Die Bundeswehr hat am Sonntag ein Tankflugzeug von der türkischen Luftwaffenbasis Incirlik nach Jordanien verlegt. Zusätzlich sei eine weitere Maschine mit Personal und Ersatzteilen für das Tankflugzeug zum jordanischen Al-Asrak geflogen, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums am Sonntag in Berlin. Bis Ende Juni sei das Tankflugzeug bei dem Anti-IS-Einsatz gebraucht worden, sagte der Sprecher. In wenigen Tagen stehe es wieder zur Verfügung.
Der Bundestag hatte vor zweieinhalb Wochen für einen Abzug der Bundeswehr aus dem türkischen Incirlik gestimmt. Die Verlegung aus einem Nato-Land auf einen Stützpunkt außerhalb des Bündnisgebiets ist beispiellos in der Geschichte der Bundeswehr. Grund ist ein türkisches Besuchsverbot für Bundestagsabgeordnete bei den deutschen Soldaten in Incirlik. Die Regierung in Ankara hatte damit auf die Asylgewährung für türkische Soldaten in Deutschland reagiert. Die Soldaten unterstützen die Bombardements von Stellungen der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) in Syrien und im Irak.
Die Verlegung nach Jordanien laufe seit Anfang Juni, so der Sprecher des Ministeriums. Die in der Türkei im Einsatz befindlichen «Tornado»-Aufklärungsflugzeuge würden bis Ende Juli zunächst nach Deutschland verlegt. Zunächst werde eine für den Einsatz benötigte Auswertungsstation in Jordanien wieder aufgebaut - voraussichtlich im Oktober kämen die Tornados dann dort wieder zum Einsatz. Die Verlegung verlaufe bisher planmäßig, sagte der Sprecher.
In der Türkei wird der Konflikt mit Deutschland vor allem vor dem Hintergrund des gescheiterten Putsch-Versuchs im Juli 2016 gesehen.
Der regierungsnahe türkische Geopolitiker Mesut Hakki Casin sagte dem türkischsprachigen Dienst der russischen staatlichen Nachrichtenagentur Sputnik: „Die deutschen Medien versuchen ein Bild zu vermitteln, wonach es eine Krise zwischen der Türkei und der NATO gibt. Doch das eigentliche Problem liegt nicht bei den türkisch-deutschen, sondern bei den deutsch-amerikanischen Beziehungen. Trump hatte auf dem NATO-Gipfel in Brüssel insbesondere Deutschland vorgeworfen, dass Berlin seinen NATO-Verpflichtungen nicht nachkomme.“
Casin weiter: „Deutschland verweigert unter dem Vorwurf der Foltergefahr die Auslieferung von Terrorverdächtigen der Gülen-Bewegung. Zudem erhält die PYD Waffen von Deutschland, die die türkische Armee nicht bekommt. Unter den Waffen der PYD befinden sich auch schwere Panzer deutschen Fabrikats. Die Türkei ist zudem unzufrieden darüber, dass einige deutsche Abgeordnete Propaganda für die PKK und die PYD betreiben. Es ist falsch, die Verwirrungen zwischen der Türkei und Deutschland auf Incirlik zurückzuführen, während es die genannten tatsächlichen Probleme gibt.“
Casin meint, dass der Abzug der deutschen Truppen aus Incirlik den Kampf der Türkei gegen ISIS nicht beeinflussen werde. „Auch wenn Deutschland die AWACS, die nach wie vor Aufklärungsarbeit durchführen, abziehen sollte, wird der Kampf der Türkei gegen ISIS weitergehen. Deutschland weigert sich, für die türkischen Leopard-Panzer die nötige Schutzausrüstung zu liefern. Das beeinflusst den Kampf gegen den Terrorismus in einer negativen Art und Weise.“
Die türkische regierungsnahe Zeitung Stargazete titelt, dass die deutsche Bundeswehr zugunsten von „Terroristen“ der Gülen-Bewegung Incirlik verlassen wolle, statt sich mit ihrem türkischen Partner zu einigen. Die Regierung in Berlin ergreife Partei für die Gegner der türkischen Regierung.
Der Kolumnist der Zeitung Hürriyet, Murat Yetkin, führt in einer Analyse aus, dass Angela Merkels Plan, die deutschen Truppen nach Jordanien zu verlegen, ein Bluff sei. Unklar sei auch, welches Ziel dieser Bluff habe. „Denn der Bluff hat sein Ziel verfehlt. Die deutschen Tornados sind nicht von Interesse für die Türkei. Ihr Abzug wird den Kampf gegen ISIS nicht negativ beeinflussen. Beim Tornado-Einsatz handelt es sich vielmehr um eine symbolische Geste. Während die Entsendung von deutschen Soldaten in das NATO-Land Türkei bereits eine große innenpolitische Herausforderung für Deutschland darstellte, wird es umso schwieriger sein, deutsche Soldaten in ein nahöstliches Nicht-NATO-Land wie Jordanien zu entsenden. Kurzum: Merkels Incirlik-Bluff bereitet ihr nun Probleme.“
Der türkische Premier Binali Yildirim sagte Anfang Juni 2017 zum geplanten deutschen Truppen-Abzug aus Incirlik: „Wir haben keine diesbezügliche Entscheidung getroffen. Sie (Anm.d.Red. die Deutschen) sollen sie machen, was immer sie wollen.“
Der Chef des größten Dachverbands der Industriegewerkschaften (Türk-Is), Ergün Atalay, sagte der Zeitung Aydinlik: „Die deutschen Abgeordneten wurden ausschließlich aufgrund ihrer Haltung gegenüber der FETÖ (Anm.d.Red. Terrororganisation des Predigers Fethullah Gülen) und der PKK nicht auf den Luftwaffenstützpunkt Incirlik gelassen. Nun wollen die Deutschen Incirlik verlassen. Doch es sind die USA, die direkt in Verbindung mit der PKK/PYD stehen. Die Amerikaner bewaffnen die PKK/PYD direkt mit schweren Waffen und trainieren die Kämpfer der PKK/PYD. US-Jets nutzen Incirlik, um der PKK/PYD einen Raum in Syrien zu schaffen. Die USA nutzen Incirlik ganz offen, um die PKK/PYD zu versorgen und zu unterstützen. Die US-Aktivitäten in Incirlik müssen gestoppt werden.“
Nach einer Umfrage der türkischen Zeitung Yeni Safak unter 38.000 Personen stufen 96,9 Prozent der Befragten die USA als eine Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei ein. Auf die Frage, ob auch die NATO eine Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei sei, antworteten 94,3 Prozent der Befragten ebenfalls mit Ja. 95,4 Prozent sind für die Schließung des US-Luftwaffenstützpunkts in Incirlik/Adana.
Währenddessen hatte sich einem Bericht der Zeitung Aydinlik zufolge Anfang Mai 2017 ein Vorfall auf der US-amerikanisch-türkischen Luftbasis Incirlik zugetragen, der die US-türkischen Beziehungen weiter belasten dürfte. Ein türkischer Offizier sollte aufgrund seiner überdurchschnittlichen Leistungen im Kampf gegen ISIS von US-Oberst Kevin Leahy im Namen der US-Regierung ausgezeichnet werden. Der Offizier nahm an der Zeremonie teil, doch lehnte die Auszeichnung demonstrativ mit der Begründung ab, dass die USA mit der Kurden-Miliz YPG verbündet seien. Doch die YPG sei „der Feind“ der Türkei, so der türkische Offizier. Nach Angaben der türkischen Zeitung Hürriyet handelte es sich bei dem türkischen Offizier um Oberst Orkun Özeller.
Die NATO hält sich aus dem Streit zwischen der Türkei und Deutschland weitgehend heraus. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte am 7. Juni 2017 auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Präsidenten Montenegros, Dusko Markovic, im Zusammenhang mit dem deutsche Truppen-Abzug aus der türkischen Luftwaffenbasis Incirlik: „Wenn es um Incirlik geht, das ist ein Problem, das wir seit einiger Zeit angesprochen haben. Ich war sowohl mit der deutschen Regierung als auch mit den türkischen Behörden in Kontakt. Ich kenne auch diesen direkten Dialog zwischen der Türkei und Deutschland. Ich werde heute mit Verteidigungsministerin von der Leyen sprechen. Die deutschen Flugzeuge auf dem Incirlik-Stützpunkt unterliegen bilateralen Vereinbarungen oder Vereinbarungen mit der Türkei, während die AWACS-Flugzeuge, die in Konya stationiert sind, dem NATO-Befehl und den NATO-Vereinbarungen unterliegen. Das sind zwei ganz verschiedene Dinge, und ich habe niemanden gesehen, der die Probleme und die Herausforderungen im Zusammenhang mit dem deutschen Einsatz in Incirlik auch mit dem NATO-Einsatz in Konya hat. Ich bin zuversichtlich, dass wir in Konya wie bisher weiterfahren werden.“
Die Zeitung Milliyet berichtet, dass am 20. Juni 2017 ungewöhnlich viele Flugzeuge auf dem Stützpunkt Incirlik gelandet seien. Alleine innerhalb einer Stunde sind in Incirlik sechs türkische Kampfjets und zwei Tank-Jets gelandet. Im gleichen Zeitraum sind zwei US-amerikanische Tank-Jets, eine Drohne und vier weitere US-amerikanische Kampfjets mit Bomben losgeflogen. Zudem gab es regen Verkehr auf dem Stützpunkt.