Die Einführung einer neuen landesweiten Umsatz-Steuer hat die Geschäfte der indischen Industrie so stark einbrechen lassen wie seit fast neun Jahren nicht mehr, berichtet Reuters. Der Einkaufsmanager-Index fiel im Juli überraschend um drei auf 47,9 Punkte, wie das Institut IHS Markit am Dienstag zu seiner monatlichen Unternehmensumfrage mitteilte. Damit ging das Barometer so kräftig zurück wie seit November 2008 nicht mehr, als die weltweite Finanzkrise ihren Lauf nahm. Es liegt deshalb erstmals seit Dezember 2016 unter der Marke von 50 Zählern, oberhalb der es Wachstum signalisiert.
In Indien trat am 1. Juli die größte Steuer-Reform seit der Unabhängigkeit von Großbritannien vor 70 Jahren in Kraft. Der Satz auf Waren und Dienstleistungen (GST) soll zahlreiche Landes- und Bundessteuern ersetzen und den Subkontinent mit seinen 29 Bundesstaaten und 1,3 Milliarden Menschen wirtschaftlich enger zusammenschweißen. Ökonomen erwarten durch die Einführung keine dauerhaften Nachteile für die Konjunktur in dem Schwellenland. „Ein Monat hat noch keine große Bedeutung“, sagte Shilan Shah vom Analysehaus Capital Economics. „Wir gehen davon aus, dass sich die Bedingungen verbessern, sobald sich die Unternehmen erst einmal an das neue System gewöhnt haben.“
Die neue Steuer stelle vor allem die Inhaber kleinerer Geschäfte vor Probleme, sagte Kumar Rajagopalan, Chef des indischen Einzelhändlerverbands, der nach eigenen Angaben rund 500.000 Geschäfte vertritt. „Viele von ihnen sind es nicht gewohnt, über Transaktionen Buch zu führen und Steuererklärungen abzugeben, und sie haben keine Computer.“
Auch die sogenannte Anti-Preistreiberei-Klausel des neuen Gesetzes sorgt für Ungewissheit. Demnach müssen Unternehmen etwaige Steuervorteile durch die GST an ihre Kunden weitergeben. Andernfalls drohen strenge Strafen. Unklar ist aber, nach welchen Maßstäben das beurteilt werden soll.
Nicht zuletzt sind auch Verbraucher verunsichert, weil bis zuletzt noch nicht bei allen Produkten entschieden war, in welche der sechs neuen Steuerklassen zwischen null und 28 Prozent sie fallen – und was nun teurer und was billiger wird.
Asiens drittgrößte Volkswirtschaft nach China und Japan ist im ersten Quartal um 6,1 Prozent gewachsen. Das ist viel im internationalen Vergleich, aber dennoch das kleinste Plus seit mehr als zwei Jahren. Experten erwarten daher, dass die Zentralbank ihren Leitzins auf den tiefsten Stand seit mehr als sechseinhalb Jahren senken wird.
Die indische Regierung hatte die Wirtschaft des Landes bereits im November 2016 mit einer überraschend eingeführten Bargeld-Reform geschwächt. Im Zuge der Reform kam es zu Unruhen und Konfiszierungen von Privateigentum. Die neue Umsatzsteuer ist damit die zweite Maßnahme innerhalb kürzester Zeit, die die Kontrolle des Staates über die Bürger verstärkt.