Politik

Widerstand gegen Erdogan: „Lira schmilzt dahin wie eine Kerze“

In der regt sich nach dem Lira-Crash erster Widerstand gegen Präsident Erdogan.
11.08.2018 00:27
Lesezeit: 3 min

In der Türkei wächst wegen des Lira-Crashs der Widerstand gegen Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Der Chef der Oppositionspartei CHP, Kemal Kilicdaroglu, schrieb am Freitag per Twitter: “Er hatte uns gesagt, dass der Staat mit Verdiensten, Wissen, Erfahrung und Gerechtigkeit regiert wird. Doch mit Rhetorik lässt sich kein Staat regieren. Wenn die Türkische Lira zum Dollar wie eine Kerze dahinschmilzt, dann ist das das Ergebnis der Inkompetenz der Führung. Sie haben es soweit gebracht, dass man noch nicht mal Kredite mit anderen Krediten begleichen kann. Sie müssen sich verschulden, um die Tilgungsraten mit neuen Krediten zu tilgen. Deshalb sagen wir: Die Türkei wird nicht regiert, sondern zerstäubt.”

Saruhan Oluc, Sprecher der türkisch-kurdischen Partei HDP, sagte am Freitag in einer Mitteilung: “Es gibt keinen Wirtschaftskrieg, sondern eine Krise und ein Fiasko, das durch falsche politische und wirtschaftliche Entscheidungen der Regierung ausgelöst wurde. Seit dem 24. Juni hat die Türkische Lira 33 Prozent an Wert verloren. Der Produzentenpreisindex und die Zinsen sind auf jeweils 25 Prozent gestiegen. Das Volk ist heute ärmer als gestern. Und morgen wird das gesamte Volk leider noch ärmer werden. Während das Land sich am Rand des Abgrunds befindet, profitieren regierungsnahe Kreise von diesen Turbulenzen.”

Der Politiker der nationalistischen Partei MHP, Aydin Ünlü, kritisiert in einer Stellungnahme in der Zeitung Cagdas Kocaeli den Aufruf des türkischen Präsidenten, Dollar in Türkische Lira zu wechseln. “Tatsächlich tobt ein Wirtschaftskrieg. Um den Staat zu stützen, gibt es Leute, die ihre Dollars in Türkische Lira wechseln. Doch es gibt auch viele, die das Gegenteil tun. Es gibt eine Diskrepanz zwischen jenen, die verkünden, sie seien auf Seiten des Staats, der MHP oder der AKP und in Wirklichkeit Hunderttausende von Dollars kaufen, und denjenigen, die tatsächlich Dollars in Türkische Lira wechseln.”

Der HDP-Abgeordnete Garo Paylan schrieb bereits am 9. August 2018 über den Kurznachrichtendienst Twitter: “Berat Albayrak hat sich vor der Vorstellung seines Wirtschaftsprogramms am morgigen Tag mehrmals mit den Wirtschaftsbossen und Vertretern der Finanzwelt getroffen, um Gespräche zu führen. Es fanden keine Treffen mit den Arbeitern, den Gewerkschaften, Rentnern oder Bauern statt. Dieses Programm ist darauf ausgelegt, das Kapital auf dem Rücken der Schaffenden zu retten.”

Der ehemalige Weggefährte des türkischen Präsidenten, Abdüllatif Sener, sagte am Donnerstagnachmittag über den Kurznachrichtendienst Twitter: “Eine demokratische Regierung kann keine Wirtschaftskrise wollen. Denn eine Krise bedeutet auch das Ende der Regierung. Aber ein Diktator? Er könnte sich denken: “Jetzt müsste es eine große Krise geben, damit der Markt zusammenbricht und die Leute ihre Ersparnisse verlieren. Die politische Autorität soll künftig auch die einzige geldpolitische Autorität werden.”

Die Vorsitzende der oppositionellen IYI-Partei, Meral Aksener, sagte am Freitagnachmittag nach Angaben von OdaTV: “Wir sitzen alle im selben Boot. Das Boot nennt sich Türkische Republik. Wir haben einen Aufruf an den Präsidenten: Befreien Sie sich von ihren Wirtschaftsberatern, von denen Sie umzingelt sind. Die Türkische Republik ist nicht Ihr Familienunternehmen. Als die die wirtschaftlichen Daten verschlechtert haben, haben Sie das selbst getan. Doch wir sind bereit mit Ihnen zusammenzuarbeiten, um eine Lösung zu finden. Wir stehen im Namen der Türkischen Republik und des türkischen Volks auf Seiten der Regierung. Hören Sie auf, bei der Notenbank zu intervenieren.”

Die Türkei ist nach der Anhebung von Zöllen durch die USA intensiv um eine Verhandlungslösung bemüht. "Wiederholte Bemühungen, der US-Regierung klarzumachen, dass keines der für die Zollerhöhungen genannten Kriterien auf die Türkei zutrifft, blieben fruchtlos", erklärte Handelsministerin Ruhsar Pekcan am Freitag. "Trotzdem, wir flehen Präsident Trump an, an den Verhandlungstisch zurückzukehren." Der Streit könne und solle durch Dialog und Zusammenarbeit beigelegt werden.

Die Ankündigung der Zollerhöhung hat die Talfahrt der türkischen Währung noch beschleunigt und den Druck auf die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan erhöht.

Trump ordnete im Streit um den in der Türkei festgehaltenen US-Pastor Andrew Brunson eine Verdoppelung der Sonderzölle auf Stahl und Aluminium aus der Türkei an. Die Lira brach zeitweise um etwa ein Fünftel ein. Erdogan rief seine Landleute zur Einheit auf: "Wer denkt, er wird uns durch Wirtschaftsmanipulationen in die Knie zwingen können, kennt uns nicht." Er forderte die Bevölkerung auf, Euro, Dollar und Gold in die Landeswährung zu tauschen. "Wir werden den Wirtschaftskrieg gewinnen", sagte er.

Das Außenministerium erklärte, die Türkei werde mit Gegenmaßnahmen reagieren. Zugleich erklärte es, solche Probleme sollten durch Diplomatie und Dialog und guten Willen beigelegt werden.

Am Freitagnachmittag hat der türkische Präsident Erdogan ein Telefonat mit seinem russischen Amtskollegen Putin geführt. CNBC berichtet: “Der türkische Präsident Tayyip Erdogan und der russische Vladimir Putin haben sich am Freitag in einem Telefonat gegenseitig gesagt, dass sie mit der positiven Richtung ihrer Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zufrieden sind, sagte eine Quelle des türkischen Präsidialamts. Erdogan und Putin äußerten sich ebenfalls zufrieden über die Zusammenarbeit zwischen der Türkei und Russland in der Energie- und Verteidigungsindustrie, so die Quelle.”

Der Hürriyet zufolge sagte Erdogan über das Gespräch: “Ich habe vorhin mit Putin gesprochen. Im aktuellen Jahr gibt es zahlreiche Touristen aus Russland. Ich gehe davon aus, dass wir dieses Jahr sechs Millionen russische Touristen empfangen werden. Unsere Beziehungen werden auch weiterhin sehr eng sein.”

Die Financial Times führt aus, dass die Türkei nur fünf Handlungsoptionen habe: Eine Erhöhung des Leitzinses durch die türkische Notenbank, IWF-Kredite, Aussöhnung mit den USA, Kapitalverkehrskontrollen oder einfach abwarten, dass die aktuelle Phase vorübergeht.

Die Türkei ist nach dem Absturz ihrer Landeswährung bislang nicht an den Internationalen Währungsfonds (IWF) mit der Bitte um Unterstützung herangetreten. Das teilte IWF-Sprecherin Randa Elnagar am Freitag in Washington mit. Es sei von der Türkei auch nicht signalisiert worden, dass sie solch einen Schritt ins Auge fasse.

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