Die USA und China sind die beiden führenden Nationen im Bereich KI. Eine Statistik besagt, dass 89 der 100 führenden Unternehmen, Universitäten und Forschungs-Einrichtungen ihren Sitz in einem dieser zwei Länder haben. Laut einer Anfang dieses Jahres erschienenen Studie der den UN angehörigen „Weltorganisation für intellektuelles Eigentum“, haben die beiden amerikanischen Softwaren-Giganten IBM und Microsoft mit 8.920 beziehungsweise 5.930 Patenten die meisten KI-Patente angemeldet. China stellt unterdessen 17 der 20 wichtigsten wissenschaftlichen Einrichtungen im KI-Bereich.
„Das mag ja alles so sein“, sagt Gerhard Engelbrecht im Gespräch mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten. „Aber“, fragt der Senior-Wissenschaftler für Siemens´ intelligente Informations- und Kommunikationstechnologie, „wie wirkt sich das in der Praxis aus?“
Nach Ansicht des geborenen Österreichers viel weniger als allgemein angenommen. Viele – angebliche – Errungenschaften der Amerikaner und Chinesen seien nämlich nur Erfolge auf dem Papier, und ob sie jemals praktische Bedeutung erlangten, sei völlig unklar. Bei Siemens dagegen fänden KI-Entwicklungen relevante Anwendung in der Praxis.
Ein paar Beispiele: Die Weiterentwicklung von selbst-optimierenden Gas-Turbinen, die die Entwicklung neuer Hardware unnötig macht und dadurch Millionen einspart. Die Nutzung von KI bei der Entwicklung von Schnellzug-Infrastruktur-Projekten in Spanien, die dazu führte, dass rund 60 Prozent aller Passagiere von Inlandsflügen auf die Bahn umstiegen. Und die Rekonfiguration eines gewaltigen Werkzeug-Depots, die eine 20prozentige Zeitersparnis mit sich brachte.
„Unsere Projekte sind nicht so sexy, wie die der Amerikaner“, so Engelbrecht. Wenn ein künstlich intelligenter Computer den Schach-Weltmeister schlägt, fände das in den Medien weltweit Beachtung. Die Weiterentwicklung von Gas-Turbinen oder Werkzeug-Depots sei dagegen nur für Experten von Interesse. „Aber“, so Engelbrecht weiter, „was hat IBM wirklich davon, ein System entwickelt zu haben, das besser Schach spielt als der Weltmeister? Einen schönen Werbeeffekt vielleicht, aber konkreten Nutzen? Eher weniger.“
Experten bescheinigen Deutschland bei der KI-Grundlagenforschung Weltniveau. Der Präsident des „Bundesverbandes der Deutschen Industrie“, Dieter Kempf, sagte der dpa in einem Interview, Deutschland habe aufgrund seiner hervorragenden industriellen Basis einen echten Wettbewerbsvorteil: „Wenn es uns gelingt, unser Industrie-Know-how mit KI-Know-how zu verbinden, werden wir uns eine hervorragende Wettbewerbsposition sichern."
Auch Dietmar Schlößer vom TÜV Nord hält Deutschland im KI-Bereich für absolut wettbewerbsfähig. Die Deutschen müssten nur mehr bereit sein, auch mal „kalkulierte Risiken“ einzugehen, sagte der Leiter des Bereichs „Digitalisierung und Innovation“ den Deutschen Wirtschaftsnachrichten. „Wenn wir über die Entwicklung und den Einsatz von KI sprechen, sollten wir uns fragen, ´wie könnte es gehen´, und nicht nach Gründen suchen, warum wir auf KI verzichten und diese wichtige Zukunftstechnologie anderen überlassen sollten.“