Bei der Auseinandersetzung mit China im Territorialkonflikt im Südchinesischen Meer müssen die USA feststellen, dass wider Erwarten auch die Russen bereits dort sind - und nicht ohne Geschick versuchen, sich in der Doppelfunktion als Militärmacht und neutraler Vermittler eine Reputation in Asien aufzubauen. Der russische Präsindet Wladimir Putin hat die Amerikaner hier auf dem falschen Fuß erwischt, was nur zu einem Teil dem Machtwechsel in Washington geschuldet ist: Während vor allem die Neocons nicht müde werden, Putin als "Gauner" (John McCain) zu beschimpfen, hat Putin sehr raffiniert begonnen, Allianzen zu schmieden. Zuletzt ist Russland als Vermittler in Afghanistan aufgetreten - sehr zum Verdruss der US-Regierung, die sich jede Einmischung in Afghanistan verbittet. Die Amerikaner wussten zunächst keine andere Antwort als den Abwurf einer Megabombe. Doch Putin verfolgt seine Strategie mit erstaunlicher Beharrlichkeit.
Am 20. April dockte das russische Kriegsschiff Varyag in der philippinischen Hauptstadt Manila an. Zwischen Russland und den Philippinen sollen gemeinsame Manöver im Südchinesischen Meer stattfinden, wie die Navy Times bereits im Januar 2017 angekündigt hatte. Moskau hat gute Beziehungen zum Präsidenten der Philippinen, Rodrigo Duterte. "Es ist eine Trainingsmöglichkeit, wir können auch ihre Technologie als Teil unserer Modernisierung anschauen", zitiert The Maritime Executive den philippinischen Marine-Sprecher Leo Ramon. Die Varyag ist das Flaggschiff der russischen Pazifik-Flotte und wird vom Flottentanker Pechenga begleitet. Im Vorfeld bot Russland den Philippinen an, Hilfestellungen beim Kampf gegen den Terrorismus und gegen die Piraterie zu leisten. Der russische Zerstörer Admiral Tributs dockte bereits im Januar 2017 in Manila an. Duterte verfolgt seit geraumer Zeit eine Annäherung an China und Russland, was er als "unabhängige Politik" umschreibt. Vor einigen Monaten kündigte Duterte sogar mit erheblichem Pathos ausgerechnet in Peking an, sich von den USA lossagen und Russland zuwenden zu wollen. Mittlerweile hat er seine Rhetorik wieder etwas gemäßigt, was auch der Tatsache geschuldet sein dürfte, dass die US auf den Philippinen eine starke Militärpräsenz unterhalten.
Russland hat auf die Avancen ziemlich kühl reagiert. Es geht Moskau nämlich nicht in erster Linie um die Philippinen, sondern um eine Kooperation mit China im Südchinesischen Meer. Ein Viertel des militärischen Modernisierungsprogramms Russlands bis zum Jahr 2020 fällt auf die russische Pazifikflotte mit Sitz in Wladiwostok, so Oilprice.com. Dadurch soll die Flotte in kampftauglichen Zustand versetzt werden, um in der Pazifik-Region aktiv werden zu können.
Im September 2016 fand im Südchinesischen Meer vor der Küste der südchinesischen Provinz Guangdong ein gemeinsames russisch-chinesisches Marinemanöver unter dem Namen "Joint Sea 2016" statt. An dem Manöver nahmen drei russische Kriegsschiffe, ein russisches Schleppdampfer und ein russischer Öltanker teil. Zudem nahm ein Großteil der chinesischen Südflotte, ein Teil der Nordflotte und der Ostflotte teil. Im einzelnen waren zwei chinesische Zerstörer, drei chinesische Fregatten, zwei chinesische Landungsschiffe und ein chinesisches Versorgungsschiff am Manöver beteiligt. Darüber hinaus wurden acht chinesische Hubschrauber und mehr als 160 chinesische Marineinfanteristen entsendet, berichtet German.China.org. Die Nachrichtenagentur Anadolu nannte Russland angesichts dieses Manövers einen "neuen Akteur" im Südchinesischen Meer. Russland sei auch aufgrund seiner schlechten Beziehungen mit dem Westen und den daraus folgenden Sanktionen dazu gezwungen, sich energiepolitisch in die Asien-Pazifik-Region zurückzuziehen, so Anadolu.
Russland will außerdem mit Vietnam gemeinsame Gasprojekte im Südchinesischen Meer entwickeln. Bis ins Jahr 2002 hatten die Russen die Marinebasis Cam Ranh, die sich am Südchinesischen Meer befindet, genutzt. Russland möchte Vietnam hochentwickelte Waffensysteme verkaufen, um die Verteidigungsfähigkeit des Landes zu erhöhen. Der Economist analysiert, dass Vietnam unter allen Umständen vermeiden will, sich auf irgendeine Seite schlagen zu müssen. Daher stellt Vietnam Cam Ranh heute jedem Staat zur Verfügung, der bezahlt. Die Vietnamesen müssen die Balance zwischen den USA und China halten. Russland erscheint da fast wie ein neutraler Dritter, der außerdem die Reputation besitzt, auch mit anderen Staaten wie Indien gute Rüstungskooperationen zu praktizieren.
Großmächte erheben grundsätzlich den Anspruch, mehrstufige außenpolitische Strategien zu verfolgen, die zur Überschneidungen einiger Themenbereiche führen können, führt oilprice.com aus. Für Russland hat das Südchinesische Meer zwei wichtige Funktionen. Es dient zum einen, um die Hegemonialbestrebungen der USA in dieser Region auszubalancieren, und gleichzeitig die Region abzusichern. Russland fordert die USA in Syrien, in der Ukraine, in Georgien und nun auch im Südchinesischen Meer heraus. Hier decken sich die Interessen der Russen und Chinesen. Denn China ist ebenfalls beunruhigt über die Aktivitäten der USA im Südchinesischen Meer. Aus russischer Perspektive ist das Südchinesische Meer ein Asset im globalen Wettkampf der Supermächte und keine isolierte Region. Daher unterstützt Moskau Peking, während umgekehrt China Russland in Syrien unterstützt - unter anderem im UN-Sicherheitsrat.
Auf der Ebene der regionalen Absicherung möchte Russland seine Beziehungen zu den Anrainerstaaten des Südchinesischen Meers erweitern, um Instabilität zu verhindern. Russland möchte seine wirtschaftlichen Interessen in der Asien-Pazifik-Region wahren.
Moskau plant vor allem durch Geschäfte in den Bereichen von Energie, der Rüstung und der Infrastruktur zu profitieren, analysiert oilprice.com. Der aktuelle Erfolg der russischen Außenpolitik besteht darin, dass im Südchinesischen Meer sowohl gute Beziehungen mit Vietnam als auch mit China gepflegt werden, obwohl beide in den Gewässern erbitterte Kontrahenten sind. Doch Moskau wird offenbar auch als "ehrlicher Makler" eingestuft, der die Sicherheitsinteressen beider Länder berücksichtigt. Dies könnte Russland auch künftig dabei helfen, weitere Beziehungen mit den Anrainerstaaten des Südchinesischen Meers zu schaffen. Dabei haben jene engen Beziehungen einen besonderen Reiz für die Anrainerstaaten. Russland hat Vietnam Zugang zu fortgeschrittenen Waffen- und Energietechnologien verschafft - ein Privileg, dass die Amerikaner den Vietnamesen nie gewähren wollten.
China profitiert aus einer weiteren wichtigen Perspektive zwischen der Annäherung Russlands und den Anrainerstaaten des Südchinesischen Meeres und damit der Einflussnahme Russland in den Gewässern. Wenn immer mehr Anrainerstaaten im Südchinesischen Meer Russland als Partner anerkennen, wäre die Position Chinas gegenüber den USA entscheidend gestärkt.
Indem Russland sich mit China und Vietnam gut stellt, setzt das Land seine regionalen und globalen Ziele um. Es erhöht seinen Einfluss in der Asien-Pazifik-Region, fährt die Intensität der Kooperation zwischen Vietnam und den USA zurück und übt Einfluss auf den Konflikt im Südchinesischen Meer aus, um daraus mehr Raum für multilaterale Verhandlungen zu schaffen.
Aus einer Analyse des Center for Strategic and International Studies (CSIS) mit Sitz in Washington wird deutlich, dass eines der größten Probleme im Südchinesischen Meers die Navigation und dessen technische und militärische Interpretation darstelle. Während China keine ausgeprägten Navigations-Fähigkeiten habe, sei Russland in dieser Disziplin exzellent gerüstet. Moskau könne weitaus besser einschätzen, wie die USA die Bewegung von ausländischen Schiffen in den exklusiven Wirtschaftszonen interpretieren. Schließlich sei das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS) im Jahr 1982 von globalen Marinemächten wie Russland geschrieben worden. Somit verfüge Russland über die Option, sich langfristig im Südchinesischen Meer zu engagieren, wenn dahinter tatsächlich eine umfassende Strategie und keine geringfügige Veränderung des bilateralen Engagements stehe. Die russische Außenpolitik in Ost-Asien werde darin bestehen, keine klaren Positionen für die regionalen Kontrahenten in der Region zu beziehen, so das Institut.
Russland hätte außerdem nichts dagegen, wenn sich im Südchinesischen Meer in einer späteren Phase auch Kooperationsmöglichkeiten zwischen dem US-Ölriesen Exxon und seinen russischen Konkurrenten Gazprom oder Rosneft ergeben sollten. Aus einer Aufstellung der US-Energieagentur (EIA) geht hervor, dass sich im Südchinesischen Meer elf Milliarden Barrel an Ölreserven und 190 Billionen Kubikfuß an Gasreserven befinden. Neben den russischen Energie-Riesen möchte auch Exxon einen großen Anteil an der Energieförderung im Südchinesischen Meer erringen.
Nach Angaben der South China Morning Post ist Exxon in der Region aktiv und versucht, weitere internationale Bewerber vom Südchinesichen Meer wegzuhalten. "Im Gegensatz zu anderen westlichen Öl-Riesen, die in Bezug auf die umstrittenen Gewässer in der Regel eher abgewartet haben, erschien ExxonMobil von der politischen Unsicherheit in der Region unbemerkt und konnte sich umfangreiche Geschäftsbeziehungen mit fast allen südostasiatischen Ländern sichern", so das Blatt.
Nach einem von Wikileaks geleakten Dokument aus dem Jahr 2006 hatte das US-Außenministerium internationale Energiefirmen davor gewarnt, in der Region Öl und Gas zu fördern. Die Warnung wurde im selben Jahr ausgegeben, als Rex Tillerson Exxon-Chef wurde. Während BP und Chevron ihre Operationen abbrachen und ConocoPhillips seine Südchinesischen Förderblöcke aufgrund des wachsenden Drucks von Peking veräußert hatte, fuhr Exxon gemeinsam mit PetroVietnam mit seinen Energieförderungen fort, so das Blatt.
Am 13. Januar 2017 kündigten bereits PetroVietnam und Exxon den Abschluss eines Zehn-Milliarden-Dollar-Deals an, um ein Erdgaskraftwerk in Vietnam zu bauen, berichtet die Asia Times. Exxon und PetroVietnam wollen mit dem Werk Erdgas aus dem Offshore-Feld Ca Voi Xanh im Südchinesischen Meer auf den Weltmarkt bringen. Zudem soll Exxon eine Unterwasserpipeline vom Offshore-Feld nach Vietnam bauen.
Sollte Exxon von der US-Regierung Ausnahmegenehmigungen bekommen, um die Russland-Sanktionen umgehen zu dürfen, könnte der US-Ölriese nicht nur mit Rosneft Öl in der Arktis, sondern auch Öl und Gas im Südchinesischen Meer fördern. Die aktuelle Einflussnahme Russlands im Südchinesischen Meer muss auch aus dieser Perspektive betrachtet und beobachtet werden. In einem ersten Anlauf hat die US-Regierung dieses Ansinnen abgelehnt. Doch es ist davon auszugehen, dass weitere Versuche folgen werden: US-Außenminister Rex Tillerson hat als früherer Exxon-Manager einen klaren Blick auf die Bedeutung der Zusammenarbeit im Bereich der Öl- und Gasförderung: Die Russen haben schon in der Arktis gedroht, die Vorkommen gemeinsam mit China auszubeuten, wenn die USA kein Interesse haben. Die hohen Kosten solcher Explorationen zwingen zu Deals, die Aussicht auf hohe Renditen lässt es nicht ratsam erscheinen, sich den russischen Einladungen zur Zusammenarbeit dauerhaft zu verschließen.