Politik

Anne Will: Die Niqab im Licht der Scheinwerfer-Realität

Die ARD bringt eine seltsame Talkrunde auf, die Welle der Entrüstung lässt nicht lange auf sich warten.
07.11.2016 15:39
Lesezeit: 2 min

Anne Will bot am Sonntag ein merkwürdiges Sammelsurium an Gästen. Den Zusehern sollte vor Augen geführt werden, wie gefährlich die Radikalisierung von Islamisten ist. Allerdings weiß niemand genau, wie viele radikale Islamisten in Deutschland tatsächlich unterwegs sind. Zahl und Wirkung von "islamistischen Anschlägen" halten sind in Deutschland in Grenzen. Die Beweislage ist dünn. Es gibt viele Verdächtigungen und kaum unabhängig verifizierte Belege.

Die "Sensation" der Sendung von Anne Will war eine Niqab-Trägerin. Sie musste allerdings aus der Schweiz eingeflogen werden. Offenkundig gibt es Deutschland nicht genügend gefährliche Niqab-Trägerinnen. Die Schweizerin redete konfuses Zeug, bei dem der normale Zuseher nach zehn Sekunden den Faden verlor. Anne Will begegnete der schönen Unbekannten mit der gebotenen Ehrfurcht und trug züchtige schwarze Hosen und eine schwarze Bluse. Ihr Gesicht war allerdings noch zu erkennen.

Ein Imam aus Berlin sagte ebenfalls ziemlich krude Sachen. Er rechtfertigte den Auftritt eines "Hass-Predigers" in seiner Moschee nicht, sondern erklärte, dass unter den 150 Predigern höchstens "2, 3, vielleicht 1" solcher Männer aufgetreten seien. Der Berliner Imam hat die höchste Berliner Auszeichnung erhalten, war schon bei Gauck zu Gast. Der Verfassungsschutz beobachtet trotzdem seine Moschee. Was soll man davon halten?

Der israelische Psychologe Ahmad Mansour ist nach eigenen Angaben Muslim, und war, ebenfalls nach eigenen Angaben, früher "beinahe" ein Radikal-Islamist, wie er dem Tagesspiegel in einem kleinen Aufsatz anvertraute. Bei Anne Will stellte er sich allerdings ohne das "beinahe" vor und schrie ziemlich laut herum. Mansour wurde nach eigenen Angaben in Tel Aviv bekehrt, weil er im "Psychologiestudium" "Macchiavelli und Nietzsche" zu lesen bekam. Er kam 2004 nach Deutschland und hat schon viele Auszeichnungen erhalten. Heute arbeitet er für die vom "Diplom-Kriminalisten Bernd Wagner" geleitete ZDK Gesellschaft Demokratische Kultur gGmbH . Das "beinahe" dürfte Mansours größtes Glück gewesen sein, denn auch nur mit dem Verdacht des radikalen Islamismus wäre er in Israel vermutlich ziemlich schnell ins Gefängnis gekommen und wäre heute nicht Träger des Moses-Mendelssohn-Preises der Berliner Senats.

Die FAZ schreibt, Anne Will wäre an der Gratwanderung gescheitert, hätte sie nicht auch Mansour in der Sendung gehabt.

Schließlich war noch ein angeblicher Kampfsportlehrer da, der behauptete, er sei der Vater einer Tochter, die nach Syrien aufgebrochen war. Unabhängige redaktionell verifizierte Belege dafür gibt es nicht, nicht einmal er selbst konnte die Tatsache belegen, dass seine Tochter wirklich in Syrien ist. Zuletzt sei sie in Dänemark gewesen. Seine Angaben waren schwammig ("die Türkei ist ein bevölkerungsreiches Land!"), der Gesamteindruck unglaubwürdig. Dennoch möchte man einem "Kampfsportlehrer" keine unangenehmen Fragen stellen.

Wolfgang Bosbach zweifelte an den Zahlen der Redaktion von Anne Will, wieviele Moscheen vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Bosbach hielt Anne Wills Zahlen für zu niedrig, wie er höflich sagte. Man werde die richtigen Zahlen nachreichen, als Faktencheck in eigener Sache, sagte Anne Will. Der Zuseher wusste nicht, ob er sich fürchten soll oder lachen.

Am Tag nach der Sendung brach ein Sturm über die arme Anne Will herein. Die Rechtsextremen und einige seit dem unheimlichen Aufstieg der AfD plötzlich besorgten Medien warfen Anne Will vor, Propaganda für den IS betrieben zu haben. Das ist absurd, weil die Sendung das Gegenteil versucht hat: Anne Will wollte ein unergründliches Phänomen ergründen. Das ist nicht gelungen, ist aber zumindest eine hehre Absicht.

Es war allerdings kein nachweislicher Islamist in der Sendung, schon gar keiner aus Deutschland. Nichts, was in der Sendung behauptet wurde, kann verifiziert werden. Aber auf die Realität kommt es nicht an. Was zählt, ist der Anschein einer Realität, die Angst macht. Dazu reicht eine Niqab im Scheinwerferlicht, von der niemand weiß, was sich hinter dem Auftritt verbirgt. Mission accomplished!

(Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Deutsch-Türkischen Nachrichten)

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