Lesezeit: 2 min
14.11.2016 15:11
Mehr Jobangebote gleich weniger Risiko in die Armut zu rutschen: Diese Formel geht einer Studie zufolge nicht mehr auf.
Armut: Millionen EU-Bürger bedroht

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

Armut wird auch in Europa ein zunehmendes Problem. Die Erholung am Arbeitsmarkt kommt nicht bei allen Menschen an. Trotz Vollzeitjobs sind laut einer Studie mehr Menschen von Armut bedroht als in den Vorjahren. Nach dem am Montag von der Bertelsmann-Stiftung vorgestellten Gerechtigkeits-Index 2016 stieg ihr Anteil 2015 auf 7,8 Prozent; 2013 lag er noch bei 7,2 Prozent. Und das, obwohl sich die meisten EU-Staaten langsam von den Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise erholen.

Zwar sei der Abwärtstrend der vergangenen Jahre beim Blick auf die soziale Gerechtigkeit in den 28 EU-Ländern gestoppt, hieß es weiter. Dieser Index, der 2014 mit 5,62 seinen Tiefpunkt erreicht hatte, stieg 2016 im EU-Schnitt auf 5,75. Vor der Wirtschaftskrise 2008 hatte er noch bei 6,60 gelegen. Aber noch immer sei mit 118 Millionen jeder vierte EU-Bürger von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, beklagt die Bertelsmann-Stiftung.

Die Gründe sehen die Autoren der Studie im wachsenden Bereich mit niedrigen Löhnen und einer Spaltung der Arbeitsmärkte in reguläre und atypische Beschäftigung. Unter atypisch verstehen die Forscher zeitlich befristete Arbeitsverträge, Leiharbeit oder Teilzeitbeschäftigung.

Deutschland liegt in der Rangliste mit 6,66 auf Platz sieben im EU-Vergleich. Den Spitzenplatz belegt Schweden mit 7,51, Schlusslicht bleibt Griechenland mit 3,66. Für die Studie werden jährlich anhand von 35 Kriterien sechs Bereiche beleuchtet, darunter Armut, Bildung, Arbeitsmarkt, Gesundheit und Generationengerechtigkeit, so die dpa

Der Anteil der von Armut bedrohten Vollzeitbeschäftigten ist in Deutschland von 5,1 Prozent (2009) auf 7,1 Prozent (2015) gestiegen. Eine leichte Verbesserung gegenüber 2014 (7,5 Prozent) deute auf erste Wirkungen nach Einführung des Mindestlohns im Jahre 2015 hin, heißt es in der Studie mit dem Titel «Social Justice Index 2016».

«Wir waren überrascht, dass trotz steigender Beschäftigung in Europa das Armutsrisiko, auch in Deutschland, nicht geringer wird», sagt Studienautor Daniel Schraad-Tischler. Die Autoren sprechen von «Europa paradox». Deshalb warnt Aart De Geus, der Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann-Stiftung: «Ein Vollzeitjob muss nicht nur das Einkommen, sondern auch das Auskommen sichern. Ein steigender Anteil von Menschen, die dauerhaft nicht von ihrer Arbeit leben können, untergräbt die Legitimität unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.»

Weiterhin sind Kinder und Jugendliche nach der Wirtschafts- und Finanzkrise die großen Verlierer in den EU-Staaten. Das hatten die Studienautoren bereits 2015 aufgezeigt. Diese Kritik erneuern sie jetzt. Demnach sind EU-weit weit mehr Kinder von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen als ältere Menschen. Während fast jedes zehnte Kind (9,5 Prozent) «schwerwiegende materielle Entbehrungen» ertragen muss, sind es bei den über 65-Jährigen 5,5 Prozent. Positiv: Der Anteil Älterer, die von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht sind, hat sich von 24,4 Prozent im Jahr 2007 auf 17,4 Prozent im Jahr 2015 verringert.


Mehr zum Thema:  
Europa >

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Kostenloses Experten-Webinar: Die Zukunft der personalisierten Medizin aus der Cloud - und wie Sie davon profitieren

Eine individuelle Behandlung für jeden einzelnen Menschen - dieser Traum könnte nun Wirklichkeit werden. Bei der personalisierten Medizin...

DWN
Politik
Politik DWN-Kommentar: Robert Habeck sollte endlich die Kehrtwende vollziehen - im Heizungskeller Deutschlands
03.05.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Finanzen
Finanzen Wirtschaftsstandort in der Kritik: Deutsche Ökonomen fordern Reformen
03.05.2024

Deutschlands Wirtschaftskraft schwächelt: Volkswirte geben alarmierend schlechte Noten. Erfahren Sie, welche Reformen jetzt dringend...

DWN
Politik
Politik Rheinmetall-Chef: Deutschland muss Militärausgaben um 30 Milliarden Euro erhöhen
03.05.2024

Armin Papperger, der CEO von Rheinmetall, drängt darauf, dass Deutschland seine Militärausgaben um mindestens 30 Milliarden Euro pro Jahr...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Indische Arbeitskräfte im Fokus: Deutschland öffnet die Türen für Fachkräfte
03.05.2024

Die Bundesregierung strebt an, einen bedeutenden Anteil der indischen Bevölkerung nach Deutschland zu holen, um hier zu arbeiten. Viele...

DWN
Finanzen
Finanzen Wie lege ich mein Geld an – wichtige Tipps für Anfänger
03.05.2024

Die Tipps zur Geldanlage können wirklich spannend sein, besonders wenn es darum geht, die eigenen finanziellen Ziele zu erreichen und eine...

DWN
Politik
Politik Die Bundesregierung macht Russland für den Cyberangriff auf SPD verantwortlich
03.05.2024

Im Januar des Vorjahres wurden die E-Mail-Konten der SPD von Hackern attackiert. Die Bundesregierung gibt nun "eindeutig" Russland die...

DWN
Finanzen
Finanzen Der komplette Guide zur Bankvollmacht: Sicherheit und Flexibilität im Finanzmanagement
03.05.2024

Eine Bankvollmacht kann entscheidend dafür sein, Sicherheit und Flexibilität in Ihren finanziellen Angelegenheiten zu gewährleisten....

DWN
Unternehmen
Unternehmen Fleischersatz auf dem Vormarsch: Deutschland erlebt Produktionsboom
03.05.2024

Vegetarische und vegane Fleischersatzprodukte gewinnen in Deutschland an Beliebtheit: Produktion verdoppelt sich seit 2019. Fleischkonsum...