auch, wenn man berücksichtigt, dass durch Personen, die oft fliegen, Mehrfachzählungen zustande kommen und das Bild verfälschen. Die Steigerungsraten des Flugverkehrs lagen im vergangenen Jahrzehnt bei jährlich 5,5 Prozent, zuletzt wurde eine Zunahme um über 7 Prozent verzeichnet. Airbus schätzt, dass in den kommenden zwanzig Jahren etwa 32.600 neue Flugzeuge benötigt werden, die Prognose von Boeing geht sogar von mehr als 38.000 Maschinen aus.

Und nun kommt der Brexit ins Spiel. Derzeit leiden geschätzt bereits 39 Prozent der EU-Bürger unter dem Fluglärm. Angesichts der Entwicklung wird die Zahl stark ansteigen und folglich der Druck auf die Politik zunehmen. Letztlich wird man sich der Forderung nach einer EU-weiten Regelung nicht entziehen können und die lauten Maschinen verbieten müssen. Der Flughafen London Heathrow hat aber schon jetzt mit Abstand in der EU das größte Passagieraufkommen, weit vor Paris und vor Frankfurt. Der nun absehbare Bau der dritten Piste wird diese Position noch verstärkten. Die eingangs zitierte Erklärung des britischen Verkehrsministers besagt, dass das Parlament in London wohl keine strengen Landeverbote für laute Maschinen beschließen wird. Ohne London ist allerdings eine europäische Lösung schwer umzusetzen.

Um die tatsächlich gegebenen Möglichkeiten einer Reduktion des Fluglärms zu ermessen, empfiehlt sich ein Blick auf die Praxis der Flughäfen. Angesichts der rechtlichen und politischen Situation ist der Betrieb von lauten Flugzeugen nicht zu verhindern. Die Airports greifen daher zu Ersatzhandlungen. Die Flugzeuge werden verschiedenen Kategorien zugeteilt und je nach verursachtem Lärm werden die Landegebühren bemessen. Die zusätzlichen Kosten sollen die Gesellschaften dazu animieren, leisere Maschinen zu kaufen. Dieser Umweg ist allerdings nur bescheiden wirksam. Die Zusatzbelastung ist nicht überall gleich hoch. Zudem gibt es in Ballungsräumen mehrere Flughäfen, die im Wettbewerb unterschiedliche Lande-Gebühren berechnen und diese gelegentlich auch reduzieren.

Der niedrigste, technisch machbare Lärmpegel als Maß

Wirksam wäre nur ein Verbot der lauten Maschinen, wobei der jeweils erreichte technische Fortschritt zum Maß gemacht werden müsste. Mit einer derartigen EU-weiten und möglichst weltweiten Regelung hätten jetzt sehr viele Maschinen keine Flugerlaubnis mehr, wodurch das Problem entschärft wäre. Die Informationen aus der Industrie besagen, dass in wenigen Jahren die nächste Generation der Flugzeuge deutlich leiser sein wird. Eine Regelung, die sich am jeweils aktuellen Stand der Technik orientiert, würde dann weitere Umrüstungen erzwingen. Man muss sich auch nicht fürchten, dass die Industrie die Werte verfälscht, die Lautstärke der Flugzeuge wird weltweit von abertausenden Messstationen erfasst.

Die Bürger können nicht warten, bis die Wissenschaft die Geheimnisse der Eule enträtselt hat, die aus bisher nicht erklärten Gründen lautlos fliegt. Die Forscher untersuchen zwar jedes kleine Detail der geheimnisvollen Flügel, sind aber noch nicht fündig geworden. Also sollte man wenigstens die bisherigen Erkenntnisse der Techniker nutzen.

Das hier besprochene Verbot lauter Maschinen, das von den Mitgliedstaaten verhindert wird, könnte sich an einer schon bestehenden Regelung orientieren. Im Rahmen von Verordnungen verfügt die EU Landeverbote für einzelne Fluggesellschaften oder sogar alle Unternehmen eines Staates. Diese Listen gelten in der gesamten EU und auch in der Schweiz. Das Kriterium ist die Einhaltung von Sicherheitsvorschriften. Die Verordnungen könnten auch maximale Lärmwerte bestimmen.

Warum verhindern die Mitgliedstaaten die mögliche Reduktion des Lärms?

Die Frage drängt sich auf, warum die Mitgliedstaaten eine EU-Regel bisher verhindert haben. Dies ist besonders erstaunlich, weil in allen Ländern die Bürgerproteste gegen den Fluglärm die Regierungen unter Druck setzen. Die Antworten sind vielfältig, aber nicht befriedigend:

  • Die EU-Kommission könnte eine zu liberale Regelung beschließen. Es käme keine wirksame Lärm-Bekämpfung zustande. Diese Befürchtung wurde zwar geäußert, ist aber schwer zu begründen: Die Zeiten der De-Regulierung sind vorbei, Brüssel wurde zum Hort der Über-Regulierung.
  • Die meisten, nationalen, früher zur Gänze im Staatsbesitz befindlichen Fluggesellschaften leiden unter hohen Kosten. Die Anpassung stößt, wie die harten Lohnkämpfe und Streiks zeigen, auf Widerstand. Gleichzeitig drückt der Wettbewerb der Billiganbieter die Preise und somit die Erträge. In dieser Situation sind laufende Umrüstungen der Flotten auf neue, leisere Flugzeuge nicht zu finanzieren.
  • Für die Politik sind auch die Interessen der Konsumenten zu beachten. Der Zwang zu ständig hohen Investitionen würde die Preise generell in die Höhe treiben – bei allen Gesellschaften, auch bei den Billiganbietern.
  • Lange konnte die Politik auch ein Kalkül anstellen: Vom Fluglärm sind nur wenige betroffen, die Vorteile der großen Mehrheit wiegen schwerer. Diese Rechnung stimmt schon jetzt nur bedingt, sie verliert ständig an Gültigkeit.
  • Die Produzenten der Flugzeuge sind in dieser Frage gespalten. Eine Regelung, die ständig den Kauf der jeweils modernsten Maschinen erzwingt, wäre ein willkommener Umsatztreiber. Auf der anderen Seite kennt man aus der Automobilindustrie die Auflagen der Regulierer, die oft nicht einzuhalten sind und daher auch zu den bekannten Tricks geführt haben.

Die Lähmung der europäischen Politik in dieser Frage erhält nun eine Art Rechtfertigung durch den Brexit: Für eine europaweit wirksame Lösung wäre die Einbeziehung des Londoner Flughafens Heathrow erforderlich. Dies ist nun nicht möglich. Also könne man „leider“ keine wirksame Lärmbekämpfung realisieren. Das Alibi ist fast perfekt.

***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF. 

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

                                                                            ***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


Mehr zum Thema:  
Europa >

DWN
Finanzen
Finanzen Smallcap-Aktien: Lohnt sich ein Investment?
29.03.2024

Nebenwerte sind derzeit relativ gering bewertet und könnten von Zinssenkungen profitieren. Macht ein Einstieg Sinn für risikobereite...

DWN
Finanzen
Finanzen Bundesbank: Erholung der deutschen Wirtschaft verzögert sich
29.03.2024

Europas größte Volkswirtschaft kommt nicht richtig in Fahrt. Die Aussichten für die nächsten Monate sind nach Experteneinschätzung...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Neue Reiseziele: So manche Überraschung im Sommerflugplan
29.03.2024

Ab Ostern tritt an den deutschen Flughäfen der neue Sommerflugplan in Kraft. Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten haben für Sie als Leser...

DWN
Politik
Politik Vor 20 Jahren: Größte Erweiterung der Nato - eine kritische Betrachtung
29.03.2024

Am 29. März 2004 traten sieben osteuropäische Länder der Nato bei. Nicht bei allen sorgte dies für Begeisterung. Auch der russische...

DWN
Technologie
Technologie Viele Studierende rechnen mit KI-Erleichterungen im Joballtag
29.03.2024

Vielen Menschen macht Künstliche Intelligenz Angst, zum Beispiel weil KI Arbeitsplätze bedrohen könnte. In einer Umfrage stellte sich...

DWN
Politik
Politik Verfassungsgericht stärken: Mehrheit der Parteien auf dem Weg zur Einigung?
28.03.2024

Das Verfassungsgericht soll gestärkt werden - gegen etwaige knappe Mehrheiten im Bundestag in aller Zukunft. Eine Einigung zeichnet sich...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Deutschlands maue Wirtschaftslage verhärtet sich
28.03.2024

Das DIW-Konjunkturbarometer enttäuscht und signalisiert dauerhafte wirtschaftliche Stagnation. Unterdessen blieb der erhoffte...

DWN
Politik
Politik Corona-Aufarbeitung: Lauterbach will RKI-Protokolle weitgehend entschwärzen
28.03.2024

Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat angekündigt, dass einige der geschwärzten Stellen in den Corona-Protokollen des RKI aus der...