+++Werbung+++, Juli
Der Diesel hat vor allem die großen französischen und deutschen Autohersteller begünstigt – im Falle Frankreichs allerdings mit limitiertem Gewinn für die französische Wirtschaft. Der wichtige Trend war der Abbau der Produktion in Frankreich und die Auslagerung in Billiglohn-Länder.
Der Fall Deutschlands und der deutschen Autoindustrie ist anders gelagert. Als Markt ist Deutschland weniger exponiert auf den Diesel, bei den Beständen halb so stark wie Frankreich. Die deutsche Autoindustrie ist Weltmarktführer bei Premium-Fahrzeugen, hat nach eigener Darstellung über 80 Prozent Marktanteil in diesem Segment. Die deutschen Autobauer repräsentieren in allen Antriebstechnologien von Verbrennungsmotoren die Spitze, gerade auch bei Benzinmotoren. Die Durchsetzung des Diesels in Europa hat den deutschen Herstellern enorme Gewinne bei den Marktanteilen beschert. Damit konnten sie die globale Expansion vorantreiben – auch in Märkten ohne nennenswerte Dieselpräsenz. Wichtig für ihre Expansion war vor allem China.
Das Premium-Segment kann als dasjenige bezeichnet werden, bei dem die Produktqualität am höchsten ist. Gleichzeitig konzentrieren sich die Innovationen auf dieses Segment. Die deutschen Autobauer zeichnen sich dementsprechend durch sehr hohe Anteile von Investitionen (Anlage- und vor allem Ausrüstungsinvestitionen) einerseits und Forschungs- und Entwicklungsausgaben andrerseits an Umsätzen oder Wertschöpfung aus. Die Fokussierung auf den Diesel und auf sehr leistungsstarke Motoren hatte zur Folge, dass auch andere Kernkomponenten wie komplexe Getriebe, Fahrwerke, Bremsen etc. angepasst werden mussten. Mit positiven Effekten auch für Benziner-Fahrzeuge. Die Stärke deutscher Hersteller ist die umfassende Verarbeitungsqualität, auch im Innenraum, und die rasche Nutzung der Fahrzeug-Elektronik und Adaption der Möglichkeiten digitaler Kommunikation. Sie decken eine breite Palette von Modellreihen mit unzähligen Individualisierung-Optionen ab, die eine hohe Produktionskomplexität enthält. Rund um die großen Autobauer hat sich entsprechend die ebenfalls sehr innovationsorientierte Zulieferindustrie mitentwickelt – mit ähnlichen Merkmalen wie die Autobauer selbst.
Der wichtigste Grund für den Aufstieg der deutschen Autoindustrie ist die Nachfrage. Das Premium-Segment konzentrierte in den vergangenen zwei Jahrzehnten ein besonders starkes Wachstum der Autonachfrage auf sich. Bei stagnierenden durchschnittlichen Realeinkommen der Haushalte in den OECD-Ländern nahm die Nachfrage hier überdurchschnittlich zu. Es drückt sich darin die ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung im Zeitalter der Globalisierung aus. Das Premium-Auto ist ein distinktives Qualitäts- oder bei einigen Modellen sogar Luxusprodukt, so wie es französische oder italienische Modewaren oder Schweizer Uhren sind. Der Stärke der deutschen Autobauer entspricht die Unfähigkeit anderer Wettbewerber, dies rechtzeitig zu antizipieren oder umzusetzen.
Sicher verhalf dabei die Kreditexpansion als ein anderer Aspekt der Globalisierung, deutsche Premium-Modelle für Unternehmen und Haushalte erschwinglich zu machen. Die zunehmenden Stückzahlen waren nur möglich durch die Verbreiterung von Flottenleasing, Kredit-, Leasing- und Mietformen, wie sie im Markt gegenüber dem traditionellen Kauf durch Privatpersonen dominant geworden sind.
Auf der Angebotsseite dürften die umfassende Normierung und Spezifikation von Zulieferkonditionen, welche die großen Premium-Hersteller VW, Audi, BMW, Mercedes plus Porsche in ihren Hunderten von Arbeitsgruppen seit Mitte der 1990er Jahre gemäß dem im Sommer publizierten Bericht des Spiegel vornahmen, zusätzlich Skalenerträge generiert haben. Das verbilligte die Stückkosten und die Produkte und machte diese durch Skalenerträge zusätzlich erschwinglich - bei guten Gewinnmargen.
Die deutschen haben wie die französischen Autobauer oder wie FIAT die Herstellung von Kleinwagen- und unterer Mittelklasse nach Ostmitteleuropa oder nach Spanien ausgelagert. Insgesamt ergibt sich damit das folgende Bild der Autoproduktion in Europa über die letzten Jahrzehnte.
Die PKW-Produktion hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten auf Deutschland konzentriert. Traditionelle Herstellerländer wie Italien und Frankreich haben die Produktion massiv reduziert: Italien auf einen Drittel des früheren Standes, Frankreich auf die Hälfte. Nur das Vereinigte Königreich sowie Spanien konnten die Produktion halten. Im gesamteuropäischen Kontext vollzog sich eine Verlagerung von Frankreich, Italien und von Belgien als weiterem wichtigem Auto-Produktionsstandort nach Ostmitteleuropa.
In scharfem Kontrast zur Autoindustrie samt Zulieferern in Frankreich, in Italien und in den anderen Ländern Westeuropas konnte diejenigen in Deutschland die Wertschöpfung über die letzten 20 Jahre massiv steigern. Heute repräsentieren sie fast drei Viertel der Wertschöpfung der gesamten Autoindustrie in Europa inklusive derjenigen in Ostmitteleuropa. Es ist ein extrem margenstarkes Geschäft, in dem die drei großen Autobauer eine Oligopol-ähnliche Marktstellung innehaben. Schon früher war die deutsche Autoindustrie sehr gewichtig, aber heute hat sie fast absolute Dominanz erreicht – bei den Autos auf der Basis von Verbrennungsmotoren. Anders als sonst in Westeuropa hat sich die Beschäftigung in der deutschen Autoindustrie gehalten. Da vermehrt in vorgelagerte Branchen ausgelagert wurde, ist ihr makroökonomisches Gewicht direkt und indirekt sogar ganz erheblich gewachsen. Eine zusätzliche Rolle kommt den relativ gestiegenen Löhnen und Salären in dieser Industrie zu – auch aufgrund der veränderten Zusammensetzung der Belegschaften.
Die Differenz zwischen Deutschland und den anderen traditionellen Autoländern ist riesig geworden. Der Blick auf die Produktionszahlen, d.h. Anzahl produzierte PKWs, verdeckt die völlig ungleich gewordenen Produktionswerte und Wertschöpfung der PKWs durch die extreme Spezialisierung auf die verschiedenen Segmente. Da die Kopplungseffekte auf vorgelagerte Branchen ungefähr gleich sind, ergibt sich eine riesige Diskrepanz der industriellen Entwicklung.
Gar nicht Premium ist allerdings die von allen drei großen deutschen Hersteller-Gruppen praktizierte vorsätzliche Verletzung von Emissionsvorschriften über viele Jahre hinweg. Die meisten Diesel-Fahrzeuge hätten spätestens seit 2008 gar nicht mehr zugelassen werden dürfen, weil die Emissionsvorschriften so spezifiziert waren, dass sie auch im realen Betrieb und nicht nur auf dem Prüfstand einzuhalten sind. Dabei gab es keine Notwendigkeit vom ‚Markt‘ her. Für die viel teureren deutschen PKWs fallen die Kosten einer effizienten Abgas-Reinigung beim Diesel viel weniger ins Gewicht als bei den Kleinwagen französischer und italienischer Provenienz. Und zudem sind die deutschen Premium-Hersteller unter sich – es gibt keine wesentlichen Wettbewerbseffekte.
Die beiden französischen Autobauer und FIAT/FCA haben sich in den vergangenen Jahrzehnten auf Minis, Kleinwagen, untere Mittelklasse und leichte Nutzfahrzeuge spezialisiert: Ein tendenziell margenschwaches Geschäft, bei dem die Arbeitskosten wichtig sind, und welches in Hochlohn-Ländern keine Zukunft hat. Deshalb verkümmert die Autoindustrie in diesen Ländern und ist nach Spanien und nach Ostmitteleuropa abgewandert. Dahinter stecken nicht nur gravierende Strategiefehler, die es selbstverständlich auch gibt, sondern auch wichtige makroökonomische Faktoren, welche zudem alle Industrien dieser Länder betreffen. Es ist ein Komplex von Faktoren, die vielfältig und erstaunlicherweise nirgends analysiert sind. Diese Schwäche hat aber die drei großen Autohersteller dieser Länder nicht völlig zerstört. Sie sind ‚global players' geworden und haben heute durchaus eine Chance, global zu überleben. Die vergleichsweise schwache Börsenkapitalisierung zeigt aber, dass der Markt ihre Zukunftschancen als begrenzt ansieht.
Die drei großen deutschen Autobauer hingegen sind „global player“ von anderem Kaliber. Ihre Premium-Marken in Europa und vor allem China generieren ihren hauptsächlichen Gewinn. Sie sind von der rasanten Elektrifizierung einerseits im Premium-Segment durch Tesla und andererseits durch die Zwangselektrifizierung in China speziell herausgefordert. Denn im Elektroantrieb sind sie Neustarter. Und die Elektrifizierung ist eine gewaltige Bedrohung für ganze Lieferketten in der bisher Diesel- und Benziner dominierten Industrie. Genauso und vor allem wie der von China praktizierte Protektionismus.