Finanzen

Vierter Weg: China will einen kommunistischen Kapitalismus

Lesezeit: 3 min
02.11.2017 00:15
China geht einen ganz neuen Weg: Peking setzt auf Wachstum bei der Wirtschaft und Restriktionen der Freiheit.
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Obwohl sich die chinesische Führung bemüht, einen Strukturwandel zur postindustriellen Dienstleistungsgesellschaft zu bewerkstelligen, könnte der Erfolg dieser Bemühungen gerade aufgrund des „Hard Authoritarianism“ gefährdet sein. Denn Chinas Weg eines „Wirtschaftswachstums ohne politisch-gesellschaftliche Freiheit“ stößt mehr und mehr an seine Grenzen.

Agnieszka Gehringer und Norbert F. Tofall vom Flossbach von Storch Research Institute analysieren:

Der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) ist es seit Ende 1978 gelungen, China ein enorm hohes Wirtschaftswachstum zu ermöglichen und die chinesische Wirtschaft zu modernisieren. Das chinesische nominale Pro-Kopf-BIP ist von 222,50 US-Dollar im Jahr 1978 auf 7.603,20 US-Dollar im Jahr 2014 gestiegen, obwohl die Bevölkerung im gleichen Zeitraum von 962,2 Millionen Einwohnern auf 1.367,8 Millionen gewachsen ist.

Da die politische Herrschaftslegitimation der KPCh maßgeblich auf diesem ökonomischen Modernisierungs- und Armutsbekämpfungserfolg beruht, versucht die chinesische Führung alles, um einen auch nur zeitweise wirtschaftlichen Einbruch zu verhindern.

Spätestens seit dem im Frühjahr 2011 veröffentlichten 12. Fünfjahresplan der KPCh erkennt die chinesische Führung an, dass die chinesische Wirtschaft durch erhebliche Strukturprobleme geprägt ist. Notwendig sei erstens die Umschichtung des Wachstums weg von Investitionen und Exporten hin zu einem erhöhten Binnenkonsum, zweitens die Steigerung des Anteils der Dienstleistungen und der Abbau von Überkapazitäten in der Industrie sowie drittens die Erhöhung des Anteils von alternativen Energiequellen. Hierauf aufbauend wurde im 13. Fünfjahresplan der KPCh für die Jahre 2016 bis 2020 festgeschrieben, dass der ökonomische Strukturwandel zur postindustriellen Dienstleistungsgesellschaft durch technischen Fortschritt umzusetzen sei.

Den Vorsätzen folgten Taten, wie die Daten über das Wachstumstempo und die Wachstumskomposition der sektoralen Anlageinvestitionen in der Grafik 1 veranschaulichen. Das durchschnittliche Wachstum der Anlageinvestitionen in den drei Bereichen, des Primärsektors, der Industrie und der Dienstleistungen hat sich – wie im 12. Fünfjahresplan vorgesehen – deutlich verlangsamt. Darüber hinaus wurden die Anlageinvestitionen weg von der Schwerindustrie und den weniger gewinnbringenden Industriezweigen hin zu technologisch – und wissensintensiveren Industrie- und Dienstleistungsbereichen umgelenkt.

Fraglich ist jedoch, ob es der chinesischen Führung gelingen wird, diesen höchst komplexen Strukturwandel durch zentrale Wirtschaftssteuerung von oben und im Sinne eines „Wirtschaftswachstums ohne politisch-gesellschaftliche Freiheit“ zu bewerkstelligen. Japan, Südkorea und Taiwan haben diesen Prozess zwar erfolgreich bewältigt, die meisten anderen Länder sind an dieser Aufgabe jedoch gescheitert. Bis heute hat sich trotz verdeckter Fragilitäten an der führenden Rolle der KPCh und an ihrer Ablehnung von politisch-gesellschaftlicher Freiheit nicht viel geändert.

Zur Modernisierung der Wirtschaft werden marktwirtschaftlich-kapitalistische Methoden genutzt. Individualismus und Interessenpluralismus werden aber von der chinesischen Führung bis heute nicht anerkannt. Diese seien weder mit der chinesischen Tradition noch mit dem Marxismus-Leninismus vereinbar. Tendenzen zur Pluralisierung und Konsultation sind auf Willensbildungsprozesse in den bestehenden Staats- und Parteistrukturen beschränkt. Aus diesen Gründen urteilte bereits 2013 der Chinaexperte Sebastian Heilmann: „Einen Aufbruch hin zur politischen Liberalisierung oder gar Demokratisierung Chinas werden wir auch unter der jüngst einberufenen neuen Parteiführung nicht sehen.“

Seit 2013 ist es der KPCh sogar durch Disziplinierung der politischen Elite, unverminderte Kontrolle über die Justiz und systematische Überwachung der Gesellschaft gelungen, Macht wieder zu zentralisieren und dadurch schlagkräftiger zu werden. Und der 19. Parteitag der KPCh im Oktober 2017 dürfte den Generalsekretär der KPCh Xi Jingping weiter stärken, zumal Xi die ihm vom 18. Parteitrag 2012 übertragenen Kompetenzen zur Zentralisierung von Entscheidungsprozessen und zur Disziplinierung der Partei genutzt hat. Die weitere Zentralisierung von Entscheidungsprozessen, die Disziplinierung der KPCh, die Fokussierung der Macht auf Xi Jingping gepaart mit der Handlungsnotwendigkeit der bestehenden Strukturproblemen und 4 Finanzblasen dürften die wirtschaftlichen Freiheitsräume und die Entwicklungsperspektiven von China enorm einengen.

Wohin kann sich China entwickeln? China kann erstens zurückfallen in einen „Neo-Totalitarianism“, zweitens das gegenwärtige Regime eines „Hard Authoritarianism“ aufrechterhalten, drittens zu einem „Soft Authoritarianism“, der dem Regime zwischen 1998 und 2008 entspricht, zurückkehren oder sich viertens zu einer „Semi-Democracy“ wandeln. Obwohl auf dem 19. Parteikongress der KPCh viele Ämter in der Partei neu zu besetzen sind, dürfte die Chance für einen Übergang vom gegenwärtigen „Hard Authoritanianism“ zum „Soft Authoritanianism“ nicht genutzt werden. Für Xi Jingping besteht die einfachste Option zur eigenen Machtsicherung im Ausbau des gegenwärtigen Regimes. Diese politisch vermeintlich einfache Option wird nach Ansicht des amerikanischen China-Experten David Shambaugh jedoch zu einem nur sehr begrenzten Erfolg der notwendigen ökonomischen Strukturreformen führen. Chinas wirtschaftliche Entwicklung würde laut Shambaugh stagnieren. Die ohnehin akuten sozialen Probleme würd en sich verschärfen und den Niedergang der alleinregierenden Kommunistischen Partei Chinas einleiten.

Ob und auf welcher Zeitachse diese Voraussage eintreffen wird, ist im Moment offen. Auffällig ist, dass die bisher erreichten Veränderungen (Grafik 1 oben) nach wie vor durch den staatlichen Kreditimpuls getrieben waren (siehe Grafik 2). Zwar ist ein Bemühen zu erkennen, vermehrt in Dienstleistungen und im technischen Fortschritt zu investieren. Diese Investitionsentscheidungen beruhen jedoch nicht auf dem Zulassen von schöpferischer Zerstörung und dezentralem Strukturwandel. Sie wurden bisher durch eine rasante und riskante Erhöhung der privaten Verschuldung in China begleitet (Grafik 3). Binnen zehn Jahre ist die Verschuldungsquote der nicht-finanziellen Unternehmen von 100 Prozent auf über 165 Prozent und bei den Haushalten von 18 Prozent auf beinahe 46 Prozent gestiegen.

China müsste weitgehenden Strukturwandel dezentral ohne Führung und Kontrolle durch die Kommunistische Partei zulassen, um sein Wachstumsmodell auf nachhaltige Füße zu stellen. China müsste den staatlichen Interventionismus zurückdrängen, was angesichts des Ausbaus des „Hard Authoritanianism“ leider wenig wahrscheinlich ist. Ein Weiterdrehen an dieser staatlichen Interventionsspirale dürfte die zukünftige Wirtschaftsentwicklung Chinas zusätzlich belasten. Da aber offen ist, ob die KPCh nach einem Prozess der notwendigen schöpferischen Zerstörung noch die notwendige Herrschaftslegitimation in der Bevölkerung besitzen würde, wird derzeit durch innen- und außenpolitische Machtkonsolidierung sowie durch Projekte wie die „One Belt, One Road“-Strategie versucht, Ventile zum Ablassen des Strukturanpassungsdrucks zu öffnen. Ob sich dadurch viel Zeit kaufen lässt, ist fraglich. Mittel- bis langfristig wird höchstwahrscheinlich diese Strategie der zeitlichen und geografischen Problemlösungsverschiebung nicht aufgehen, weder in China noch anderswo.

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