Millionen entsandte Arbeitnehmer in Europa sollen besser vor Sozial- und Lohndumping geschützt werden. Nach monatelangen Verhandlungen erzielten Unterhändler des Europäischen Parlaments, der einzelnen EU-Länder und der EU-Kommission in der Nacht zum Donnerstag eine Grundsatzeinigung. Sozialkommissarin Marianne Thyssen sprach von einem Durchbruch und einem ausgewogenen Kompromiss. Zentraler Punkt sei das Prinzip: gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit am selben Ort.
Vereinbart wurde nun nach Angaben der Unterhändler, dass Entsendungen grundsätzlich auf zwölf Monate begrenzt sein sollen – mit der Möglichkeit einer Ausweitung auf 18 Monate. Die entsandten Arbeitnehmer sollen von Anfang an die gleichen Tariflöhne wie ihre einheimischen Kollegen bekommen, einschließlich Extras wie ein dreizehntes Monatsgehalt oder Schlechtwetter-Zuschläge. Reise- oder Unterbringungskosten dürfen ihnen nicht vom Lohn abgezogen werden.
Gut zwei Millionen entsandte Kräfte arbeiten nach offiziellen Angaben in einem anderen EU-Land, Hunderttausende auch in Deutschland. Über die Reform der mehr als 20 Jahre alten EU-Entsenderichtlinie wird seit 2016 gestritten. Der französische Präsident Emmanuel Macron erklärte dies voriges Jahr zum Topthema. Östliche Mitgliedstaaten mit niedrigem Lohnniveau pochen auf Freizügigkeit ihrer Bürger, während die westlichen EU-Länder Lohndumping auf ihrem Arbeitsmarkt beklagen.
„Entsandte Arbeitnehmer bekommen häufig niedrigere Gehälter und haben weniger sozialen Schutz als einheimische Arbeitskräfte, einige leben unter schockierenden Bedingungen“, erklärte die sozialdemokratische Unterhändlerin des Europaparlaments, Agnes Jongerius. „Das muss sich ändern.“ Die neuen Regeln sollten dazu führen, dass Entsandte vom ersten Tag an geschützt sind und die Abwärtsspirale im Wettbewerb um Niedriglöhne und die schlechtesten Bedingungen gestoppt wird.
Unterschiede bleiben bei der Sozialversicherung, wie Thyssen bestätigte. Die entsandten Arbeitnehmer dürfen sich in der heimischen Kranken- oder Rentenversicherung versichern, deren Beiträge in Osteuropa teils viel niedriger sind als in Westeuropa. Dadurch sind die Lohnkosten unter dem Strich bei entsandten Arbeitnehmern nach wie vor günstiger als bei einheimischen.
Die osteuropäischen Länder pochen auf ihren Wettbewerbsvorteil und warnen die westlichen Partner davor, ihre Arbeitsmärkte abzuschotten. Auch in Deutschland verlassen sich etliche Branchen auf Kräfte aus Osteuropa. Sie arbeiten etwa auf dem Bau, in Schlachtbetrieben oder in der Pflege. Die deutschen Arbeitgeberverbände wollten eigentlich keine Verschärfung der Regeln, Gewerkschaften drangen darauf.
Mit dem Kompromiss sei es gelungen, die Differenzen zwischen Ost und West zu überbrücken, sagte die bulgarische Vizearbeitsministerin Sorniza Roussinova für die derzeitige Ratspräsidentschaft. „Wir bewahren einen der wichtigsten Werte Europas: die Freizügigkeit von Arbeitnehmern und die Dienstleistungsfreiheit.“
Die vorläufige Einigung wird nun zunächst mit dem Rat der Mitgliedsländer und den Gremien des Europaparlaments besprochen. Bis Mitte des Jahres soll sie endgültig beschlossen werden. Der Kompromiss baut auf Beschlüssen der EU-Sozialminister vom Oktober auf. Damals hatten allerdings die östlichen Länder Polen, Ungarn, Litauen und Lettland dagegen gestimmt.