Politik

Bundesregierung bekommt Renten-Problem nicht in den Griff

Lesezeit: 5 min
26.08.2018 23:55
Die Bundesregierung weiß nicht, wie sie das Renten-Dilemma lösen soll. Sie will versorgen, kann das aber nicht finanzieren.

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Ergebnislos ist der so genannte Renten-Gipfel der deutschen Bundesregierung in der Nacht auf Sonntag zu Ende gegangen. Die anschließende Beschwichtigung, man habe ohnehin nur Sondierungen vornehmen wollen und werde kommende Woche weiterverhandeln, machte die Sache nicht besser. Die SPD versucht mit ihren Forderungen nach höheren Sozialleistungen in allen Bereichen und somit auch bei der Rente zu punkten. Eine tatsächliche Renten-Reform müsste anders aussehen. Die schlechten Umfragewerte der Partei von Andrea Nahles zeigen, dass dieser Weg nicht zum Erfolg führt.

Das Renteneintrittsalter ist der entscheidende Faktor

Vor allem haben sich die SPD-Spitzen darauf eingeschworen, eine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters zu verhindern. Eine derartige Maßnahme ist aber die Kernvoraussetzung für eine langfristige Sicherung der Renten. Durch die gestiegene und weiter steigende Lebensdauer kommt es zu enormen Kosten, die nur durch längere Arbeitskarrieren gesenkt werden könnten und müssten. Die Behauptung der SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles, ein späterer Renteneintritt würde eine Kürzung der Renten bedeuten, bezieht sich auf die aktuelle Berechnungsmethode, die unschwer korrigiert werden könnte. Tatsache ist vielmehr, dass, wenn alle oder zumindest sehr viele länger arbeiten, für alle mehr Mittel zur Verfügung stehen.

Die Distanzierung der SPD von den Schröder-Reformen ist der falsche Weg

Längeres Arbeiten setzt voraus, dass der Arbeitsmarkt flexibel ist und dass keine gesetzlichen und sonstigen Schutzmaßnahmen für Einschränkungen sorgen. Somit wäre anstelle einer Abwehr des späteren Ausscheidens aus dem Arbeitsleben eine aktive Arbeitsmarktpolitik vonnöten, die insbesondere Älteren Chancen eröffnet. Den Weg der Flexibilisierung des Arbeitsmarkts ist die SPD unter Bundeskanzler Gerhard Schröder zwischen 1998 und 2005 gegangen, womit ein entscheidender Beitrag zum Aufschwung Deutschlands in den vergangenen fünfzehn Jahren geleistet wurde. Statt diese Politik fortzusetzen und den mittlerweile weiter veränderten Verhältnissen anzupassen, distanzieren sich die heutigen SPD-Spitzen laufend von Schröder und wollen mit Versorgungsmaßnahmen altsozialistischer Prägung die Wähler überzeugen.

Auf die Schimäre der 48 Prozent sollte verzichtet werden

In den Mittelpunkt ihrer Politik rückt die SPD die Forderung nach Sicherung der Relation der Rente zum Aktiveinkommen bei 48 Prozent. Noch vor dem Sommer pochte Arbeitsminister Hubertus Heil, SPD, auf die Fixierung bis 2025, mittlerweile hat die SPD, angetrieben von ihrem stellvertretenden Parteivorsitzenden Olaf Scholz, das Jahr 2040 auf ihre Fahnen geschrieben.

48 Prozent sind schon für sich kein überzeugender Wert, wenn man bedenkt, dass etwa jeder zweite Bundesbürger mit der gesetzlichen Rente das Auslangen finden muss und keine weiteren Einkommen im Alter hat. Die Politik wird also alles tun müssen, um nicht nur diesen Wert auf Dauer zu halten – „48 Prozent bis 2040“ ist nur ein politischer Gag -, sondern generell dafür zu sorgen haben, dass Altersarmut verhindert wird. Dies ist nicht über eine Anhebung der Steuern und Beiträge, die ohnehin schon hoch sind, zu erreichen, sondern über eine Entlastung des Systems durch generell spätere Rentenstarts.

Nicht genug, dass 48 Prozent kein überzeugender Wert sind - die 48 Prozent sind eine fiktive Größe, eine Schimäre.

Die 48 Prozent werden in der Amtssprache als „Sicherungsniveau“ bezeichnet. Dieser Begriff soll die Relation des Alterseinkommens zu den Aktivbezügen umschreiben.

  • Angesprochen ist aber mit den 48 Prozent die so genannte „Standardrente“, die man erhält, wenn 45 Jahre hindurch das „Durchschnittseinkommen“ bezogen hat. Dieser Durchschnittswert gilt naturgemäß nur für wenige Personen.
  • Die Verwirrung geht aber noch weiter. Zur Berechnung des „Sicherungsniveaus“ werden bei den „Durchschnittseinkommen“ und bei der „Standardrente“ nur die Sozialversicherungsbeiträge abgezogen, nicht aber die Steuer.
  • Somit sagt der ohnehin fiktive Wert von 48 Prozent nichts über die entscheidende Netto-Ersatzrate, also über das Verhältnis der Netto-Rente zum früheren Netto-Aktiveinkommen aus.

Unter diesen Umständen sollte man sich in der SPD nicht wundern, dass der Schlachtruf „48 Prozent bis 2040“ keine Begeisterungsstürme auslöst.

Die Pläne der SPD führen zu einer Überforderung der Aktiven

Unbestritten ist, dass die Finanzierung der Renten in den kommenden Jahren teurer wird. Dies ergibt sich schon aus der bestehenden Struktur. Zusätzlich wirkt der Umstand, dass die geburtenstarken Jahrgänge aus der Baby-Boom-Periode der fünfziger und sechziger Jahre in die Rente drängen. Und die nachfolgenden Jahrgänge geburtenschwächer waren und somit in absehbarer Zeit eine kleinere Aktivbevölkerung die Renten der zahlreicher werdenden Älteren finanzieren muss.

Bereits jetzt hat Deutschland eine im internationalen Vergleich hohe Abgabenquote, die als kritisch angesehen wird. Wechseln die derzeit Aktiven zu dem bisher üblichen Alter und zu den bisher üblichen Renten in den Ruhestand, dann zahlen die verbleibenden und nachwachsenden Aktiven unweigerlich mehr für die Alten, wodurch die Abgabenquote weiter steigen muss. Die Zahlungen der Jungen für die Alten im Rahmen des gesetzlichen Umlagesystems werden stets als „Generationenvertrag“ zwischen Jung und Alt bezeichnet, also bedeutet der Ruf „48 Prozent bis 2040“, dass die SPD bereit ist, die nachwachsenden Generationen zusätzlich zu belasten. Und das in einer Zeit des totalen Wandels, der alle Unternehmen und alle Beschäftigten vor enorme Herausforderungen stellt.

Immer deutlicher wird nach höheren Steuern und Beiträgen gerufen

Noch vor dem Sommer verkündete Arbeitsminister Heil,

  • dass die Beiträge nicht über 20 Prozent steigen werden, womit der Schein einer Bremse vermittelt wurde.
  • Tatsächlich bedeutete schon diese Aussage, dass die Beiträge von derzeit 18,6 Prozent auf 20 Prozent erhöht werden.
  • Auch wurde gesagt, dass der Bundesbeitrag, der 2017 90,9 Mrd. Euro betrug und somit 28 Prozent des Budgets entsprach, nur moderat zunehmen werde. Mittlerweile ist schon generell von höheren Zahlungen des Staates die Rede.
  • Wie meist in sozialpolitischen Debatten kommt es zur klassenkämpferischen Forderung nach einer Besteuerung der „Reichen“, obwohl der Mittelstand schon jetzt den Großteil der Steuerlast trägt.
  • Auch die Wiedereinführung der seit 1997 nicht mehr erhobenen Vermögensteuer wird diskutiert, obwohl eine derartige Maßnahme negative Folgen hätte:
  • Betroffen wären Immobilien, die für zahlreiche Bürger einen wesentlichen Teil der Altersvorsorge bilden.
  • Im unternehmerischen Bereich sichern die Vermögen die Existenz vieler Betriebe ab.
  • Steuertechnisch ist eine Vermögensteuer immer nur begrenzt ergiebig, da sie die Besteuerungsgrundlage Stück für Stück vernichtet.
  • Reichensteuern, die nur die tatsächlich Reichen treffen, können keine Probleme lösen, weil es zu wenig Reiche gibt. Von den 83 Millionen Deutschen sind weniger als 200 Milliardäre und etwas mehr als eine Million haben ein Vermögen von mehr als einer Million Euro.

Die hohen Steuereinnahmen wecken naturgemäß Begehrlichkeiten

Der Umstand, dass der Bundeshaushalt 2017 mit einem Überschuss abgeschlossen hat und auch in den ersten Monaten des Jahre 2018 die Steuereinnahmen reichlich geflossen sind, weckt naturgemäß Begehrlichkeiten. Zwar ist von zusätzlichen Steuern und Beiträgen die Rede, doch klingt schon durch, dass der Finanzminister nicht auf dem prall gefüllten Steuersäckel sitzen möge, sondern den Rentnern das Leben erleichtern soll.

Dieses Argument wäre sogar durchaus zu verteidigen:

  • Schließlich profitiert der Fiskus seit Jahren von den niedrigen Zinsen und genau diese niedrigen Zinsen haben die Ergebnisse der kapitalgedeckten Vorsorge-Produkte gedrückt, die im Gefolge der Renten-Reform 2001 den Ausgleich für die geringeren, gesetzlichen Renten bringen sollten.
  • Die Bezieher gesetzlicher Renten haben über die die im internationalen Vergleich niedrigeren Bezüge einen entscheidenden Beitrag zur Sanierung der Budgets und zum nun gegebenen Überschuss geleistet.
  • Der Finanzminister hätte gleichsam eine „moralische“ Bringschuld.

Allerdings sollte der deutsche Finanzminister eher den aktuellen Geldsegen nützen, um die hohe Steuer- und Abgabenquote zu senken, um so die derzeit gegebene, am Handelsbilanzüberschuss abzulesende Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft langfristig abzusichern. Dabei müsste der deutsche Finanzminister bedenken, dass der aktuell prächtige Zustand der Staatsfinanzen gefährdet ist.

  • Die niedrigen Zinsen werden auf Dauer nicht halten. Höhere Finanzierungskosten werden rasch den Überschuss in ein Defizit verwandeln.
  • Die gute Konjunktur, die für hohe Steuereinnahmen gesorgt hat, flaut ab.
  • Wie auch immer die Renten-Politik ausgehen wird, der Staatszuschuss wird steigen und in Kürze die 100-Mrd.-Euro-Marke überschreiten.
  • Durch den BREXIT fehlen die Zahlungen aus London für Brüssel und so werden die deutschen Beiträge steigen müssen.
  • Die Verteidigungsausgaben erhöhen sich im Gefolge der im Rahmen der NATO vereinbarten zusätzlichen Leistungen.

Für Finanzminister Olaf Scholz haben offenkundig andere Themen Vorrang

Der deutsche Finanzminister heißt aber Olaf Scholz, ist, wie erwähnt, stellvertretender Vorsitzender der SPD, liegt in den Umfragen deutlich vor seiner Chefin Andrea Nahles und hat offenkundig andere Interessen. Scholz war es, der den wenig hilfreichen Schlachtruf „48 Prozent bis 2040“ vor kurzem in die politische Manege warf und damit Arbeitsminister Hubertus Heil und Andrea Nahles überrascht, man könnte auch sagen überrumpelt hat. Zudem wurden aus dem Umkreis von Olaf Scholz die klassenkämpferischen Forderungen nach Reichensteuern kolportiert. Selbstverständlich ist auch Scholz gegen eine Anhebung des Renteneintrittsalters. Es wird also nicht verwundern, wenn die nächste Führungsdebatte in der SPD unter dem Motto „Scholz gegen Nahles“ veranstaltet wird. Und die SPD weiterhin mit linken Parolen zu punkten versucht, die schon Martin Schulz ins Abseits getrieben haben.

Hier findet ein Treppenwitz der Geschichte statt: Die Reformen des SPD-Kanzlers Gerhard Schröder und seiner Mitstreiter haben dazu beigetragen, dass Deutschland, das zur Jahrtausendwende als „kranker Mann“ Europas galt, jetzt die erfolgreichste Volkswirtschaft der EU ist und die Voraussetzungen hätte, den aktuell tiefgreifenden Wandel besser zu bewältigen als die anderen EU-Staaten. Nun treten Schröders Nachfolger in der SPD für die alte, sozialistische Versorgungspolitik ein, statt die neuen Herausforderungen anzunehmen und sich um eine aktive Mitgestaltung zu bemühen.

                                                                            ***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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