Politik

Medien: Auch Deutschland hatte eine Probe von Nowitschok

Der BND soll sich in den 90er-Jahren über einen russischen Wissenschaftler eine Probe von Nowitschok beschafft haben.
16.05.2018 18:48
Lesezeit: 2 min

Die Erkenntnisse über das in der Sowjetunion entwickelte Nervengift Nowitschok sollen  maßgeblich aus einer geheim gehaltenen Operation des Bundesnachrichtendienstes (BND) stammen. Der BND habe in den 90er Jahren über einen russischen Wissenschaftler eine Probe des Gifts beschafft, die in einem Labor in Schweden analysiert worden sei, berichteten die Süddeutsche Zeitung, NDR, WDR und Zeit am Mittwoch. Die Formel sei an das Bundesverteidigungsministerium und den BND übermittelt worden. Auf Weisung des damaligen Kanzlers Helmut Kohl habe der BND daraufhin unter anderem die Geheimdienste in den USA und Großbritannien informiert. In einigen NATO-Staaten seien auch winzige Mengen des Giftes produziert worden, um Schutzausrüstung, Messgeräte und Gegenmittel zu testen.

Ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums erklärte dazu laut Reuters, die Bundeswehr erforsche in Übereinstimmung mit internationalen Verträgen die Abwehr von und den Schutz vor chemischen, biologischen, radiologischen und atomaren Kampfstoffen. Um die Sicherheit der Angehörigen der Bundeswehr, aber auch der gesamten Bevölkerung sicherzustellen, nehme das Ministerium grundsätzlich keine Stellung zu Einzelheiten dieser Forschungen. "Dies umfasst sowohl die Frage, an welchen Stoffen geforscht wird, als auch die Frage der Verfügbarkeit dieser Stoffe", sagte der Sprecher. "Demzufolge werden Aussagen und Behauptungen hierzu weder bestätigt, noch dementiert oder kommentiert." Auch der BND wollte sich zu dem Fall nicht äußern.

Anfang März sollen der ehemalige britisch-russische Doppelagent Sergej Skripal und seine Tochter Julia im englischen Salisbury durch das Nervengift Nowitschok angeblich schwer verletzt worden. Großbritannien behauptet, Russland stecke hinter der Aktion. London hat allerdings bisher keine Beweise vorgelegt. Die Skripals sind nach dem angeblichen Anschlag überraschend schnell genesen, wurden aus dem Krankenhaus entlassen und sind seither von der Bildfläche verschwunden. Die russische Botschaft in London hat von der britischen Regierung einen ablehnenden Bescheid erhalten und erhält keinen konsularischen Zugang zu Skripal. Ein Sprecher sagte laut TASS, man wisse nicht, wie es den Skripals gehe und wo sie sich befänden.

Die britische Regierung hatte kurz nach der überraschenden Genesung der beiden angekündigt, ihnen neue Identitäten zu verschaffen und sie in die USA zu schicken, um ihre Privatsphäre zu schützen.

Neben Deutschland wurden auch Estland und Tschechien durch Großbritannien mit Nowitschok in Verbindung gebracht. Die New York Times berichtete unter Berufung auf einen hochrangigen Vertreter der EU, der mit der Situation vertraut ist, dass Skripal 2016 Estland besucht habe, um sich mit den Geheimdienstoffizieren des Landes zu treffen. Am Sonntag schrieb das Nachrichtenportal Respekt aus der Tschechischen Republik, dass Skripal im Jahr 2012 heimlich Prag besucht habe: "Trotz der Tatsache, dass es sich um einen kurzen Besuch handelte, war diese Reise für die lokalen Geheimdienste von Nutzen. Der ehemalige russischer Spion traf sich mit den tschechischen Geheimdiensten mindestens einmal im Vereinigten Königreich", heißt es in der Zeitung. Quellen der New York Times bestätigten diese Berichte ebenfalls.

Die russische Botschaft in London glaubt, dass diese Medienberichte über angebliche Kontakte Estlands und Tschechiens mit Skripal darauf abzielen, möglichst viele Verbündete aus den USA und Großbritannien in den Fall einzubeziehen, sagte ein Sprecher der Botschaft am Dienstag laut TASS. "Es ist ziemlich offensichtlich, dass die britischen Sonderdienste in Ermangelung irgendwelcher Beweise, die Russlands Rolle bei der Vergiftung von Sergei und Julia Skripal belegen, ihr bestes tun, um Moskaus angebliches Motiv zu finden", sagte der Sprecher der Botschaft. "Angesichts des Mangels an konkreten Beweisen für die Beteiligung Russlands ist ein Motiv die einzige Möglichkeit des Vereinigten Königreichs, eine Verbindung zwischen dem Vorfall in Salisbury und der angeblichen Beteiligung Russlands herzustellen."

Der Erfahrungsaustausch eines ehemaligen militärischen Nachrichtenoffiziers mit seinen tschechischen und estnischen Kollegen sowie seine regelmäßigen Kontakte zu seinem MI-6-Supervisor können in der Tat als eine mehr oder weniger plausible Erklärung für die ,russische Rache an dem Verräter' erscheinen. Die Botschaft wundert sich, dass diese Erkenntnisse nicht direkt von den Ermittlern kommen, sondern über Medien lanciert werden. Die Behauptungen seien für die Öffentlichkeit nicht überprüfbar.

***

Für PR, Gefälligkeitsartikel oder politische Hofberichterstattung stehen die DWN nicht zur Verfügung. Bitte unterstützen Sie die Unabhängigkeit der DWN mit einem Abonnement:

Hier können Sie sich für einen kostenlosen Gratismonat registrieren. Wenn dieser abgelaufen ist, werden Sie von uns benachrichtigt und können dann das Abo auswählen, dass am besten Ihren Bedürfnissen entspricht. Einen Überblick über die verfügbaren Abonnements bekommen Sie hier.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Finanzen
Finanzen Zinssenkung: Drückt Fed-Chef Powell den Notrufknopf?
21.04.2025

Das Risiko, dass im Finanzsystem etwas ausbrennt, wächst zunehmend. Sollte dies eintreten, könnte die US-Notenbank gezwungen sein, eine...

DWN
Panorama
Panorama Vererbter Reichtum: Der jüngste Milliardär der Welt ist ein 19-jähriger Deutscher
21.04.2025

In der Regel dauert es viele Jahre, oft Jahrzehnte, bis Menschen ein Milliardenvermögen aufbauen – meist durch harte Arbeit,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Personalbeschaffung: So erkennen Sie Lügen im Vorstellungsgespräch
21.04.2025

Fast jeder vierte Bewerber schummelt im Lebenslauf oder beim Vorstellungsgespräch – die Dunkelziffer könnte noch höher sein....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft EU investiert Milliarden in eigene KI-Gigafabriken: Brüssel will Abhängigkeit von US-Datenmonopolen beenden
21.04.2025

Die Europäische Kommission plant eine industriepolitische Offensive von historischer Dimension: Mit bis zu 20 Milliarden Euro sollen...

DWN
Politik
Politik Tech-Milliardäre planen libertäre Parallelstadt – und haben Grönland im Visier
21.04.2025

US-Tech-Milliardäre planen eine eigene Stadt – mit Grönland als möglichem Standort. Hinter dem Projekt stehen Namen wie Peter Thiel...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Lohntransparenz: geheimes Gehalt - das letzte große Tabu?
21.04.2025

Ein dänischer Berater teilt sein Gehalt auf LinkedIn – und löst eine Welle an Reaktionen aus. Warum bleibt das Thema Gehalt in Europa...

DWN
Panorama
Panorama Die bestbezahlten Bank-CEOs in Europa: Auf der Liste steht ein Deutscher
21.04.2025

Im Jahr 2024 war Sergio Ermotti, CEO von UBS, der bestbezahlte Bank-CEO Europas mit einem Gesamteinkommen von 15,6 Millionen Euro. Auf der...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Ukraine-Krieg: Frieden zwischen Ukraine und Russland kann neue Aktienrallye in Europa auslösen
20.04.2025

Deutschland als größte Volkswirtschaft Europas leidet in besonderem Maße unter den wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Kriegs. Hohe...