Fragen nach der Steuergesetzgebung der Länder und die durch Niedrigsteuergebiete aufgeworfenen Probleme werden seit einigen Jahren verstärkt in Europa diskutiert. Dabei ist man sich einig, dass Länder oder Territorien mit extrem niedrigen Steuersätzen für Unternehmen und auch Privatpersonen eine gewisse Verantwortung für das Fehlen von finanziellen Mitteln an anderen Orten tragen.
Während Länder wie beispielsweise die Schweiz im Zuge der anhaltenden Debatte von der EU-Kommission und einzelnen Regierungen stark unter Druck gesetzt wurden und daraufhin einen Teil ihrer Steuer- und Bankengesetze verändert haben, existieren nach wie vor mitten in der EU aber mehrere Regionen mit teilweise extrem vorteilhaften Steuerregeln.
Dazu gehören in erster Linie die britischen Kanalinseln, welche direkt unter der Kontrolle der britischen Monarchin stehen, und das Finanzzentrum der City of London, welche ebenfalls als eigene Grafschaft direkt der Königin untersteht. Beobachter erwarten, dass der Austritt Großbritanniens aus der EU diesem Umstand keinen Abbruch tun wird – im Gegenteil, die britischen Steueroasen in Europa würden demnach durch den Brexit noch deutlich mehr Gelder anziehen.
Auch Luxemburg fungiert als wichtiges Steuerparadies für Konzerne in Europa. Maßgeblich mitaufgebaut hatte das Luxemburger Steuersparmodell in seinen Jahren als Finanzminister der heutige Präsident der Europäischen Union, Jean Claude Juncker. Im Zuge der Finanzkrise mussten mehrere Luxemburger Zweigstellen deutscher Banken Strafen wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung bezahlen.
Weitere wichtige Steueroasen innerhalb der EU sind bekanntermaßen Malta, die Niederlande, Zypern, Liechtenstein und Irland, welches wegen seiner Nullsteuern für die US-Internetgiganten derzeit unter Beschuss steht.
Die Frankfurter Rundschau fasste das Problem folgendermaßen zusammen. „Die Untersuchung im Auftrag der Grünen bestätigt einen Verdacht: Selbst in den EU-Staaten müssen Konzerne diese ohnehin schon niedrigen Steuersätze gar nicht zahlen. Mit geschickten Firmengeflechten sorgen nicht nur US-Firmen, sondern beispielsweise auch europäische Konzerne wie Ikea dafür, dass Gewinne möglichst nur in Steueroasen oder zumindest in Ländern mit niedrigen Steuersätzen anfallen. Legale Steuerschlupflöcher, von den Regierungen in der Regel als Standortpolitik verkauft, tun ihr Übriges, um die Steuerlast massiv zu senken. Dazu passt die Untersuchung der Entwicklungsorganisation Oxfam, wonach die Kluft zwischen Arm und Reich in der Welt und selbst in Deutschland immer größer wird. Kein Wunder: Allein die EU, so wird geschätzt, verliert jährlich bis zu 70 Milliarden Euro durch „aggressive Steuervermeidung.“
Bemerkenswert ist, dass die EU vor einigen Monaten eine Liste mit Ländern veröffentlicht hatte, denen sie einen schädlichen Steuerwettbewerb und laxe Steuersätze vorwirft. Der Bundestagsabgeordnete der Linken, Fabio De Masi, wird von Telepolis mit den Worten zitiert: „Die schwarze Liste war von Beginn an ein Papiertiger. Die Kriterien wurden so geschliffen, dass sowohl die USA, die den weltweiten Informationsaustausch blockieren, als auch die britischen Überseegebiete nichts mehr zu befürchten hatten. Andere Schattenfinanzplätze wurden auf Basis unverbindlicher Zusagen verschont. Nun sollen 8 von 17 verbliebenen Staaten – darunter Panama – nach Lippenbekenntnissen wieder gestrichen werden. EU-Steueroasen wie die Niederlande, Malta, Luxemburg und Irland waren aus Prinzip ausgenommen. Und echte Sanktionen gegen Länder auf der Liste sind ohnehin nicht vorgesehen.“
Einer Studie der University of California Berkeley zufolge verschieben Unternehmen weltweit etwa 40 Prozent ihrer Gewinne in Niedrigsteuergebiete. Der Verlust für die Steuerzahler der Länder summiere sich dabei auf etwa 200 Milliarden Euro pro Jahr. Allein in Deutschland könnten den Finanzämtern auf diese Weise mehrere Milliarden Euro entgangen sein.
Angesichts häufiger Blockaden sollen Entscheidungen in der Steuerpolitik nach dem Willen der EU-Kommission künftig einfacher getroffen werden können. Entsprechende Vorschläge legte die Brüsseler Behörde vor einigen Wochen vor. Ende 2025 sollen demnach Mehrheitsentscheidungen das bisherige Einstimmigkeitsprinzip aller EU-Staaten ersetzen.
Die Steuerpolitik ist neben der Außenpolitik einer der wenigen Bereiche, in denen in der EU einstimmige Beschlüsse notwendig sind. Das Europaparlament hat lediglich beratende Funktion. In den meisten Politikfeldern entscheiden die Staaten schon jetzt mit qualifizierter Mehrheit – das sind 55 Prozent der EU-Staaten, die 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren müssen. Einzelne Länder können also überstimmt werden. Das Europaparlament ist dabei gleichberechtigt und muss ebenfalls mehrheitlich zustimmen.
„Wenn Einstimmigkeit in dem Bereich in den 1950er Jahren Sinn machte, mit sechs Mitgliedstaaten, heute macht dies keinen Sinn mehr“, sagte EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici.
In den vergangenen Jahren versandeten einige Steuervorschläge der EU-Kommission wegen des Zwangs zum Konsens. So wurde etwa ab 2011 über eine einheitliche Bemessungsgrundlage für Unternehmenssteuern diskutiert, die Brüsseler Behörde startete 2016 einen weiteren Versuch. Beschlossen wurde sie bis heute nicht. Teilweise nutzten Staaten auch ihr Veto-Recht in Steuerfragen, um Zugeständnisse in anderen Fragen zu erzwingen.
Der EU-Kommission zufolge entgehen der EU dadurch Investitionen und Gewinne in Milliardenhöhe. Wenn Einigungen zustande kommen, sind sie demnach oft nur auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner.
Das Mehrheitsprinzip soll nach dem Willen der EU-Kommission schrittweise eingeführt werden: zunächst beim Kampf gegen Steuervermeidung und -betrug, bei dem es oft Einigkeit gibt. Für Großprojekte – wie etwa die Besteuerung von Digitalkonzernen – soll das Einstimmigkeitsprinzip noch bis 2025 gelten.
Unter den EU-Staaten dürfte der Vorschlag keine Begeisterung auslösen. Sie müssten nun einstimmig zustimmen, um die Änderungen in die Tat umzusetzen.