Im Zuge einer Wirtschaftskrise werden immer Sündenböcke gesucht. Ausländer eignen sich dazu ebenso wie ethnische Minderheiten. Das Konzept ist so alt wie die Politik selbst.
Eine neue, ausgesprochen unangenehme Variante erhält der Einsatz von Ressentiments in Deutschland durch die seit dem Putsch in der Türkei stark gestiegenen politischen Diffamierungen der Deutsch-Türken. Schon wenige Tage nach dem Putsch warnte die CDU in Person ihres Generalsekretärs Peter Tauber die Türken in Deutschland, dass sie sich trotz des Putsch-Versuchs nicht außerhalb der deutschen Rechtsordnung bewegen dürften. Angela Merkel legte wenige Tage später nach. Sie forderte von den Deutsch-Türken "Loyalität" zu Deutschland. Einige Tage später ruderte die Kanzlerin zurück, und man hätte denken können, dass die Sache damit erledigt ist.
Doch offenbar steckt hinter der Diskriminierung Methode. Vermutlich fürchten CDU und SPD die AfD so sehr, dass sie die AfD nun im Bereich der Ressentiments rechts überholen wollen.
Das jüngste Beispiel liefert eine AFP-Meldung:
Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) hat die Existenz ausländischer Parallelgesellschaften in deutschen Großstädten beklagt. Es sei "integrationspolitisch eine Menge schief gelaufen", sagte Jäger der Neuen Osnabrücker Zeitung. Von den Gastarbeitern in Deutschland sei "viel zu lange gedacht" worden, "dass sie irgendwann wieder in ihre Heimat zurückkehren". Nun lebten Menschen "mitten in NRW, ohne Deutsch sprechen zu müssen". "Daraus sollten wir für die Zukunft lernen", sagte Jäger.
Der SPD-Politiker beklagte zudem eine zunehmende Respektlosigkeit gegenüber der Polizei. Jäger warnte vor einer "besorgniserregenden Tendenz zur Verrohung". Es gebe eine "Aggressionsspirale", die sich immer schneller drehe. Pöbeleien und Beleidigungen seien an der Tagesordnung. Alltägliche Einsätze wegen Ruhestörung oder Fahrzeugkontrollen könnten plötzlich eskalieren. "Das ist nicht hinnehmbar", sagte Jäger.
Diese Vermischung von unterschiedlichen Sachverhalten ist inakzeptabel: Die Gastarbeiter leiden wie alle andere Deutschen unter den Folgen der Politik von CDU und SPD, die sich für eine unkontrollierte Einwanderung eingesetzt haben. Die muslimischen Gastarbeiter, die seit Jahrzehnten friedlich in Deutschland leben, leiden genauso alle Deutschen und alle Flüchtlinge unter der Allgegenwart des sogenannten "Islamismus", der wegen der Kriege in Libyen, Irak, Afghanistan und Syrien zur millionenfachen Vertreibung von Menschen und damit zur erheblichen Verunsicherung aller Deutschen geführt haben. Die Gastarbeiter sind das schlechteste Beispiel dafür, was in der Integrationspolitik schief gelaufen ist.
Die Beiträge der Gastarbeiter sind das Gegenteil von Parallelgesellschaften: Sie leisten einen wesentlichen Beitrag für die gesamt deutsche Gesellschaft.
Die Fakten:
Im Jahr 2012 gab es in Deutschland 1.192 Millionen Selbstständige. Davon waren 760.000 Migranten. Die selbstständigen Migranten stammen vor allem aus der Türkei und Polen, so eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung: „Innerhalb dieser Gruppe haben die aus der Türkei stammenden Selbstständigen ihre Präsenz eher verstärkt, hingegen hat die Dynamik unter Italienerinnen und Italiener sowie Griechinnen und Griechen deutlich nachgelassen.“
Die aus Polen und der Türkei stammenden Selbstständigen stellen das größte Kontingent der selbstständigen Migranten dar.
Das Auswärtige Amt: „In Deutschland beschäftigen rund 96.000 türkischstämmige Unternehmer etwa 500.000 Mitarbeiter und erwirtschaften einen Jahresumsatz von ca. 50 Mrd. Euro.“
Im Vergleich dazu: Im Jahr 2014 hatten die Unternehmen in Mecklenburg-Vorpommern einen Jahresumsatz von 44,13 Milliarden Euro und die Unternehmen in Thüringen einen Jahresumsatz von 58,43 Milliarden Euro.
Die höchsten Steuern werden über die Umsatzsteuer, die Lohnsteuer, die Energiesteuer, die veranlagte Einkommenssteuer, den Solidaritätszuschlag, die Tabaksteuer, die Versicherungssteuer, die Körperschaftssteuer und die Nicht veranlagte Steuern vom Ertrag eingenommen. Vor allem Selbstständige sind von diesen Steuern betroffen und werden unverhältnismäßig belastet.
Auf einem Treffen deutsch-türkischer Unternehmer sagte Frank-Walter Steinmeier, dass die deutsch-türkischen Unternehmer sich zu den tragenden Säulen der deutschen Wirtschaft entwickelt hätten.
Deutsch-Türken sind in allen Berufssparten und Branchen vertreten.
In Deutschland lebten im vergangenen Jahr 17,6 Millionen Ehepaare, von denen 2,3 binationale Ehen waren. Dem Statistischen Bundesamt zufolge heiraten Frauen am häufigsten Türken, Italiener und Österreicher. Männer heiraten am häufigsten Türkinnen, Polinnen und Russinnen. Bei den ausländischen Ehepartnern sind türkischstämmige Personen besonders beliebt. Trotzdem heiratet die überwiegende Anzahl der Deutschen, 87 Prozent, mit Deutschen.
Man könnte diese Liste beliebig fortsetzen. Die Gastarbeiter haben sich in Deutschland in bemerkenswert besonnener Weise verhalten, trotz aller immer wieder aufwallenden Anfeindungen - die übrigens nie aus der Mitte der deutschen Gesellschaft, sondern immer nur von vergleichsweise schmalen Rändern kamen. Die Gastarbeiter haben sich auch durch expliziten Rassismus wie jenen von Thilo Sarrazin provozieren lassen.
Der deutsche Ökonom und EU-Abgeordnete Jakob von Weizsäcker schrieb bereits im Jahr 2008 in einem Artikel für die Financial Times: „Die Lebensleistung der Gastarbeiter wird unzureichend geschätzt. Heute werden die Gastarbeiter als die Väter des Integrationsproblems gesehen. Erstens ist dies ungerecht, weil das deutsche Integrationsproblem viele Autoren hat. Zweitens ist es unfair, weil die meisten Gastarbeiter sich Chancen und Möglichkeiten für ihre Kinder gewünscht haben, die sie vielleicht niemals bekommen haben. Drittens wird unterschätzt, wie sehr Deutschland immer noch vom historischen Beitrag der Gastarbeiter für das Wirtschaftswunder profitiert. Ohne die Gastarbeiter hätte sich die deutsche Automobilindustrie niemals an der Spitze der globalen Liga etablieren können.“
Arbeitsschutzmaßnahmen fanden in Bezug auf die Gastarbeiter keine Anwendung. BR 24 berichtet: „Zudem wurden Gastarbeitern häufig Tätigkeiten zugewiesen, die von Schmutz, Monotonie, starker körperlicher Belastung und sogar Gesundheitsschädlichkeit geprägt waren. Es gibt Berichte von Angestellten eines Münchner Betriebs für Reifenfertigung, die stundenlang Dämpfe einatmeten und nach wenigen Monaten Blut husteten.“
Weder von Gastarbeitern noch von ihren Nachkommen hat es deshalb in einer Opferhaltung Klagen gegen die deutschen Industriebetriebe gegeben – auch nicht gegen deutsche Automobilhersteller.
Innenminister Jäger hat bei der Aufarbeitung der Vorfälle in der Silvesternacht auf der Kölner Domplatte eine dubiose Rolle gespielt. Seine Aussagen gegen die Gastarbeiter sind geeignet, die einzelnen Gruppen in Deutschland gegeneinander auszuspielen. Das mag parteipolitisch opportun sein. Seinem Auftrag als überparteilicher Diener des Staates kommt Jäger mit solchen Diffamierungen nicht nach. Vielmehr erweckt er den Eindruck, dass die Parteien in Deutschland eine Parallelgesellschaft bilden.
Von den Politiker in Deutschland ist viel zu lange gedacht worden, dass sie irgendwann wieder in ihre zivilen Berufe zurückkehren. Das führt zur Ideologisierung, weil die Politiker nicht mehr objektiv auf die Realität blicken. Das ist nicht hinnehmbar und sollte schnellstens geändert werden.