Mehr als fünf Monate nach der Bundestagswahl bekommt Deutschland eine neue Regierung: Die SPD-Mitglieder stimmten mit einer unerwartet deutlichen Mehrheit von 66 Prozent für die Neuauflage der großen Koalition und machten den Weg frei für eine vierte Kanzlerschaft von Angela Merkel (CDU). Spitzenpolitiker von Union und SPD reagierten am Sonntag erleichtert. Merkel soll nach den Worten von Unionsfraktionschef Volker Kauder am 14. März im Bundestag wiedergewählt werden.
Der Chef der Mandatsprüfungs- und Zählkommission der SPD, Schatzmeister Dietmar Nietan, gab das Ergebnis des Mitgliedervotums am Sonntagmorgen in Berlin bekannt. Die Wahlbeteiligung lag demnach bei 78,39 Prozent und damit höher als beim SPD-Mitgliedervotum über die große Koalition vor vier Jahren. Die Zustimmung zur "GroKo" blieb dagegen hinter den knapp 76 Prozent von 2013 zurück. Insgesamt waren gut 463.000 SPD-Mitglieder zur Stimmabgabe aufgerufen.
"Wir haben jetzt Klarheit. Die SPD wird in die nächste Bundesregierung eintreten", sagte der kommissarische SPD-Chef Olaf Scholz. Mit Blick auf die innerparteilichen Debatten der vergangenen Monate fügte er hinzu: "In der Diskussion sind wir weiter zusammengewachsen." Das gebe der SPD nun die Kraft, in der Regierung "unser Land auf den richtigen Weg zu bringen" sowie den Erneuerungsprozess der Partei voranzutreiben.
Merkel gratulierte der SPD "zu diesem klaren Ergebnis". Die CDU-Chefin ließ über das Twitter-Konto ihrer Partei mitteilen, sie freue sich "auf die weitere Zusammenarbeit zum Wohle unseres Landes". CSU-Chef Horst Seehofer sprach von einer "guten Grundlage für eine stabile Bundesregierung".
Der Juso-Chef und entschiedene "GroKo"-Gegner Kevin Kühnert äußerte sich dagegen enttäuscht über den Ausgang der Basisbefragung. "Aber selbstverständlich akzeptieren wir dieses Ergebnis", stellte er klar. Kühnert kündigte an, der SPD-Nachwuchs werde weiter für eine programmatische Neuausrichtung der Partei kämpfen. Die Jusos wollten "die Garanten dieses Erneuerungsprozesses sein" und "der Regierung auf die Finger schauen".
Ursprünglich hatte der inzwischen zurückgetretene SPD-Chef Martin Schulz nach dem historisch schlechten Bundestagswahlergebnis Ende September den Gang in die Opposition angekündigt. Unter dem Eindruck der im Spätherbst gescheiterten Jamaika-Verhandlungen von Union, FDP und Grünen vollzog die SPD-Spitze dann eine Kehrtwende. Dagegen gab es aber bei den Sozialdemokraten heftigen Widerstand, so dass der Ausgang der Mitgliederbefragung lange ungewiss erschien.
Die neuerliche Koalition aus Union und SPD bedeutet, dass die AfD in dieser Legislaturperiode die stärkste Oppositionspartei im Bundestag ist. "Eine Neuauflage der faktisch abgewählten 'GroKo' wird kein einziges der Probleme lösen, die von denselben Parteien im vorigen Kabinett angehäuft wurden", erklärten die Rechtspopulisten in einer ersten Reaktion auf die SPD-Entscheidung. Partei- und Fraktionschef Alexander Gauland sagte bei einer Pressekonferenz, die AfD werde "das Hauptaugenmerk der Opposition" auf die Themen Migration, Innere Sicherheit und Europa legen.
Die Linken-Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger warnten derweil vor einer unsozialen Politik der neuen Regierung. Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock begrüßte einerseits das Ende der "politischen Hängepartie", bemängelte aber zugleich "große Leerstellen" etwa bei der Klimapolitik im Koalitionsvertrag. FDP-Chef Christian Lindner kündigte "smarte Oppositionsarbeit" seiner Partei an.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kündigte an, dem Bundestag am Montag einen Vorschlag für die Wahl der Bundeskanzlerin zu unterbreiten. Kauder bestätigte dann am Sonntagabend offiziell, dass die Wiederwahl Merkels am 14. März erfolgen werde. Darauf habe er sich mit SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles verständigt.