Politik

USA nervös: Plötzlich taucht Putin vor ihrer Haustür auf

Lesezeit: 5 min
20.04.2017 02:35
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Der US-Kongress zeigt Anzeichen von erheblicher Nervosität wegen Venezuela und fordert US-Präsident Donald Trump auf, zu handeln. Sogar eine Intervention wird diskutiert: Admiral Kurt W. Tidd hat in einem geheimen Bericht an den Senat vorgeschlagen, in Venezuela militärisch zu intervenieren, wenn die Lage außer Kontrolle geraten sollte. Der Chef des US-Souther Commands (USSOUTHCOM) gibt an, dass eine „humanitäre Katastrophe“ drohe, die eine „regionale Antwort“ erfordern könnte. Allerdings nennt der Admiral auch den wirklichen Grund für seine Überlegungen: Die engen Beziehungen zwischen Venezuela einerseits und Russland, China und dem Iran andererseits stellten „eine Bedrohung der US-Interessen“ dar.

Die Entwicklung weckt Erinnerungen an die Urangst der Amerikaner aus der Zeit der Kuba-Krise: Die Russen könnten plötzliche eine Position vor der Haustür der Amerikaner aufbauen. Dies wäre für die US-Regierung wesentlich unangenehmer als die fernen Konflikte in der Ukraine oder in Syrien. Russlands Präsident Wladimir Putin wiederum kann Venezuela als Faustpfand verwenden, um den USA Zugeständnisse in den für Russland wichtigeren Regionen, wie eben der Ukraine, abzutrotzen.

Russland hat sich in Venezuela auf geschickte Weise wirtschaftlich festgesetzt: Im November 2016 gewährte der staatlich kontrollierte Rosneft-Konzern Venezuela einen Kredit über 1,5 Milliarden Dollar. Das Geld ging an die staatlich kontrollierte Petróleos de Venezuela S.A. (PDVSA). Die Russen zeichneten eine Anleihe, obwohl damals schon die Gefahr bestand, dass Venezuela zahlungsunfähig werden könnte und seine Schulden daher nicht bedienen würde. Venezuela zahlte laut opilprice.com eine fällige Rate in der vergangenen Woche. Doch sollte es zu einem völligen Zahlungsausfall bei der Anleihe kommen, wären das schlechte Nachrichten für die USA und gute Nachrichten für Russland.

Venezuela hatte Russland nämlich ein Angebot gemacht, dem Putin trotz des offensichtlichen Risikos nicht widerstehen konnte: PDVSA besitzt drei Raffinerien in den Vereinigten Staaten sowie einen Hub von verbundenen Pipelines und Terminals. PDVSA bot den Russen 49,5% des Eigenkapitals in Citgo Petroleum als Sicherheit für den Fall, dass das Unternehmen die Anleihe nicht bedienen würde. Das Wall Street Journal berichtet, dass der Kongress eine sofortige Beschäftigung mit dem Fall durch das US-Finanzministerium fordert. Der Grund: Ein Zahlungsausfall Venezuelas bei dem Rosneft-Darlehen würde den Russen mehr Kontrolle über Öl- und Gaspreise weltweit geben, die US-Energiesicherheit gefährden und weitergehende geopolitische Bemühungen der USA untergraben, argumentierten der Republikaner Jeff Duncan und sein demokratischer Kollege Albio Sires in einem Brief an Finanzminister Steven Mnuchin.

Russlands Lukoil besitzt bereits heute US-Tankstellen in New York, New Jersey und Pennsylvania.

Die Kongress-Abgeordneten hatten gehofft, dass US-Außenminister Rex Tillerson das Thema bei seinem Besuch in Moskau mit Putin besprechen würde. Es ist nicht bekannt, ob die beiden darüber gesprochen haben.

Mnuchin dürfte auch von der Finanzbranche gedrängt werden, etwas zu unternehmen: Venezuela-Bonds waren in der jüngsten Vergangenheit wegen der hohen Zinsen sehr begehrt. Im Fall einer Pleite von Venezuela hätten Russland und China eine Hand auf die Öllager des Landes, während die Spekulanten einen langwierigen Rechtsstreit durchlaufen müssten, analysiert Barron‘s.

Die Angst, dass Russland die USA mit einer Citgo-Beteiligung erpressen könnte, halten Rohstoff-Analysten für reine politische Panikmache: John Laforge, Analyst bei Wells Fargo sagte CNN, dass Rosneft wie jeder andere Konzern vor allem darauf schauen, wie er Geld verdienen könne. Es gäbe in den USA genug Konkurrenten, die nur auf das Geschäft warteten, weshalb die Russen in jedem Fall rational vorgehen würden.

Das russische Außenministerium äußerte seine Besorgnis über die Gewalt durch die Proteste in Venezuela. Zugleich verurteilte Moskau laut Telesur die Interventions-Pläne des USSOUTHCOM und sagte, dass dies nur Gewalt auslösen würden und damit auch den US-Interessen nicht dienlich wären. Russland erinnerte in diesem Zusammenhang an den von den USA betriebenen Putsch gegen Salvador Allende in Chile, der das Land noch tiefer ins Chaos gestürzt hätte.

Wie ernst es die Russen meinen, zeigt die Tatsache, dass der staatliche russische Reeder Sovcomflot am Dienstag laut Reuters die Öl-Ladung eines Tankers der PDVSA beschlagnahmt hat. Die Russen machen ausstehende Schiffsgebühren in Höhe von 30 Millionen Dollar geltend und haben die PDVSA auf Zahlung verklagt. Ein Gericht in St. Maarten in der Karibik verfügte, dass die Ladung in einem Tank im Hafen von St. Eustatius verbracht werden müsse, bis über den Streit entschieden ist.

In Venezuela eskaliert die Lage unterdessen rapide: Bei Demonstrationen gegen die Regierung sind zwei Menschen getötet worden. Ein 17-jähriger Wirtschafts-Student wurde am Mittwoch in der Hauptstadt Caracas von einem Schuss in den Kopf getroffen und starb im Krankenhaus. Zudem kam in San Cristóbal eine 23-jährige Frau ebenfalls durch einen Kopfschuss ums Leben. Seit Ausbruch der Proteste starben damit bereits acht Demonstranten. Zudem kam es allein am Mittwoch laut Medienberichten zu 100 Festnahmen.

Die Opposition machte gewaltbereite Milizen der Sozialisten für die Angriffe verantwortlich, die auf Motorrädern immer wieder Angst und Schrecken unter den Demonstranten verbreiten.

Präsident Nicolás Maduro hatte als Antwort auf die Proteste angekündigt, dass die 500.000 Mitglieder der Nationalen Miliz mit Gewehren ausgerüstet werden. Die Reservistentruppe war nach dem Putschversuch 2002 gegen den damaligen Staatschef Hugo Chávez aufgestellt worden. Auch das Militär wurde wegen erneuter Putschgefahr in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt.

Seit 1999 wird das Land von den Sozialisten regiert und ist trotz der großen Ölvorkommen in seine bisher schlimmste Versorgungskrise geschlittert. Die Inflation beträgt mehr als 700 Prozent und ist die höchste der Welt. Die Ausgabe größerer Bolivares-Scheine lief schleppend an, da Papier und Tinte zum Drucken fehlten. Die Polizei setzte in Caracas massiv Tränengas ein, um Demonstranten auseinanderzutreiben, während Zehntausende Anhänger von Maduro in roten Hemden im Zentrum der Stadt unbehelligt den vierten Jahrestag seiner Präsidentschaft feierten.

Die Opposition fordert Neuwahlen und macht Präsident Maduro für die schwere politische und ökonomische Krise verantwortlich. Auslöser der seit Anfang April andauernden Proteste war die zeitweise Entmachtung des Parlaments durch ein Urteil des Obersten Gerichtshofs. Maduro warf der Opposition den Einsatz von Gewalt vor und sprach von einer Verschwörung. Er beschuldigt die Opposition, zusammen mit dem Ausland eine Intervention zum Sturz der Regierung vorzubereiten.

US-Außenminister Rex Tillerson warnte laut dpa vor einer Eskalation: „Wir sind besorgt, dass die Regierung Maduro die eigene Verfassung verletzt und der Opposition nicht erlaubt, dass ihre Stimmen gehört werden.“

Über der Route der Demonstranten lagen in Caracas Tränengaswolken. Oppositionsführer Henrique Capriles sagte, das Land brauche nicht mehr Waffen, sondern Lebensmittel und Medikamente. Viele Zufahrtsstraßen nach Caracas und Metrostationen waren geschlossen, um eine Anreise zu der Oppositions-Demonstration zu erschweren.

Maduro, Nachfolger des 2013 gestorbenen Chávez, war am Mittwoch exakt vier Jahre im Amt. Wegen der Krise und der zunehmenden Gewalt hatten zuletzt tausende Menschen das Land verlassen und flüchteten vor allem in das Nachbarland Brasilien.

Im Parlament hat das Oppositionsbündnis „Mesa de la Unidad Democrática“ aus konservativen, liberalen, sozialdemokratischen und indigenen Parteien zwar eine deutliche Mehrheit, ist aber de facto politisch wirkungslos. Der von den Sozialisten dominierte Oberste Gerichtshof hob immer wieder Parlamentsentscheidungen auf. Maduro versucht, mit Notstandsdekreten den Totalzusammenbruch zu verhindern.

Einer der Anführer der Opposition, Leopoldo López, sitzt eine fast 14-jährige Haftstrafe ab. US-Präsident Donald Trump forderte zuletzt seine sofortige Freilassung. López wurde verurteilt, weil bei regierungskritischen Demonstrationen, zu denen López aufgerufen hatte, 2014 über 40 Menschen gestorben waren. Das Center for Economic and Policy Research kann anhand der Wikileaks-Depeschen allerdings auch belegen, dass López zahlreiche heimliche Treffen mit US-Politikern absolvierte und mit ihnen besprochen hat, wie er am besten an die Macht in Venezuela kommen könnte.

Die Taktik der Russen dürfte vorerst darin bestehen, auf die Zahlung der offenen Rechnungen zu pochen. Die Chancen, dass Moskau Geld sehen wird, sind allerdings gering: Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet damit, dass die Wirtschaftsleistung 2017 um 7,4 Prozent schrumpft. Die Inflationsrate könnte bei 720 Prozent liegen. Für das kommende Jahr rechnet der IWF sogar mit einer Teuerungsrate von rund 2000 Prozent.

Eine ähnliche Situation kennen die Russen schon von der Ukraine. Dort konnte sie zwar den Machtwechsel nicht verhindern, haben aber den Konflikt „eingefroren“. Es ist denkbar, dass Ähnliches nun in Venezuela geschieht – und es wäre für die USA eine neue Erfahrung, dass dergleichen ausgerechnet in ihrem Vorhof möglich ist.


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