Finanzen

Merkel brüskiert die SPD und verhilft Glyphosat zum Durchbruch

Die Union hat die SPD bei der Neuzulassung von Glyphosat in der EU ausgetrickst.
27.11.2017 15:45
Lesezeit: 3 min

Das Pestizid Glyphosat bleibt dank überraschender Rückendeckung von Deutschland in der Europäischen Union weiter auf dem Markt. In einer Abstimmung hätten sich genügend Mitgliedsländer für die Erneuerung der Zulassung um fünf Jahre ausgesprochen, teilte die EU-Kommission am Montag mit. Sie werde das Votum vor dem Ablauf der Glyphosat-Genehmigung Mitte Dezember umsetzen. Die entscheidende Stimme kam aus Deutschland. Die Abstimmung war zuvor wiederholt vertagt worden, da die 28 Mitgliedsländer sich uneinig waren.

Bundeskanzlerin Merkel hatte stets angekündigt, sie werde sich für Glyphosat einsetzen, weil dies aus Sicht der Kanzlerin für die Landwirtschaft in Deutschland unerlässlich ist. 

Vor allem Deutschland hatte sich wieder und wieder enthalten, da das Landwirtschafts- und Umweltministerium wegen der Verlängerung über Kreuz lagen. Zurückhaltung war nach Aussagen von Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) auch bei der Abstimmung in einem EU-Ausschuss geplant. Sie habe sich in der Sache extra mit Agrarminister Christian Schmidt (CSU) abgestimmt. Schmidt habe bestätigt, dass der Dissens bestehen bleibe. Für die Abstimmung in Brüssel habe der Vertreter der Landwirtschaftsministeriums offenbar andere Weisungen erhalten.

Das Kanzleramt bemühte sich am Montagabend, den Konflikt zu entschärfen und lancierte über Reuters eine Version, die Merkel entlasten soll: Reuters schreibt unter Berufung auf anonyme "Regierungskreise", Schmidt haben die Entscheidung alleine getroffen. "Die Entscheidung fiel in seiner Ressortzuständigkeit", zitiert Reuters einen anonymen Informanten aus "Kanzleramtskreisen". Die Agentur liefert eine unbelegte Interpretation mit und schreibt, diese Information sei "ein Hinweis, dass dies keine abgestimmte Entscheidung etwa mit dem Kanzleramt war". Schmidt sei der Überzeugung gewesen, dass er mit seinem Vorgehen mehr für die Biodiversität erreicht habe, weil nun eine Schutzklausel bei der begrenzten Zulassung des Unkrautvernichtungsmittels vereinbart worden sei, zitiert Reuters seine Kanzleramtsquellen weiter.

Angesichts der Bedeutung des Themas und der Stringenz der Ausübung der Richtlinienkompetenz durch die Kanzlerin ist es allerdings so gut wie ausgeschlossen, dass es sich bei einer für ganz Europa weitreichenden Entscheidung um einen Alleingang eines vergleichsweise leichtgewichtigen CSU-Ministers gehandelt hat.

SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles sieht in der Zustimmung Deutschlands zur Verlängerung der Lizenz für den Unkrautvernichter Glyphosat einen "massiven Vertrauensbruch" innerhalb der geschäftsführenden Bundesregierung. Angesichts der einsamen und unabgestimmten Entscheidung von Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) stelle sich die Frage, ob Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre eigenen Leute noch im Griff habe, kritisierte Nahles am Montagabend vor einer Fraktionssitzung in Berlin. "Wir empfinden das wirklich als schwere Belastung", sagte sie auch mit Blick auf anstehende Gespräche mit der Union über eine Regierungsbildung. Man habe nach zwei Monaten gerade eine gescheiterte Jamaika-Sondierung erlebt. "Und ich kann nur hoffen, dass dieser 'Crash'-Kurs jetzt nicht fortgeführt wird."

Allerdings fiel die Reaktion der brüskierten Umweltministerin eher schaumgebremst aus: Barbara Hendricks sagte vor der SPD-Fraktionssitzung zu möglichen Auswirkungen auf Gespräche mit der Union über eine Regierungsbildung: "Wer Vertrauen zwischen Gesprächspartnern befördern will, der darf sich jedenfalls so nicht verhalten."

Hendricks hatte eigentlich gegen die Neuzulassung gekämpft. Allerdings ist das Thema kein Kern-Thema der SPD. Die Grünen haben während der Jamaika-Verhandlungen auch keine leidenschaftliche Ablehnung des Pestizids erkennen lassen. Ob sie vom Schwenk des Landwirtschaftsministers gewusst haben ist unklar: CSU-Chef Horst Seehofer hatte nach dem Ende von Jamaika hervorgehoben, dass sich Union und Grüne auf eine gemeinsame Agrarpolitik verständigt hätten. Zu diesem Zeitpunkt dürfte die CSU bereits gewusst haben, dass sie der Agrar-Lobby verpflichtet ist und daher für eine Verlängerung des Pestizids stimmen würde.

Schmidt verteidigte das deutsche Ja zu Glyphosat damit, dass die EU-Kommission "sich ohnehin für die Verlängerung der Zulassung von Glyphosat entschieden" hätte. Durch die Unterstützung hätte man nun wichtige Bedingungen durchsetzen können.

Kein gutes Zeichen ist der Clinch für die möglicherweise wieder auflebende große Koalition in Berlin. SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles sprach von einem "massiven Vertrauensbruch" innerhalb der geschäftsführenden Bundesregierung. Angesichts der einsamen und unabgestimmten Entscheidung von Schmidt stelle sich die Frage, ob Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre eigenen Leute noch im Griff habe. "Wir empfinden das wirklich als schwere Belastung."

Glyphosat wird seit 40 Jahren auf Feldern eingesetzt, ist aber hochgradig kontrovers. Eine Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft die Chemikalie als wahrscheinlich krebserregend ein. Untersuchungen von europäischen Lebensmittelsicherheits- und Chemiebehörden sowie aus Kanada und Japan bestätigen diesen Verdacht nicht.

Die Verbraucherorganisation Foodwatch kritisiert die Zulassung. "Wer den europäischen Vorsorgegedanken ernst nimmt, muss zu dem Schluss kommen, dass ein Wirkstoff wie Glyphosat keinen Tag länger auf den Äckern ausgebracht werden darf", sagte Verbandschef Martin Rücker.

Anders urteilt der zuständige Berichterstatter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hermann Färber: "Mit der heutigen Zulassungsverlängerung von Glyphosat wurde endlich eine Entscheidung getroffen, die sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützt und damit einen langen und politisch motivierten Streit beendet."

Glyphosat ist Kernbestandteil des umsatzstarken Mittels Roundup des US-Saatgutriesen Monsanto, den Bayer für mehr als 60 Milliarden Dollar kaufen will.

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