Die politischen Turbulenzen in Italien rufen die EZB und die Notenbank in Rom auf den Plan, die vor einer neuen Eurokrise warnen. Italiens Notenbankchef Ignazio Visco schaltete sich am Dienstag mit einer ungewöhnlich dramatischen Rede ins Geschehen ein und sagte, das Land sei "nur wenige kleine Schritte" von der schwerwiegenden Gefahr entfernt, Vertrauen zu verspielen. Visco will, wie das gesamte italienische Establishment, eine Debatte über die Euro-Mitgliedschaft in Italien verhindern. Er sagte, jede neue Regierung müsse die EU-Verträge respektieren, die die Länder der Eurozone an strenge Schulden- und Defizitgrenzen binden: "Die Spielregeln können diskutiert, sogar kritisiert werden. Sie können sicherlich verbessert werden", sagte Visco in einer jährlichen Rede über den Zustand des italienischen Wirtschafts- und Finanzsystems: "Dennoch können wir verfassungsrechtliche Zwänge nicht außer Acht lassen: Einsparungen schützen, Konten bilanzieren und die Verträge einhalten."
Die Märkte sind von den dramatischen Warnungen allerdings nicht sonderlich beeindruckt, sondern sie die Lage offenbar als sehr ernst an: Mauro Vittorangeli, Chief Investment Officer für Anleihen bei Allianz Global Investors, nannte die Marktbewegungen in der Financial Times einen "Kapitulationstag": "Das politische Risiko wird sehr komplex und die Anleger stellen ihre Positionen glatt. Die Anleger haben Angst vor der Volatilität und der politischen Situation, die völlig unberechenbar ist. Wenn die Volatilität steigt, ist es logisch, dass man sein Portfolio bereinigt."
Auch in den anderen Euro-Ländern macht sich Unbehagen breit: Die griechische Regierung fürchtet bei zunehmender finanzieller Instabilität in Italien ein Überschwappen der Probleme auf ihr Land. "Wir machen uns Sorgen, wenn es (Italien) instabil ist und es Auswirkungen auf die Finanzlage geben wird, dass uns diese Finanzlage vielleicht zusätzliche Probleme schaffen könnte", sagte der griechische Außenminister Nikos Kotzias am Dienstag in Berlin.
Vor allem die italienischen Bank-Aktien sind am Dienstag unter erheblichen Druck gekommen.
Unter Anlegern wächst bereits die Furcht vor einem Auseinanderbrechen der Euro-Zone: 13 Prozent erwarten für die kommenden zwölf Monate das Ausscheiden mindestens eines Landes aus der Währungsunion, wie die Investmentberatung Sentix in einer Umfrage unter 5000 Investoren ermittelte. Das ist der höchste Wert seit mehr als einem Jahr. Die Verunsicherung zeigt sich auch in einer Flucht der Anleger aus dem Euro. Die Gemeinschaftswährung rutschte zwischenzeitlich um 0,8 Prozent auf 1,1528 Dollar ab und markierte damit den tiefsten Stand seit zehn Monaten. "Das Gespenst einer nächsten Euro-Krise macht die Runde", sagte Analyst Jochen Stanzl vom Online-Broker CMC Markets.
Investoren warfen auch Staatsanleihen des Landes in hohem Bogen aus ihren Depots. Der Ausverkauf trieb die Rendite der zehnjährigen Titel auf ein Vier-Jahres-Hoch von 3,388 Prozent. Auch unter Managern und Verbrauchern in Italien macht sich Verunsicherung breit: Das Geschäftsklima fiel im Mai um 0,3 auf 104,7 Zähler, wie das Statistikamt Istat mitteilte. Das ist der niedrigste Stand seit Januar 2017. Das Konsumklima trübte sich ebenfalls ein. Hier fiel das Barometer vor dem Hintergrund der politischen Krise in Rom auf das niedrigste Niveau seit August 2017.
Italiens Präsident Sergio Mattarella hat knapp drei Monate nach der Wahl den IWF-Mann Carlo Cottarelli mit der Bildung einer Übergangsregierung beauftragt. Diese wird von den Wahlsiegern Fünf-Sterne-Bewegung und Lega als Affront gesehen. Im Herbst oder spätestens Anfang 2019 soll es laut Cottarelli Neuwahlen geben.
Diese Wahl werde de facto zu einem Referendum über den Verbleib Italiens in der Europäischen Union und der Euro-Zone, warnte Francesco Galietti, Chef der Politikberatung Policy Sonar laut Reuters: "Das ist eine existenzielle Gefahr für die Euro-Zone." Die Situation sei umso bedrohlicher, da der EZB die Hände gebunden seien, so Marcel Fratzscher, der Chef des Berliner Forschungsinstituts DIW: "Die EZB kann nicht sagen: Der politische Wille, aus dem Euro auszusteigen, ist vielleicht da – aber wir hindern die Regierung daran", sagte er dem Redaktions-Netzwerk Deutschland.
Sowohl in der Lega als auch in der Fünf-Sterne-Bewegung wird geprüft, als Bündnis in eine Neuwahl zu ziehen. Meinungsumfragen zufolge könnte die Lega mit deutlich mehr als den 17 Prozent der Stimmen rechnen, die sie beim Urnengang im März erhielt. Die Fünf-Sterne-Bewegung dürfte bei 30 Prozent bleiben. Dagegen dürften das Mitte-Links-Lager und konservative Parteien wie die Forza Italia weiter an Boden verlieren.
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