Die Vereinigung türkischer Industrieller und Geschäftsleute (TÜSIAD), die größte Unternehmerorganisation der Türkei, fordert eine „dringende” Umsetzung von Reformen. Das berichtet die türkische Wirtschaftszeitung Dünya Gazetesi. Am 25. Juni meldete der türkische Industrie- und Handelsverband (TÜSİAD) in einer Mitteilung, dass das am 24. Juni gewählte Parlament und der Präsident einer „umfassenden” politischen und Reformagenda gegenüberstehen, die „dringend” Beachtung verdient. Sie fordert die Schaffung eines „vernünftigen” Wirtschafts-Programms und die Umsetzung von fiskalischer Disziplin, die die hohe Inflation und das Leistungsbilanzdefizit bekämpfen soll. Zudem müsse die Unabhängigkeit der Notenbank sichergestellt und eine Steuerreform, die sich bis zur „Basis” (Bevölkerung und Kleinhändler, Anm. d. Red.) erstreckt, umgesetzt werden. Dadurch soll vor allem die Schattenwirtschaft eingedämmt werden, argumentieren die Großunternehmer.
Auch die Union der Kammern und Börsen der Türkei (TOBB) fordert umfassende Reformen und eine „Konzentration auf wirtschaftliche” Fragen, so der türkischsprachige Dienst von Voice of America (VoA).
Im Bereich der Steuerpolitik hatte das türkische Amtsblatt im Zusammenhang mit einem Gesetz zur Steuer-Amnestie am 18. Mai 2018 eine Mitteilung veröffentlicht. Das Gesetz bietet Steuerpflichtigen eine Amnestie für Arten von unbezahlten Steuern und unbezahlten Sozialversicherungsprämien. Mit dem Gesetz soll unter anderem erreicht werden, dass türkische Steuerpflichtige ihre Gelder aus den Steueroasen in die Türkei zurück transferieren. Dies umfasst auch Gold, Devisen, Wertpapiere und andere Kapitalmarktinstrumente.
Verschärfung der Steuerpolitik steht an
Für eine Verschärfung der Steuerpolitik in Bezug auf die Privathaushalte setzt sich der bisherige Vize-Premier und ehemalige Finanzminister Mehmet Simsek ein. Er setzt sich nach Angaben des türkischsprachigen Diensts von Bloomberg für umfassende Reformen ein. Kurz vor der Wahl sagte er: „Wir haben ein Steuerpaket, über das im Parlament noch nicht abgestimmt wurde. Diese Reform soll sich bis zur ’Basis’ erstrecken. Das aktuelle Steuergesetz beinhaltet einige Ausnahmefälle und steuerliche Zugeständnisse. Diese werden wir vollständig aufheben, um die öffentlichen Ausgaben auszugleichen.”
Die ING Bank führt aus: „Die politischen Entscheidungsträger, darunter der stellvertretende Ministerpräsident Mehmet Simsek und der Finanzminister Naci Agbal, haben nach den Wahlen zunehmend auf eine restriktivere Finanzpolitik hingewiesen. Sie haben vorgeschlagen, dass das Wahlpaket leicht bezahlt werden könnte, da das Finanzministerium bereits an möglichen Maßnahmen/Szenarien für eine Verschärfung der Steuerpolitik gearbeitet hat.”
Vize-Premier Mehmet Simsek, der zuvor Finanzminister gewesen ist, gilt als Hoffnungsträger internationaler Finanzinvestoren. Simsek war zuvor Leiter der Abteilung für Wirtschaftsstrategische Forschung (Europa, Mittlerer Osten und Afrika) bei Merrill Lynch und Gouverneursrat des IWF und der Weltbank für die Türkische Republik.
Bereits im vergangenen Jahr hatte Finanzminister Agbal Steuererhöhungen angekündigt, die dann zu Beginn des Jahres 2018 umgesetzt wurden. Dem International Tax Review zufolge erhöhte sich die Körperschaftssteuer für Finanzunternehmen und Banken von 20 auf 22 Prozent. Die Sonderverbrauchssteuer (SCT) für Privatautos wurde um 40 Prozent erhöht. Der Einkommenssteuersatz bei einem Jahreseinkommen von Beträgen zwischen 29.001 bis 66.000 Türkische Lira wurde von 27 auf 30 Prozent erhöht, so die Zeitung Sabah.
Der englischsprachige Dienst von Reuters führt aus: „Investoren wollen sehen, ob Vize-Premierminister Mehmet Simsek einen Regierungsposten behält und andere marktfreundliche Namen wie Finanzminister Naci Agbal oder der frühere Minister Ali Babacan ernannt werden. Das würde pragmatische Reformen wahrscheinlicher machen.”
JP Morgan unterstützt die Ernennung von Simsek und Agbal in Erdogans Kabinett und Wirtschafts-Team. „Neue Namen würden zu Unsicherheiten führen” zitiert Bloomberg JP Morgan aus einer Mitteilung.
Druck auf türkische Assets bleibt bestehen
Neel Gopalakrishnan von der DBS Bank meint, dass der Druck auf die Assets in der Türkei unter Druck bestehen bleiben wird, „wenn die politischen Maßnahmen nicht die hohe Inflation und die externe Abhängigkeit des Landes berücksichtigen”. Die Zentralbank habe die Zinsen nicht so stark angehoben wie in einigen anderen Ländern, weil die Regierung sich auf das BIP-Wachstum konzentriert und nicht auf die Inflation oder die die Währungsstabilität, berichtet CNBC.
Ashish Goyal, Leiter der Emerging Markets bei NN Investment Partners, sagte, dass die Türkei wahrscheinlich mit vielen Herausforderungen konfrontiert sein werde, da sie ein großes Haushaltsdefizit, „aber keine Ersparnisse habe, um sie zu finanzieren”.
„Alle Augen werden jetzt auf Erdogans Ernennung der Minister gerichtet sein und die Märkte werden genau beobachten, ob pragmatische Reformisten ernannt werden”, sagte Paul Greer von Fidelity International CNN Money.
Die ING Bank führt in einer Analyse aus: „Die Marktbewegungen werden nun wahrscheinlich durch die Art und Weise bestimmt, wie die Regierung die Wirtschaft und den spezifischen Policy-Mix verwaltet.” Die ING Bank wörtlich: „Bei früheren Wahlen der AKP und Erdogans zeigten sich positive Marktreaktionen, in einigen Fällen sogar Rallyes aufgrund eines vermeintlichen Endes der politischen Unsicherheit. Frühzeitige Kursbewegungen nach Bekanntgabe der inoffiziellen Ergebnisse (vom Sonntag, Anm. d. Red.) zeigen eine gewisse Verbesserung der Stimmung mit einer Stärke in der Währung. Für die Märkte sind jedoch die politischen Aussichten nach den Wahlen von Belang, da die jüngsten Äußerungen des Präsidenten Erdogan die Absicht zeigen, nach den Wahlen mehr Verantwortung für die Geldpolitik zu übernehmen (...) Ein anhaltender lockerer finanzpolitischer Kurs zur Wiederbelebung des Wachstums könnte die Märkte aufgrund bereits hoher Inflationsaussichten und steigender Staatsanleiherenditen belasten (...) Mit Blick auf die Zukunft erwarten wir, dass die Inflation mit dem Einbruch der Währung (...), weiter steigen wird (...) Auf der anderen Seite haben sich die Aussichten für die Kapitalströme seit dem letzten Quartal 2017 in gewissem Maße abgeschwächt und zeigen die Auswirkungen eines schwierigeren globalen Umfelds und der Volatilität an den globalen Finanzmärkten sowie eine Verschlechterung der makroökonomischen Risikowahrnehmung für die Türkei. Dies lässt wenig Raum für politische Selbstzufriedenheit. Obwohl die jüngsten Daten vom April 2018 auf eine Erholung der Kapitalströme hindeuten, wird dies nicht lange andauern (...). Die Lockerung der Fiskalpolitik hat jedoch die Befürchtung ausgelöst, dass die öffentliche Verschuldung, die derzeit bei unter 30 Prozent des BIP liegt, wieder steigen würde. Ob die politischen Entscheidungsträger nach den Wahlen eine wachstumsorientierte Ausrichtung beibehalten, wird unseres Erachtens den fiskalpolitischen Ausblick bestimmen (...). Die CBT hat ihre Strategie zur Sicherung der Preisstabilität mit starken Zinserhöhungen im Mai und Juni fortgesetzt und damit signalisiert, dass politische Entscheidungsträger wie Mehmet Simsek unabhängig bleiben (...). Negative Spillover-Effekte durch eine übermäßige Schwäche der Türkischen Lira in den Unternehmensbilanzen sollten schnell behoben werden. Die kurzfristige Devisenposition des nichtfinanziellen Sektors, die per März 2018 bei 222 Milliarden US-Dollar (mehr als 25 Prozent des BIPs) lag, war eine Quelle der Anfälligkeit für die türkische Wirtschaft, obwohl diese Zahl die natürlichen und finanziellen Absicherungen nicht vollständig widerspiegelt.”
Nach dem Sieg des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am Sonntag hat die türkische Lira deutlich zugelegt. Die Währung gewann knapp drei Prozent an Wert gegenüber dem Dollar und notierte am Montagmorgen bei 4,54 Lira, bevor sie wieder leicht an Wert verlor. Der türkisch-amerikanische Ökonom Dani Rodrik schrieb diesbezüglich über den Kurznachrichtendienst Twitter: „Die Märkte lieben einen ’starken Führer, der die Kontrolle hat’”.
„Kurzfristig könnten die Märkte erleichtert werden, da eine Phase der politischen Instabilität vermieden wurde. Aber jede Rallye könnte schnell umgekehrt werden, wenn Präsident Erdogan seine gestärkte Position dazu nutzt, eine lockere Fiskal- und Geldpolitik zu verfolgen, wie wir es für wahrscheinlich halten“, sagte Jason Tuvey, leitender Emerging Markets-Ökonom bei Capital Economics, dem englischsprachigen Dienst von Reuters.
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