Finanzen

Der neue US-Handelskrieg: Mit Dollar und Militär gegen den Rest der Welt

Lesezeit: 11 min
04.12.2016 02:33
Donald Trump will keine multilateralen Handelsabkommen - sondern bilateral orientierten Protektionismus. Was für die USA aufgehen könnte, ist brandgefährlich für den Rest der Welt. Denn die USA können mit dem Dollar, ihrer militärischen Dominanz und ihrem politischen Einfluss in einem neuen Handels- und Währungskrieg enormen Druck auf einzelne Staaten und Unternehmen ausüben.

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Die Kernpunkte des möglichen innenpolitischen Programms von Präsident Trump sind in einer Reihe von Artikeln ausgeführt worden - etwa hierhier und hier. Wichtig ist, dass der Präsident ein primär binnenwirtschaftlich getriebenes Wachstumsmodell etablieren will.  Schon diesbezüglich sind die Vorstellungen jedoch sehr konfliktträchtig. In der Situation einer im internationalen wie intertemporalen Vergleich viel zu niedrigen Sparquote will Trump ein längst überfälliges Infrastruktur-Programm lancieren. Darüber hinaus will er die Verteidigungsausgaben erhöhen und die Einkommens- und Kapitalgewinn-Steuersätze für die höchsten Einkommen sowie die Steuersätze für Unternehmen drastisch kürzen. Würde all dies effektiv umgesetzt, könnten die Zinsen in den USA und der Dollar zu einem ungeahnten Höhenflug ansetzen. Das hätte wiederum vernichtende Rückwirkungen für die amerikanische Industrie, welche durch den Wechselkurs geschädigt würde. Trump hatte im Wahlkampf angekündigt hat, dass er die Industrie in den USA wieder groß machen will. Eine der vielen Ungereimtheiten, aber eine politisch zentrale.

Wohl nicht zuletzt deshalb will Trump eine tiefgreifende Abkehr vom bisherigen Modell der Globalisierung, welches die amerikanische Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung der letzten beiden Jahrzehnte geprägt hat. Damit sollen die Nachteile für die amerikanische Industrie aufgehoben werden. Dies in einer Weise, welche eine Form von Importsubstitution darstellt: Produkte, welche bisher auch gerade von amerikanischen Unternehmen im Ausland (China, Mexiko) produziert und von dort nach den USA exportiert worden sind, sollen nun wieder vor Ort in den Vereinigten Staaten hergestellt werden. Das ist ein Modell, das in der Geschichte eher von Entwicklungs-Ökonomen anvisiert worden ist. Man könnte es als eine Form von nicht-akademischem Neo-Strukturalismus bezeichnen: Exportorientiertes Handelsmodell, fokussiert auf hohe Wertschöpfung, bei gleichzeitiger Import-Substitution, wo immer es geht. Raul Prebisch lässt grüßen, nachdem er während einiger Jahrzehnte gerade von amerikanischen Ökonomen belächelt und vergessen worden ist.

Dass der neue Präsident eine radikale Kehrtwende anvisiert, kann seiner Ankündigung entnommen werden, das während 10 Jahren bzw. von den USA seit 7 Jahren in komplexen multilateralen Verhandlungen ausgehandelte TPP-Abkommen an seinem ersten Arbeitstag zu streichen. Dieses Abkommen hätte einerseits alle erdenklichen Interessen der amerikanischen Großunternehmen oder Multinationalen zum Programm gemacht. Es wäre auch von den Republikanern im Kongress mitgetragen worden. Natürlich zum Preis von Investorenschutz und fragwürdigen Handelsgerichten. Andrerseits enthielt TPP effektiv Elemente, die gegenüber den bisherigen Handelsabkommen als Fortschritt anzuerkennen sind. So enthält TPP Arbeitsschutzbestimmungen, Recht auf gewerkschaftliche Organisierung der Arbeiter, und Umweltschutzvorschriften. Ob diese Punkte in der Praxis durchzusetzen wären, ist eine andere Frage. Das Abkommen in diesem Stadium zu verwerfen, ist ein Signal an die ganze Welt.

Was Trump explizit anstelle dessen anstrebt, ist ein System bilateraler Handelsbeziehungen, wobei in jedem Einzelfall die USA nicht benachteiligt sein dürfen. Genau dies hat diese Woche der neu ernannte Handelsminister Ross bei seiner ersten öffentlichen Wortmeldung hervorgehoben. In solchen bilateralen Verhandlungen werden die Vereinigten Staaten aufgrund ihrer Macht - Größe der Wirtschaft, Dollar, Militär, Politik - immer in einer starken, ja dominierenden Position sein.

Doch diese binnen- und außenwirtschaftliche Wende hat weitreichende Konsequenzen, die von den Autoren dieser Strategie nicht voll durchdacht sein dürften. Offenbar ist die Periode multilateraler Abkommen, die ein Kernelement der Globalisierung waren, zumindest für einige Jahre, möglicherweise auch für viel länger beendet. TPP und TTIP stellen zwei Abkommen dar, welche diese Richtung weiterentwickelt und dem amerikanisch beherrschten Multilateralismus neue Dynamik verschafft hätten. Für die vorhersehbare Zukunft scheinen wir einer Periode des Regionalismus und bilateraler oder selektiv multilateraler Abkommen zwischen Wirtschaftsregionen entgegen zu steuern - oder versteckten und offenen Handels- und Währungskriegen.

Denn so spektakulär diese Ankündigung in Bezug auf TPP ist, so geht sie doch am Kern vorbei. Das TPP ist ein multilaterales Abkommen mit zahlreichen asiatischen, lateinamerikanischen und pazifischen Ländern, unter anderem auch mit Mexiko, nicht aber mit China oder Südkorea - oder mit Europa. Und dort liegt die Krux. Denn die Defizite der Außenhandels- und der Leistungsbilanz der Vereinigten Staaten entspringen fast ausschließlich den Handelsbeziehungen mit China, mit der Eurozone und nur an dritter Stelle mit Mexiko.

Die Fokussierung auf bilaterale Handelsbeziehungen impliziert, dass die USA vor allem gegenüber diesen Ländern oder Ländergruppen mit Maßnahmen verschiedener Art auftreten werden. Die Administration hat in diesem Bereich im Übrigen weitgehende Handlungsfreiheit. Weder muss sie den Kongress einbeziehen, noch hat sie erfolgsversprechende Rechtsschritte der eigenen oder ausländischen Unternehmen zu befürchten.

Sie kann den betroffenen Handelspartnern einfach Einfuhrquoten oder selektive Schutzzölle auferlegen und mit ihnen Verlagerungsziele vereinbaren. Das hat im Übrigen die Reagan-Administration damals mit den japanischen Autobauern gemacht. Man kann, um offene Konfrontation zu meiden, auch mit einzelnen in- und ausländischen Unternehmen direkte bilaterale Gespräche führen, um sie zu Produktionsverlagerungen zu drängen. Das führt zu einer Verwilderung der Handelspraktiken, zu einer Kombination von Druck und Anreizen. Offenbar hat der designierte Präsident telefonisch in diesem Sinne bereits mit dem CEO von Apple diskutiert, und vielerlei Erleichterungen in Aussicht gestellt. Gegenüber einem mittelständischen Unternehmen in Indiana wurde ein medienwirksamer Kurswechsel in letzter Sekunde erreicht, um den Preis von Steuerkrediten für 10 Jahre. Man kann solche Gespräche mit den US-Autoherstellern führen, mit Apple, mit vielen anderen Großunternehmen, um sie zur Rückkehr nach Amerika zu ermuntern bzw. zwingen. Oder bedeutende ausländische Hersteller wie den großen koreanischen Autobauer Hyundai oder den Technologiekonzern Samsung zu Investitionen in den USA ‚einladen’. Auch deutsche Unternehmen - etwa die Auto- und Maschinenbauer - eignen sich hervorragend für solche Gespräche. Donald Trump stellt sich dies wohl so vor, dass mit seiner Machtposition dann ‚the art of the deal‘ voll zum Tragen kommt. Für ausländische Hersteller bedeutet dies nichts Anderes, als dass ein Teil ihrer bisherigen Produktionskapazität an anderen Standorten obsolet wird.

Die Bilateralisierung des Außenhandels würde ohne jeden Zweifel China und mit weitem Abstand Deutschland und andere europäische Länder sowie Mexiko zu prioritären bilateralen ‚Verhandlungspartnern‘ machen. China, Europa und Mexiko sind von Trump mehrfach im Wahlkampf als unfaire Handelspartner gebrandmarkt worden. Er hat den Bruch oder die Neuaushandlung der WTO und des NAFTA-Abkommens in Aussicht gestellt. China und Deutschland, letzteres mit seinen Überschüssen in der Leistungsbilanz von fast 9% des Bruttoinlandsprodukts, stehen, nicht nur aufgrund ihrer bilateralen Handelsbilanz-Salden gegenüber den USA, im Verdacht, mit merkantilistischen Konzepten in der Wirtschaftspolitik zu operieren. Kommt noch hinzu, dass in beiden Fällen die Notenbank in der Vergangenheit aktiv die Währung durch ihre Geldpolitik gedrückt hat. Im Falle Chinas kommt ein zusätzliches langes Sündenregister von Verletzungen durch Abschottung des Marktes und anderen bürokratischen Hürden hinzu.

Der Bilateralismus und der angedrohte Bruch von Handelsabkommen schaffen vor allem eines, nämlich Unsicherheit. Niemand weiß, wohin die Reise gehen wird. Die Unternehmen werden damit ihre globalen Investitionspläne vorsichtig gestalten. Vor allem bei Neuinvestitionen werden sie sich zurückhalten, zumal wenn daraus Exportströme zunächst nach den USA entstehen könnten. Dabei wird es auch harsche Retorsionsmaßnahmen geben. China wird sich nicht alles gefallen lassen. Das Land könnte auch versucht sein, seine Überschüsse verstärkt dort abzuladen, wo es weniger Widerstände gibt - etwa in Europa.

Der Vorteil multilateraler Handelsabkommen ist die Rechtssicherheit, welche den Unternehmen eine langfristig stabile Kalkulationsbasis gewährt. Sie können eine einigermaßen vernünftige Investitionsrechnung erstellen. Plötzliche Überraschungen aus dem Nichts sind so nicht zu erwarten. Mit Bilateralismus, mit Retorsionsmaßnahmen, mit dem Rückgriff auf ein ‚Catch as catch can‘, mit einer Politik von ‚Deals‘ ist das nicht mehr der Fall. Es würden auf globaler Ebene große regionale Wirtschaftsblöcke begünstigt, welche den Austausch im Innern der Wirtschafts- und Handelszone favorisieren. Generell würde der interregionale Welthandel im Wachstum eingeschränkt werden oder sogar deutlich fallen. Multinationale sind als Gesprächspartner wie in Bezug auf ihre Handlungsmöglichkeiten bei bilateralen Deals sicher flexibler. Mittelständler sind eher benachteiligt, weil sie weniger Zugang zur Macht haben.

Die Vereinigten Staaten sind nicht der einzige Freihandels-Champion der Vergangenheit, der einen rabiaten Kurswechsel vornehmen will. Das Vereinigte Königreich, Mutterland des Freihandels, will mit dem Brexit die größte oder zweitgrößte Freihandelszone der Welt - die Europäische Union - verlassen. Natürlich will sie am Freihandel mit der EU festhalten und sich zusätzlich Freiheitsgrade im Außenhandel gegenüber Drittländern verschaffen. So können die Commonwealth-Vergangenheit und die speziellen Beziehungen mit den USA nützlich und hilfreich gemacht werden.

Premierministerin Theresa May hat vor dem britischen Industriellenverband CBI angekündigt, dass das Vereinigte Königreich die niedrigsten Steuersätze für Unternehmen der G-20 einführen will. Das ist keine Kleinigkeit, denn Donald Trump will die offiziellen Steuersätze für Unternehmen in den Vereinigten Staaten auf 15% absenken. Das hat der designierte Finanzminister Mnuchin bekannt gegeben. Die effektiven Steuersätze werden dann auf plus minus 10% zu stehen kommen - für systematisch Gewinn machende große Unternehmen. Alle anderen zahlen weniger oder nichts. Wenn Theresa May das noch unterbieten will, dann werden die Steuersätze dort gegen Null tendieren. Zusätzlich hat die britische Regierung angekündigt, dass sie nach Jahrzehnten des Abseitsstehens eine kohärente Industriepolitik einführen will. Das ist löblich. Nur stellen sich offene Fragen im Anschluss an die ersten Gespräche mit Nissan, bei denen offenbar Versprechungen gemacht worden sind. Viele andere Unternehmen mit einer gewissen Bedeutung werden nun auch das Gespräch - oder den ‚Deal‘ - mit der Regierung suchen - keine Steuern für so und so lang, Subventionen für ein neues Werk, Regierungsaufträge usw.

Mit Steuerdumping, mit wettbewerbsverzerrenden Formen der Industriepolitik, mit der Abwertung des Pfunds und mit Freihandel mit allen will die britische Premierministerin also die Wettbewerbsfähigkeit des UK verbessern. Sie will die Industrie auf diese Weise, weniger über Importsubstitution wie Trump in den USA, vor allem über den Güterexport beflügeln, nicht zuletzt in die Europäische Union. Das ist eine unmaskierte ‚beggar-thy-neighbour‘ Politik, die das Land auf dem Rücken der Europäischen Union implementieren will. Das Vereinigte Königreich ist nicht ein Kleinstaat an der Peripherie, sondern eine hochentwickelte Volkswirtschaft, die zweitgrößte in Europa, direkt als Eingangstor oder Hub für überseeische Unternehmen. Diese geplante Politik zu verhindern muss die oberste Priorität für die Europäische Union bei den Austrittsverhandlungen sein. Von daher tönt es ominös, dass die EU dem Vereinigten Königreich tatsächlich weiteren Marktzugang nur um den Preis einer Fortsetzung der Zahlungen offeriert hat. Damit wäre die EU endgültig als unbrauchbar diskreditiert, dies auf ihrem Kerngebiet, den Handelsbeziehungen.

Der deutsche Finanzminister Schäuble hat darauf scharf reagiert. Er hat an die Beschlüsse von Gipfeln erinnert, die solchen Steuerwettbewerb unterbinden. Er hat vollkommen Recht. Denn das Ganze ist ein fürchterlicher Unsinn. Die Unternehmenssteuern zu senken wurde seit Jahrzehnten von neoliberalen Ökonomen immer damit begründet, dass so die Investitionen - der Wachstumsmotor par excellence - stimuliert würden. Als zweiter Faktor müssten nur noch die Löhne begrenzt oder gekürzt werden. Damit sollen höhere Investitionen, damit zusammenhängend erhöhte Produktivitätszuwächse und wachsender Wohlstand verbunden sein. Die empirische Evidenz ist grauenvoll. Es ist genau umgekehrt. Wir haben heute weltweit die niedrigsten Steuersätze für Unternehmen der Nachkriegszeit. Doch die Investitionsquoten, definiert als Anteile der Unternehmensinvestitionen am Bruttoinlandsprodukt, sind zusammengebrochen, ebenso die gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritte. Dies gilt für viele Länder in der EU, aber auch für die USA. Dafür sind die Budgetdefizite und die Verschuldungsquoten der öffentlichen Haushalte explosionsartig angestiegen, Tendenz ungebrochen, auch dort wo die offiziellen Zahlen eine Stabilisierung vortäuschen, wie in Deutschland. Eine Eskalation der Politik weiterer Steuersenkungen, wie dies Trump und Theresa May anstreben, kann nur eine Politik des ruinösen Steuerwettbewerbs und des Aushöhlens der Staatshaushalte sein - eine klassische ‚beggar thy neighbour‘ Politik gegen Außen und gegen die eigene Bevölkerung zugunsten des ‚shareholder value‘, oder für die ‚1%‘.

Wenn die beiden historischen Länder des Freihandels auf Neo-Strukturalismus, auf selektiven, machtpolitisch geprägten Bilateralismus‚ auf offene und versteckte Formen von ,beggar thy neighbour‘-Politik umsteigen, kann man sich leicht ausmalen, wohin die Reise im Welthandel gehen kann.

Die Abkehr von der Politik des Multilateralismus hat verschiedene Hintergründe. Einer davon ist China, ein anderer die WTO-Handelsabkommen mit ihren vielen Ungereimtheiten. Die heute dominant gewordene Welthandelsmacht China bewegt sich in einem solchen Umfeld, dem WTO-Abkommen. China hat aber darin in einer historisch präzedenzlosen Weise Grauzonen ausgelotet und Vorteile für sich herausgeholt, zum Schaden des Rests der Welt.

China nutzt seinen potentiell riesigen und immer noch verhältnismäßig rasch wachsenden Binnenmarkt, etabliert zahlreiche Handelsbarrieren und Schikanen gegen Importe, und auferlegt einen Zwang zur lokalen Produktion für viele Sektoren und Unternehmen, die für diesen Binnenmarkt produzieren wollen. China bietet sich umgekehrt als Plattform für Exportindustrien an, unter Ausnutzung frühindustriell ausbeuterischer Arbeitsbeziehungen und Verletzung von Umweltstandards. China subventioniert seine eigenen Exportindustrien mit Steuerprivilegien, staatlichen Krediten, finanziert jahrelange Dumpingpraktiken in als vital angesehenen Kernindustrien, verletzt Patente und betreibt in einem einmaligen Umfang Industriespionage. China finanziert mit staatlichen Mitteln die Expansion seiner Firmen, um strategische Akquisitionen in Zukunftssektoren im Ausland zu tätigen, und manipuliert seine Währung, die systematisch weit unterbewertet ist. Dabei muss noch nach Perioden unterschieden werden: Bis vor wenigen Jahren waren solche Praktiken teilweise der mangelnden Kontrolle der Zentrale über die Provinzen zuzuschreiben. Seit der Machtübernahme durch Xi Jinping sind diese Praktiken zunehmend zentral gesteuert und viel effektiver. In einem gewissen Sinn ist China Opfer einer restlos gescheiterten Geld- und Kreditpolitik, welche zu einer der größten Blasen der Wirtschaftsgeschichte geführt hat. Die neue Führung versucht verzweifelt, sich aus dieser misslichen Situation durch eine zentral gesteuerte Politik, auch zulasten Dritter, hinauszumanövrieren.

Der Rest der Welt sitzt angesichts der Handels-, Industrie- und Währungspolitik Chinas gebannt da, und lässt sich seine eigenen Industrien schrittweise dezimieren. Die Europäische Union ist ein Paradebeispiel für völlige Desorientierung, mit dem Effekt, dass praktisch in allen Industrieländern Europas die Industrie selektiv und in Etappen geschwächt wird. Auf einer analytischen Ebene nutzt China alle Schwachstellen des WTO-Abkommens aus, dies bis zur Schmerzgrenze. China profitiert von Interessengegensätzen zwischen Handelspartnern, Unternehmen und Sektoren, welche durch lokale Präsenz und Produktion an seinem Wachstum teilhaben wollen, und solchen, die in ihren Herkunftsländern dem Druck oder der vollen Wucht der chinesischen Exportindustrien ausgesetzt sind. China nutzt diese unterschiedlichen Interessenlagen virtuos aus. Vieles ist in den WTO-Verträgen nicht geregelt, und es gibt keine multilaterale Instanz, welche Verstöße diagnostiziert und mit Autorität bestrafen und korrigieren könnte. Solche multilateralen Verhandlungen wieder auf Ziel zu bringen, wäre zeitraubend, schwierig, würde Jahre und wohl länger als eine erste Amtszeit von Präsident Trump erfordern. Der radikale, konzentrierte bilaterale Durchgriff verspricht oberflächlich raschere Erfolge.

Das Bild kann so zusammengefasst werden, dass China innert 15 Jahren die größte Handelsmacht der Welt geworden ist. Trend ungebrochen, die Ausweitung seines Marktanteils zu Lasten der USA, Japans und der EU / Eurozone wird sich fortsetzen, möglicherweise beschleunigen. China hat, ermöglicht durch eine exzessive Kreditvergabe, eine heillos überdimensionierte Industrie aufgebaut. China schützt diese einerseits durch selektive Importbarrieren. Andrerseits wird die überschüssige Kapazität durch eine systematische Unterbewertung des Yuan und durch ein eigentliches Dumping auf die Exportmärkte geworfen. Die Überschüsse in der Handelsbilanz haben 2015 wieder 6% des BIP erreicht. In den Vorjahren waren sie aufgrund rekordhoher Importpreise für Rohstoffe optisch reduziert.

Für das Jahr 2016 deuten die ausgewiesenen Salden der Handelsbilanz einen Rückgang der Überschüsse Chinas an. Dies muss aber relativiert werden. China hat 2015/16 seine strategischen Erdölreserven massiv aufgestockt, zieht Vorteil aus der globalen Überproduktion und dem Fall der Erdölpreise. Die Importe sind dadurch einmalig überhöht. Letzteres gilt noch aus einem anderen Grund. Spätestens seit der mit Pauken und Trompeten vorgenommenen Abwertung des Yuan im Sommer 2015 gibt es eine Kapitalflucht aus China. Verschiedene Analysten messen diese mit den Zahlen der Devisenreserven und Komponenten aus der Finanzierungsbilanz. Diese Kapitalflucht spielt sich aber auch gut versteckt in der Handels- und Dienstleistungsbilanz ab. In- wie ausländische Unternehmen überfakturieren Importe und unterfakturieren Exporte, um so Kapital ins Ausland zu schaffen. Dies ist möglich im Austausch mit konzerneigenen oder nahestehenden Handelsgesellschaften, mit Tochter- oder Holdinggesellschaften im Ausland etc.

Gegenwärtig sind wir in einer präzedenzlosen Phase global schwachen Wirtschaftswachstums. Ausgerechnet das größte Überschussland der Welt wertet seine Währung gegenüber dem Dollar deutlich ab. Seit August 2015 ist der Yuan um rund 13% gegenüber dem Dollar gefallen. Dies trotz der Tatsache, dass China Gewinne bei den Austauschrelationen (‚terms of trade’) verzeichnen kann, weil seine Importe -  Rohstoffe und Halbfabrikate - durch den Zerfall der Rohstoffpreise verbilligt sind. Die Abwertung erfolgt unter Berufung auf einen falsch konstruierten Index des handelsgewichteten Wechselkurses des Yuan. Es ist absehbar, dass eine solche Politik auf eine Eskalation zusteuert, und dass eine geharnischte Antwort erfolgen wird. Der designierte Handelsminister hat dies bereits angedeutet.

Analytisch steckt dahinter ein Rahmenwerk (WTO-Gründung von 1995), das löchrig ist, und vom Newcomer China vom Beitritt im Jahr 2001 weg immer geschickter ausgenutzt wird. Dann eine Unfähigkeit und Unwilligkeit der Handelspartner, dies zu erkennen, geblendet vom scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg Chinas und den grenzenlosen Möglichkeiten von dessen Binnenmarkt. Schließlich ein unkoordiniertes Vorgehen auf internationaler Eben. Die Bush-Administration hat sich bis 2008 praktisch nie mit China auseinandergesetzt. Die Obama-Administration hat mehr dafür getan, aber primär multilaterale Handelsabkommen mit Dritten unter explizitem Ausschluss von China ausgehandelt, die jetzt offenbar ersatzlos gestrichen werden. Immerhin wurde eine Zeit lang dem Wechselkurs mehr Bedeutung geschickt. Der IWF, die USA und Europa haben China 2016 in den Währungskorb der Sonderziehungsrechte aufgenommen, obwohl für jeden halbwegs qualifizierten Ökonomen klar war, dass der Index, an dem sich die chinesische Währungspolitik orientiert, eine Fehlkonstruktion ist und keinen Referenzpunkt für die chinesische Währung darstellen sollte. Der deutsche Wirtschaftsminister Gabriel ist mit einer Delegation nach Peking gereist, um den deutschen Unmut über die neuen Praktiken in China darzulegen. Er wäre sinnvoller im Rahmen einer europäischen Delegation angereist. Nur wenn alle am gleichen Strick ziehen, hat man gegenüber China Verhandlungsmacht.

Neben der wichtigsten neuen globalen Handelsnation, die merkantilistisch operiert, will jetzt offenbar das bisherige Führungsland im Welthandel und im Weltwährungssystem ins gleiche Fahrwasser einschwenken. Die Trump-Administration will nicht nur selektiv - bilateral - den Binnenmarkt abschotten, sondern dem dollarhungrigen Rest der Welt auch noch das Kapital absaugen, um dieses selber für sein Infrastruktur-Programm investieren zu können. Historisch haben Weltwährungssysteme gut funktioniert, wenn die Kern- oder Ankerländer bereit waren, Freihandel vorzuleben und zu fördern, Defizite in der eigenen Handelsbilanz zuzulassen und als Kapitalgeber für den Rest der Weltwirtschaft aufzutreten. Das galt für Großbritannien vor dem Ersten und für die Vereinigten Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg.

Weder China noch anscheinend die Vereinigten Staaten unter Trump erfüllen diese Bedingungen. Das wenig erfreuliche Bild, historisch durchaus mit Vorbildern aus der Zwischenkriegszeit, wird dadurch abgerundet, dass Europa als dritte große Wirtschafts- und Währungszone daran ist, sich selber zu zerlegen. Nicht nur ist ihr Leistungsausweis seit Jahren gegenüber den Handelspraktiken Chinas äußerst bescheiden. Gegenüber dem Vereinigten Königreich und gegenüber einer Trump-Administration warten ganz andere Herausforderungen. Dies im Moment, wo die Konzentration und Förderung des internen regionalen Austauschs im Vordergrund steht angesichts der vielen Fragezeichen im interregionalen Welthandel. Mit dem Brexit ist der erste Dominostein gefallen. Die italienische Bankenkrise zeigt die Unfähigkeit der Führung der Eurozone, rechtzeitig auf Bedrohungen zu reagieren. Agonie und Lähmung scheint die Operateure ausgerechnet im Moment gepackt zu haben, wo eine systemgefährdende Krise, für jedermann ersichtlich, kurz vor der Eskalation steht.


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