Der polnische EU-Ratspräsident Donald Tusk sieht im Verhalten der polnischen Regierung zu Brüssel Anzeichen dafür, dass sich die polnische Regierung darauf vorbereitet, die EU-Mitgliedschaft Polens in Frage zu stellen. Das berichtet der EUObserver, der Tusk mit einem Statement zitiert, dass Tusk am Donnerstag vor dem Gebäude der polnischen Staatsanwaltschaft in Warschau gegeben hatte. Zuvor hatte er acht Stunden lang Fragen über seine Rolle in Flugzeugkatastrophe von Smolensk im Jahr 2010 zu beantworten.
Tusk sprach nicht nur mit Bitterkeit über die Ermittlungen, sondern attackierte die polnische Regierung, weil sie einen EU-Gerichtsbeschluss ignoriert habe, in dem ihr die Abholzung des geschützten Waldes von Bialowierza verboten worden war. Tusk: „Es gibt heute ein Fragezeichen über die europäische Zukunft von Polen. Die Tatsache, dass eine europäische Gerichtsentscheidung so arrogant abgelehnt wird, ist ein Beweis für etwas, das meiner Meinung nach sehr gefährlich ist – es ist ein offener Versuch, Polen in eine Konfliktsituation mit der Europäischen Union zu bringen.“ Der EU-Präsident weiter: „Es riecht nach der Vorbereitung einer Ankündigung, dass Polen die Europäische Union nicht braucht und dass Polen für die EU nicht benötigt wird. Ich fürchte, wir sind diesem Moment nähergekommen."
Tusk sagte, dass die Regierungspartei PiS so massiv in seinem Konflikt mit den EU-Institutionen gegangen sei, dass sogar ihr regionaler Verbündeter, Ungarn, begonnen habe, sich von Polen im EU-Rat zu distanzieren: „Es gibt mehrere Fragen, bei denen das Verhalten der polnischen Regierung sehr umstritten ist (...). So sieht die ganze EU es und das schließt manchmal sogar Budapest ein.“ Bisher hatte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban die Polen immer unterstützt – allerdings nur verbal und noch nie mit einem Veto.
EU-Ratspräsident Donald Tusk sieht sich als Opfer einer politischen Kampagne in seinem Heimatland Polen: Nach einer achtstündigen Anhörung vor einem Warschauer Gericht zum Unfalltod des ehemaligen Staatschefs Lech Kaczynski sprach Tusk am Donnerstag von einem "politischen Verfahren", mit dem Polens Regierung ihre Gegner einschüchtern wolle. Der Chef der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Jaroslaw Kaczynski, richtete neue Drohungen gegen Tusk.
Das Justizverfahren um den Tod des früheren Präsidenten Lech Kaczynski – Zwillingsbruder von Jaroslaw Kaczynski – bei einem Flugzeugabsturz in Russland sei "zweifellos" konstruiert, sagte Tusk. "Diese Tragödie sollte nicht für politische Zwecke instrumentalisiert werden, noch soll die Justiz als Waffe gegen die Opposition oder Rivalen eingesetzt werden."
Konkret werfen die Ermittler Tusk vor, Vorschriften zur Autopsie von Absturzopfern missachtet zu haben. Bei dem Absturz der Präsidentenmaschine kamen 2010 neben Kaczynski und seiner Ehefrau noch 94 weitere Menschen ums Leben. Unter den Opfern waren ranghohe Militärs und Politiker, die zum 70. Jahrestag des Massakers von Katyn bei Smolensk an einer Gedenkfeier teilnehmen wollten. In Katyn hatte die sowjetische Geheimpolizei im Zweiten Weltkrieg tausende polnische Offiziere erschossen.
Eine frühere Untersuchung polnischer und russischer Experten kam zu dem Schluss, die Hauptgründe für den Absturz seien ein Pilotenfehler und schlechtes Wetter gewesen. Kaczynski vermutet andere Hintergründe für den Absturz.
Am Donnerstag sagte Kaczynski einem polnischen Fernsehsender, Tusk habe allen Grund, "Angst" zu haben – wegen des Absturzes und wegen "anderer Dinge". Vor zwei Wochen hatte der PiS-Vorsitzende der Opposition in einer Wutrede vorgeworfen, seinen Bruder "ermordet" zu haben. Er hält den Absturz nicht für einen Unfall und sieht bei Tusk die "moralische Verantwortung", da er zum damaligen Zeitpunkt Regierungschef war.
Der EUobserver berichtet, Kaczynski habe vor kurzem polnischen Medien erzählt, dass er auch der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel gesagt habe, dass Tusk in der Smolensk-Untersuchung „viel zu befürchten“ hätte. Roman Giertych, ein Tusk-Bevollmächtigter, sagte, Kaczynskis Bemerkung zeige, dass er sich bereits in Gerichtsverfahren einmischte, indem er privilegierte Informationen von der Staatsanwaltschaft erhalten habe.
Tusk wies die Drohungen nach seiner Vernehmung zurück: "Ich habe nichts zu befürchten, und Herr Kaczynski jagt mir keine Angst ein". Tusk, ehemaliger Vorsitzender der liberal-konservativen Bürgerplattform und von 2007 bis 2014 Ministerpräsident ist ein politischer Gegner Kaczynskis. Er wurde im März gegen den Widerstand der polnischen Regierung als EU-Ratspräsident bestätigt.
Die EU-Kommission hat gegen Warschau mehrere Verfahren eröffnet, unter anderem wegen umstrittener Maßnahmen im Justizwesen. Diese stellen nach Ansicht Brüssels die Unabhängigkeit der Gerichte in Frage.
Polen unterhält enge Beziehungen zu den USA und zur NATO. Der polnische Präsident Duda hatte, ebenso wie die Regierung, vor ihrer Wahl zu Protokoll gegeben, dass sie „weniger EU und mehr Nato“ für sinnvoll hielten.
Polen will ein eigener Energie-Hub in Europa werden und sieht sich in diesem Segment als Konkurrent Deutschlands. Die Polen wollen daher auch die Nord Stream 2-Pipeline verhindern und selbst über ihre LNG-Terminals US-Flüssiggas nach Osteuropa exportieren.
Tusk sagte in Warschau, er habe noch nicht entschieden, ob er 2019, wenn sein Mandat in Brüssel endet, erneut für den Posten des polnischen Premiers kandidieren wolle.
Der EU könnte ein Austritt Polens nicht ungelegen kommen: Mit dem Austritt Großbritanniens verliert die EU einen der wenigen Netto-Zahler. Polen dagegen ist Netto-Empfänger – weshalb ein Austritt Polens der EU helfen könnte, ihr Haushaltsloch zu stopfen.
Allerdings wäre ein Austritt der Polen eine Bankrott-Erklärung für die gesamte Osterweiterung. Schon heute hat sich das Gewicht in den Staaten Osteuropas sehr stark in Richtung Militär und Rüstung verschoben, während der Großteil der Bevölkerung wirtschaftlich vom EU-Beitritt kaum profitiert hat. Der Austritt Polens könnte eine Kettenreaktion auslösen: Andere Staaten wie Bulgarien könnten sich stärker nach Russland orientieren. Die Polen, Balten oder Rumänen könnten eine direkte Achse zu den USA suchen.