Politik

Presseschau zu Maaßen: „Eine brandgefährliche Konstellation“

Lesezeit: 4 min
19.09.2018 00:59
Viele Medien hatten den Rücktritt von Verfassungsschutz-Präsident Maaßen gefordert. Nun sehen sie die Regierung in einer schweren Krise.
Presseschau zu Maaßen: „Eine brandgefährliche Konstellation“

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Zahlreiche Medien hatten in den vergangenen Tagen teils vehement den Rücktritt von Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen gefordert. Auslöser waren Maaßens Zweifel an der Aussagekraft eines Videos der bis heute unbekannten Gruppe "Antifa Zeckenbiss". Nun reagieren viele Zeitungskommentatoren verstört über die nicht vorhersehbare Volte der Bundesregierung. Die meisten sehen die Koalition aus CDU, CSU und SPD am Abgrund.

«Süddeutsche Zeitung»

Ein politisch nicht mehr zu haltender Behördenleiter ist da mit einem neuen Spitzenposten versorgt worden. Wer jetzt motzt, so viel Nachsicht habe Maaßen nicht verdient, hat recht. Ein Verfassungsschutzpräsident, der zur Radikalisierung im Land und zu tagelangen braunen Festspielen in Chemnitz kein kritisches Wort zu sagen hatte, es sich gleichzeitig aber nicht verkneifen mochte, mit verschwiemelten Mutmaßungen für Verunsicherung zu sorgen, hat in wichtigen Ämtern nichts verloren...Ein Trio Infernale aus dem Innenminister, dem Bundespolizeichef und dem Verfassungsschutzpräsidenten hat die nur mühselig zusammengezimmerte Bundesregierung immer wieder vor sich hergetrieben. In Zeiten rechtsextremistischer Anfechtung aber ist das eine brandgefährliche Konstellation.

«FAZ»

Gestritten wurde nach Maaßens Aufstieg zum Säulenheiligen der Merkel-Kritiker und zum Mephisto der Merkel-Verteidiger nicht mehr nur um einen Spitzenbeamten, sondern um die ewigen Fragen der Migrationsdebatte: ob „wir es schaffen“ oder nicht, ob der Optimismus berechtigt war oder doch eher die Sorge, ob die Ausländer das größere Problem sind oder die Ausländerfeinde. Für die einen ist Maaßen der Held, der „die Wahrheit“ nicht allein über Chemnitz sagte und deswegen „gehetzt“ wird. Für die anderen ist er der illoyale Beamte, der sich AfD und Pegida als Sprachrohr und Kronzeuge zur Verfügung stellte.

«Bild»

Tagelang streitet die Große Koalition darüber, ob der Chef des Verfassungsschutzes rausgeworfen gehört. Die Regierung droht an dieser Frage zu zerbrechen. Am Ende einigt man sich darauf, dass Hans-Georg Maaßen nicht rausgeworfen, sondern befördert wird - und alle sind glücklich und zufrieden. Man kann kein besseres Beispiel für Politik finden, die kein normaler Mensch mehr versteht.

«Westfalen-Blatt» (Bielefeld)

So einen Rauswurf wünscht sich wohl jeder Arbeitnehmer. Den Posten als Verfassungsschutzpräsident muss Hans-Georg Maaßen zwar räumen. Dafür aber fällt er - und zwar vom Ansehen wie von der Besoldung her - kräftig die Karriereleiter rauf. Mit dieser Entscheidung dokumentiert die Bundesregierung eindrucksvoll ihre Ohnmacht. Politik des allerkleinsten gemeinsamen Nenners und peinliches Bemühen um bloße Gesichtswahrung - mehr ist nicht drin. Kanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel, Innenminister und CSU-Chef Horst Seehofer und die SPD samt Andrea Nahles an der Spitze stellen sich selbst ein Armutszeugnis aus. Sollte das in den vergangenen 14 Tagen zur Aufführung gebrachte Trauerspiel Vorbote dessen sein, was uns im Verlauf der Legislaturperiode seitens dieser Großen Koalition noch erwartet, so muss einem angst und bange werden.

«Zeit Online» 

Das Signal, das von dieser Beförderung ausgeht, ist verstörend: Ein Mann, der eine einmalige Vertrauens-, Regierungs- und Glaubwürdigkeitskrise ausgelöst hat, sollte keine Führungsposition im Innenministerium bekommen. Maaßen hat das Geschäft der Rechtspopulisten betrieben. Mit seinem unbelegten Vorwurf zu »gezielten Falschinformationen« in Chemnitz hat er die Grenze zur Verschwörungstheorie überschritten - und damit gekratzt an der wichtigsten Währung der Demokratie: Vertrauen. Das ist die Methode Trump.

«Der neue Tag» (Weiden)

Merkel, Seehofer und Nahles ging es mit dieser Entscheidung aber auch gar nicht darum, einen sauberen Schnitt zu machen, sondern darum, ihr Gesicht zu wahren. Was jetzt allerdings wie der souveräne Kompromiss einer starken Koalition erscheinen soll, ist in Wahrheit Zeugnis ihrer Schwäche. Denn der Wirbel um den Verfassungsschutzchef war eigentlich ein vergleichsweise laues Lüftchen. Einen echten Sturm wird die Regierung nicht mehr so einfach überstehen.

«Nürnberger Nachrichten»

«Wenn es doch noch etwas Positives im Fall des Hans-Georg Maaßen gibt, dann das: Die AfD behauptet stets, dass Merkel-Kritiker mundtot gemacht werden. Nein, ganz und gar nicht. In diesem Fall wurde einer befördert und bekommt nun statt etwa knapp 11600 Euro monatliches Grundgehalt zukünftig rund 14200 Euro.»

«Flensburger Tageblatt» 

Wir haben doch richtig verstanden, oder? Als Geheimdienstchef ist Maaßen untragbar, aber als Staatssekretär für Sicherheit genau der Richtige? Wer soll das noch verstehen? Noch am Wochenende hatte SPD-Chefin Andrea Nahles getönt, dass sie diesem Mann nicht vertrauen könne. Hat aber kein Problem damit, dass Maaßen nun eine Stufe höher wirken darf. Kurzkritik: Große Welle gemacht, am Ende aber mal wieder eingeknickt. Man möchte ja schließlich an der Macht bleiben. Man kann nur noch mit dem Kopf schütteln.

«Mannheimer Morgen» 

Dieses ganze Trauerspiel kennt nur einen großen Profiteur: die AfD. Sie hat Maaßen längst zum Märtyrer für ihre flüchtlingsfeindliche Haltung gemacht. Seine Versetzung passt nun trefflich in dieses Bild. Und die schwache Vorstellung der großen Koalition erst recht. Schwerlich denkbar, dass es bei CDU, CSU und SPD nun so etwas wie einen Neuanfang gibt. Dazu hat der Fall Maaßen zu viele Wunden geschlagen. Wenn die große Koalition mittlerweile schon eine einzige Personalie an den Rand des Abgrunds bringt, dann muss man sich um die Regierungsstabilität wirklich Sorgen machen.

«Schwäbische Zeitung» (Ravensburg) 

Hans-Georg Maaßen wird versetzt. Begründung: Teile der Koalition haben das Vertrauen in ihn verloren. Wenn aber jemand von Besoldungsstufe B 9 in Besoldungsstufe B11 aufrückt, weil Zweifel an seinen Fähigkeiten bestehen, dann muss die Öffentlichkeit zweifeln, ob noch alles mit rechten Dingen zugeht. In Zeiten eines wachsenden Rechtsextremismus kann man keinen Verfassungsschutzchef dulden, der nicht über jeden Zweifel erhaben ist, sondern sich in die Tagespolitik einmischt. Verloren hat aber auch die SPD. Zu oft hat sie in den letzten Monaten den Querelen in und um Horst Seehofer wortlos zugeschaut, es rumorte an der Basis. « Maaßen wird gehen», versprach deshalb Andrea Nahles. « Maaßen wird aufsteigen» hat sie nicht gesagt. Diejenigen, die ohnehin die Große Koalition skeptisch sahen, werden weiteres Wasser auf ihre Mühlen haben. Es sind nur faule Kompromisse, um den zerrütteten Zustand dieser Koalition zu übertünchen.

«Rheinpfalz» (Ludwigshafen) 

Nun ist die Sache geklärt, doch ein unangenehmer Nachgeschmack bleibt - nicht nur, weil Maaßen jetzt zum Staatssekretär befördert wird. Am Ende ging es nicht mehr darum, dass Maaßen in der für die Demokratie zentralen Frage von Verschwörung und «Fake News» fahrlässig (weil spekulativ) agiert hat. Am Ende ging es nur noch um Gesichtswahrung. (...) Die Frage, was für den Innenminister im Fall Maaßen von Anfang an notwendig und geboten gewesen wäre, um die Integrität der Behörde wieder herzustellen, kam ihm nicht in den Sinn. Denn Seehofer verfolgt ausschließlich persönliche Ziele.


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