Finanzen

Investoren ziehen weltweit Dollar aus den Finanzmärkten ab

Die von der Federal Reserve eingeleitete Zinswende zieht große Dollar-Volumina aus den Schwellenländern ab.
08.06.2018 00:45
Lesezeit: 4 min

Die von der US-Zentralbank vorangetriebene geldpolitische Normalisierung hat zu Kapitalabflüssen aus zahlreichen Staaten geführt. Erste Zentralbanken beginnen deshalb, die Leitzinsen zu erhöhen, um Anlagen in ihren Währungsräumen attraktiver zu machen. Vielen Staaten droht der Ausbruch einer Schuldenkrise, weil sie die Zinsen für die aufgetürmten Schulden nicht mehr bezahlen können.

Am Mittwoch hatte die Reserve Bank of India zum ersten Mal seit mehr als viereinhalb Jahren die Leitzinsen erhöht. Der Anstieg von 0,25 Prozent auf jetzt 6,25 Prozent wurde insbesondere mit den Schwierigkeiten begründet, welche die geldpolitische Normalisierung der Federal Reserve für Indien ausgelöst habe. Einen Tag vor der Entscheidung hatte Urjit Patel, der Gouverneur der Reserve Bank of India, die Federal Reserve in einem offenen Brief aufgefordert, den schrittweisen Rückzug von Käufen von US-Anleihen zu stoppen und vorsichtig bei der geplanten Aufnahme neuer Schulden vorzugehen.

Aus Sicht von Patel führen diese beiden Faktoren zu einer Dollar-Knappheit in den Schwellenländern, weil Investoren aufgrund der gestiegenen Zinsen ihr Geld wieder in das US-Finanzsystem zurückleiten. Indiens Zentralbank verwies darauf, dass internationale Investoren seit dem 1. April bereits 6,7 Milliarden Dollar aus Indien abgezogen hätten, um sie anderswo anzulegen.

Die Leitzinsanhebung in Indien wird von Beobachtern eindeutig als erzwungene Reaktion, und nicht als unabhängig beschlossene Aktion eingestuft. „Die wahre Botschaft ist, dass es sich hier nicht um einen geplanten Anhebungszyklus handelt. Es sind Interventionen der Reserve Bank auf Entwicklungen im Markt“, wird ein Analyst der HSBC von der Financial Times zitiert.

Der Gouverneur der indonesischen Zentralbank sprang Patel inzwischen zur Seite. Er forderte am Mittwoch mit Blick auf die Risiken für die Schwellenländer, dass die Federal Reserve die Folgen ihrer Geldpolitik für andere Länder „umsichtiger“ bedenken solle, berichtet der Finanzblog Zerohedge. „Kommunikation ist sehr wichtig. Wir erwarten von der Fed, dass sie die Absichten ihrer Geldpolitik klarer kommuniziert, damit der Markt diese versteht und reagieren kann und damit alle Zentralbanken künftig ihre Geldpolitik danach ausrichten können“, sagte Perry Warjiyo.

Der Aufruf Warjiyos zeigt an, welch zentrale Bedeutung das Federal Reserve System offenbar für das gesamte Weltfinanzsystem innehat. Indonesiens Zentralbank hatte die Leitzinsen vor zwei Wochen zum ersten Mal seit vier Jahren angehoben. „Wenn die Situation uns zwingt, unseren Leitzins erneut anzupassen, werden wir das ohne jeden Zweifel tun“, sagte der damals noch amtierende Zentralbankchef Martowardojo, wie Finanzmarktwelt berichtet. Zu den größten Risiken zählten weitere Zinsanhebungen der Fed, steigende Kapitalmarktzinsen in den USA, höhere Ölpreise und eine Eskalation der bestehenden Handelskonflikte.

Die Ökonomen James Rickards und Brian Maher erkennen in der drohenden Dollar-Knappheit einen potentiellen Auslöser für eine große Weltfinanzkrise.

Die Federal Reserve hatte durch Käufe von US-Staatsanleihen und anderen Wertpapieren ihre Bilanz zwischen 2008 und 2015 um 3,4 Billionen Dollar ausgeweitet. Die extrem niedrigen Leitzinsen machten zudem Dollar-Ausleihungen auf der ganzen Welt praktisch zinslos möglich. Insbesondere die Schwellenländer machten von dieser Möglichkeit Gebrauch – ihre Schuldenstände stiegen aufgrund der neuen Dollar-Verbindlichkeiten in den vergangenen Jahren stark an.

Schätzungen zufolge sollen weltweit rund 60 Billionen Dollar seit dem Jahr 2008 aus dem Nichts erschaffen worden sein. Die Zinswende in den USA führt nun jedoch dazu, dass der „Preis“ für die Dollar-Schulden in Form steigender Zinsen deutlich schwerer zu begleichen ist. „Die riesige Schuldenpyramide hielt, solange die Weltwirtschaft einigermaßen kräftig wuchs und weiterhin Dollar aus den USA in alle Welt flossen“, schreibt Rickards. Nun aber ebbe das Wachstum ab und Dollar-Liquidität ströme in die USA zurück.

Der mit den Leitzinsanhebungen einhergehende Wechselkursanstieg des Dollar zu anderen Währungen verteuert damit nicht nur die Zins- und Tilgungszahlungen all jener Staaten, die in den vergangenen Jahren Schulden in Dollar aufgenommen hatten, sondern die Dollar-Knappheit führt auch dazu, dass bald möglicherweise nicht mehr genug Dollar vorhanden sind, um den Verpflichtungen nachzukommen.

Dies umso mehr, als die höheren Renditen von US-Anleihen immer mehr Investoren veranlassen, ihr Kapital in US-Anleihen umzuschichten. Denn die Steuerreform der US-Regierung führt zu einem gestiegenen Kapitalbedarf in den kommenden Jahren. Schätzungen zufolge muss Washington in den kommenden drei Jahren 3 Billionen Dollar zusätzlich aufnehmen, als bislang ohnehin geplant war, um die Zinsen auf die bestehenden Staatsschulden bezahlen zu können.

„Das alles zusammen bildet eine extrem mächtige Kombination. Geringeres Wachstum in China, ein weltweiter Handelskrieg und eine Portfolio-Umschichtung bei Investoren epischen Ausmaßes weg von Aktien hin zu Staatsanleihen wird Aktien aus den Schwellenländern und auch aus den USA schwer treffen. Im besten Fall kommt es zu Rückgängen von 30 Prozent. Im schlimmsten Fall kommt es zu einer globalen Schuldenkrise, welche die Ereignisse des Jahres 2008 wie eine müde Aufwärmübung aussehen lassen“, schreibt Rickards.

Devisenspekulanten scheinen bereits seit einiger Zeit auf die Problematik zu reagieren. In den vergangenen Wochen waren die Landeswährungen zahlreicher Schwellenländer zum US-Dollar unter Druck geraten. In der Türkei – welche sich in den vergangenen Jahren stark in Dollar verschuldet hatte – stemmte sich die Notenbank am Donnerstag mit einer weiteren Zinserhöhung gegen den Kursverfall der Landeswährung Lira. Der geldpolitische Schlüsselsatz wurde um 1,25 Punkte auf 17,75 Prozent erhöht. Um den freien Fall der Lira zu stoppen, hatten sich die Währungshüter bereits im vorigen Monat auf einer Krisensitzung zu einer kräftigen Zinserhöhung um drei Prozentpunkte durchgerungen.

Seit Anfang März steht auch der brasilianische Real zum Dollar unter großem Abwertungsdruck. In diesem Zeitraum gab der Wechselkurs von etwa 3,20 Real auf aktuell etwa 3,90 Real nach.

Der argentinische Peso sackte seit Jahresbeginn von etwa 19 Peso auf jetzt rund 25 Peso ab. Die indische Rupie verlor seit Jahresbeginn von etwa 63 Rupien auf aktuell etwa 67 Rupien zum Dollar. Der russische Rubel verlor seit April von etwa 57 Rubel auf jetzt 62 Rubel und der südafrikanische Rand zeigt seit März Abwertungstendenzen, indem er von etwa 11,50 Rand auf jetzt 13 Rand nachgab.

***

Für PR, Gefälligkeitsartikel oder politische Hofberichterstattung stehen die DWN nicht zur Verfügung. Bitte unterstützen Sie die Unabhängigkeit der DWN mit einem Abonnement:

Hier können Sie sich für einen kostenlosen Gratismonat registrieren. Wenn dieser abgelaufen ist, werden Sie von uns benachrichtigt und können dann das Abo auswählen, dass am besten Ihren Bedürfnissen entspricht. Einen Überblick über die verfügbaren Abonnements bekommen Sie hier.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

DWN
Finanzen
Finanzen Trumps Krypto-Coup: Milliarden für die Familienkasse
30.06.2025

Donald Trump lässt seine Kritiker verstummen – mit einer beispiellosen Krypto-Strategie. Während er Präsident ist, verdient seine...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Streit um Stromsteuer belastet Regierungskoalition
30.06.2025

In der Bundesregierung eskaliert der Streit um die Stromsteuer. Während Entlastungen versprochen waren, drohen sie nun auszubleiben –...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft PwC: Künstliche Intelligenz schafft Jobs nur für die, die vorbereitet sind
30.06.2025

Künstliche Intelligenz verdrängt keine Jobs – sie schafft neue, besser bezahlte Tätigkeiten. Doch Unternehmen müssen jetzt handeln,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen United Internet-Aktie unter Druck: 1&1 reduziert Prognose
30.06.2025

1&1 senkt überraschend seine Gewinnprognose trotz zuletzt guter Börsenstimmung. Der Grund: deutlich höhere Kosten beim nationalen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Inflation in Deutschland sinkt im Juni auf 2,0 Prozent: Energiepreise entlasten
30.06.2025

Die Inflation in Deutschland hat im Juni einen überraschenden Tiefstand erreicht – doch nicht alle Preise sinken. Was bedeutet das für...

DWN
Politik
Politik Trumps Schritte im Nahen Osten: Nur der Anfang eines riskanten Spiels
30.06.2025

Donald Trump bombardiert den Iran, erklärt die Waffenruhe – und feiert sich selbst als Friedensbringer. Experten warnen: Das ist erst...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Raucherpause im Job: Ausstempeln erforderlich?
30.06.2025

Raucherpause im Job – ein kurzer Zug an der Zigarette, doch was sagt das Arbeitsrecht? Zwischen Ausstempeln, Betriebsvereinbarung und...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Lufthansa sichert sich Anteile an Air Baltic – trotz Bedenken
30.06.2025

Die Lufthansa steigt bei der lettischen Fluggesellschaft Air Baltic ein – jedoch nicht ohne Bedenken der Kartellwächter. Was bedeutet...