Politik

EU rückt zusammen: Italien kann Milde bei Defizit erwarten

Die EU-Kommission schlägt überraschend mildere Töne im Hinblick auf das italienische Defizit an.
09.11.2016 23:27
Lesezeit: 3 min

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Nach dem Sieg von Donald Trump ist der Wunsch nach Geschlossenheit in der EU stark.

EU-Präsident Jean-Claude Juncker hat Verständnis seiner Behörde für das höhere italienische Haushaltsdefizit angedeutet. Gründe seien der "massive Flüchtlingszustrom" und die Erdbeben, sagte Juncker am Mittwochabend in einer Europarede in Berlin. Wenn ein Land wie Italien die Heimsuchungen erlebe, die Italien zurzeit erlebt, dann könne man zwar immer auf die Regeln des europäischen Stabilitätspakets verweisen, sagte Juncker. In Wirklichkeit müsse die Kommission aber die realen Probleme eines Landes beurteilen. "Deshalb: Wenn es um die Flüchtlingsproblematik geht und um die Wiederaufbaukosten nach dem Erdbeben, dann ist unser Platz an der Seite Italiens und nicht gegen Italien", betonte der Kommissionspräsident.

Hintergrund ist die Forderung des italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi, dass die Defizitregeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes für das Land gelockert werden. Die Kommission hatte am Mittwoch die neuen Defizitzahlen der Euroländer vorgelegt. Danach steigt das Haushaltsdefizit Italiens für Italien von 1,6 in diesem Jahr auf 2,4 Prozent 2018. Nach den Regeln des EU-Stabilitäts- und Wachstumspakts muss das strukturelle Defizit aber pro Jahr um 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung gesenkt werden, bis der Haushalt nahezu ausgeglichen ist oder einen Überschuss aufweist.

Juncker betonte, dass zum Euro sicher Disziplin gehöre. "Regeln sind da, um eingehalten zu werden", betonte er. "Aber wenn Regeln, die stur eingehalten werden, dazu führen, dass die Regeln keinen Wert mehr haben, dann muss man nicht die Regeln ändern, sondern die Art und Weise, wie man die Regeln zur Anwendung bringt", sagte er mit Blick auf die anstehende Prüfung durch die EU-Kommission. Aus Deutschland hatte es wiederholt Kritik an mangelnder Schärfe der EU-Kommission gegenüber Defizit-Sündern unter den Euro-Ländern gegeben.

Insgesamt will die EU offenkundig versuchen, die Zentrifugalkräfte anzuschwächen, die sich nach dem Brexit und dem Protektionismus von Donald Trump einen Weg bahnen könnten.

Juncker will daher eine engere Zusammenarbeit der Europäer in der Sicherheitspolitik forcieren. Unabhängig vom Ausgang der US-Präsidentschaftswahl müsse die EU die europäische Verteidigung anders organisieren. "Die Amerikaner, denen wir viel verdanken, ... die werden nicht auf Dauer für die Sicherheit der Europäer sorgen", mahnte Juncker am Mittwochabend in einer Europarede in Berlin. "Das müssen wir schon selbst tun. Deshalb brauchen wir einen neuen Anlauf in Sachen europäische Verteidigungsunion bis hin zu dem Ziel der Einrichtung einer europäischen Armee."

Bisher hatten die Briten dies verhindert, obwohl EU-Koordinator Michel Barnier versichert hatte, dass die EU-Armee nicht gegen die Nato gerichtet sei. 

Auch Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen fordert eine engere Zusammenarbeit der EU-Streitkräfte als Ergänzung der Kooperation in der Nato. Die EU-Verteidigungsminister wollen darüber kommende Woche beraten. Die 28 EU-Regierungen sollen dann auf ihrem Gipfel Mitte Dezember den Weg für eine Verteidigungsunion freimachen. Es ist unklar, ob Großbritannien nach dem Austritts-Votum Einwände dagegen erhebt, dass die anderen 27 EU-Regierungen ihre sicherheitspolitische Zusammenarbeit verstärken werden. Bisher haben die Briten auch nach dem Referendum klargemacht, dass sie eine EU-Armee mit einem Veto blockieren werden. 

Juncker betonte, dass die EU-Armee nicht die Entwicklung hin zu den Vereinigten Staaten von Europa bedeute. "Das sollten wir unterlassen", mahnte Juncker. "Die Menschen in unseren Ländern wollen überhaupt nicht die Vereinigten Staaten von Europa erleben", fügte er hinzu. Man sollte nicht den Eindruck schüren, "als ob die EU sich auf dem Weg der Verstaatlichung befinde".

Allerdings forderte Juncker eine engere Zusammenarbeit der EU-Staaten in Teilbereichen. Der europäischen digitalen Binnenmarkt müsse endlich vollendet werden, weil die viele neue Arbeitsplätze schaffe. Außerdem kündigte Juncker an, die Regelungen der Entsenderichtlinie gegen den Widerstand von elf EU-Mitgliedstaaten durchsetzen zu wollen. Vorschriften zur Bezahlung von Arbeitskräften, die in einem anderen EU-Land tätig werden, hätten nichts mit Subsidiarität zu tun, also mit dem Recht, nationale oder sogar regionale Regelungen zu treffen. Es müsse im Binnenmarkt das Prinzip gelten "gleicher Lohn für gleiche Arbeit an der gleichen Stelle", sagte Juncker. "Und das wird auch durchgesetzt werden gegen alle Widerstände."

Am Tag nach der US-Wahl betonte der Kommissionspräsident zugleich die Bedeutung der transatlantischen Beziehungen, die unabhängig vom Ausgang der US-Präsidentenwahl wichtig blieben. "Es gibt so viel Bande zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der EU, dass man nicht aus Verärgerung ... jetzt unsere Beziehungen zu den USA neu sortieren muss", mahnte er. "Wir bleiben Partner, weil die Welt den engen Schulterschluss zwischen den USA und der EU braucht. Es geht um gemeinsame Werte." Auf die Wahl des Republikaners Donald Trump ging er nicht ein.

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