Den deutschen Sicherheitsbehörden ist es bisher nur unter größtem Zeitaufwand gelungen, die Verschlüsselung von Messenger-Diensten zum Zwecke der Strafverfolgung zu entschlüsseln. Das wird künftig nicht mehr notwendig sein. Mit dem Mitte Juni 2017 verabschiedeten „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ werden die Sicherheitsbehörden ermächtigt, Kommunikation direkt auf privaten Computern, Laptops, Handys und Tablets mitzulesen und zwar bevor diese verschlüsselt wird. Damit haben die Sicherheitsbehörden auch die Möglichkeit auf breiter Front auf Messenger-Diensten, wie z.B. WhatsApp zuzugreifen. Abgerundet wird diese Befugnis durch die Möglichkeit der Online-Durchsuchung. Damit wird es den Sicherheitsbehörden künftig auch möglich sein, die gesamte Festplatte auszulesen, sofern die Daten nicht auf einer verschlüsselten Cloud gespeichert sind.
Die Bedeutung dieses Gesetzes liegt weniger in den weitreichenden Eingriffen in die Privatsphäre der Messenger-Nutzer. Das gab es schon bisher. Schon seit 2009 wurde das BKA dazu befugt, unter ganz engen Voraussetzungen Schadsoftware einzusetzen, die als Staatstrojaner bekannt sind. So durften Staatstrojaner nur vom BKA und ausschließlich zur Terrorismusbekämpfung angewendet werden. Mit dem neuen Gesetz wird sich das in mehrfacher Hinsicht ändern:
Quellen-TKÜ und Online-Durchsuchungen werden nicht mehr nur ausschließlich vom BKA angewendet werden, sondern werden zum Standardanwendungsverfahren deutscher Ermittlungsbehörden.
Bisher war der Einsatz von staatlicher Ermittlungs-Schadsoftware nach einem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichtes in der Praxis auf Terrorismus-Ermittlungen beschränkt. Das neue Gesetz erweitert die Anwendung der Befugnisse auf nicht weniger als 38 namentlich angeführte Straftatbestände. Der Deliktskatalog reicht auszugsweise von Hochverrat und Jugendpornografie über Mord, Totschlag, Raub und Erpressung bis hin zu Geldwäsche, Computerkriminalität, Subventionsbetrug, Sportwettbetrug, Schmuggel und Steuerhinterziehung, aber auch Straftaten gegen das Asyl- und Aufenthaltsverbot, um nur einige aus den insgesamt 38 Straftatbeständen aufzuzählen.
Damit wird das bisher umfangreichste Instrumentarium zur elektronischen Überwachung auf die Bekämpfung der „Alltagskriminalität“ ausgeweitet und widerspricht unmittelbar Erkenntnissen des Bundesverfassungsgerichtes, wonach die Anwendung von Staatstrojanern nur dann als legitim betrachtet wird, „wenn tatsächliche Anhaltspunkte für eine Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut besteht“. Die massive Erweiterung der Straftatbestände lässt vermuten, dass das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht in dieser Form nicht halten wird.
Mit dem Anfang des Jahres in Kraft getretenem BND-Gesetz, wie auch der Vorratsdatenspeicherung, verabschiedet die Bundesregierung das bisher weitreichendste Überwachungsgesetz in der Geschichte der Republik. Mit diesem Gesetz verfügen die Sicherheitsbehörden über Befugnisse, die verfassungsrechtlich garantierte Vertraulichkeit und Integrität von IT-Systemen unterlaufen. Ein Grundrecht, welches das Bundesverfassungsgericht erst in seiner jüngeren Judikatur geschaffen hatte.
Die bisherige Fokussierung der Überwachungsbefugnisse auf die Bekämpfung des Terrorismus wurde zugunsten eines weitreichenden Anwendungskataloges erweitert, wobei die Bekämpfung der illegalen Einwanderung und der Schlepperkriminalität in der Fülle der Anwendungen beinahe beiläufig aufgeführt wird.
Das Gesetz ist aber auch noch aus einem andern Blickwinkel interessant. Die NSA-Affäre hat die Abhängigkeit der Sicherheitsbehörden, aber auch der deutschen Nachrichtendienste von den amerikanischen Partnern deutlich gemacht. Während den amerikanischen Nachrichtendiensten die Fähigkeit zugeschrieben wird, Messenger-Dienste wie WhatsApp ebenso mitlesen zu können und auch online-Durchsuchungen einzusetzen, war das bisher den deutschen Sicherheitsbehörden nicht möglich. Das Gesetz befähigt daher die deutschen Sicherheitsbehörden auch, zu den technischen Möglichkeiten amerikanischer Dienste auf deutschem Boden aufzuschließen.
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Dr. Gert R. Polli ist der ehemalige Leiter des österreichischen Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung. Als langjähriger Leiter des österreichischen zivilen Nachrichtendienstes war er Vorsitzender der »Middle European Conference« ebenso wie im Club of Bern, beides hochkarätige, europaweite, informelle nachrichtendienstliche Plattformen.
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