Donald Trumps unheimlicher Aufstieg kommt nicht überraschend. Er ist kein Bruch mit der Geschichte des modernen Raubtierkapitalismus. Sein Auftritt auf der Weltbühne ist die logische Folge der globalen Schulden-Krise und der weltweiten Asset-Blasen sowie der sich stets weiter vertiefenden Kluft zwischen Arm und Reich.
Es ist erstaunlich, mit welcher Naivität sich die Bundesregierung eingeredet hat, der Spuk werde schon vorübergehen. Die Beobachtung des russischen Außenministers Sergej Lawrow, Deutschland und andere EU-Staaten hätten sich in den US-Wahlkampf eingemischt, ist richtig. Die Bundesregierung hat Hillary Clinton für alternativlos gehalten. Siegesgewiss haben deutsche Politiker Trump verhöhnt. Der damalige Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier nannte Trump einen „Hassprediger“. Es gab, wie so oft in der Amtszeit von Angela Merkel, keinen Plan B. Noch schlimmer: Die jahrelang beschworene „transatlantische Partnerschaft“ entpuppt sich nun als jämmerliche Partei-Loyalität. Die angebliche Freundschaft der Völker galt nicht den Amerikanern, sondern den „Parteifreunden“. Plötzlich kommen allerorten unangenehme anti-amerikanische Ressentiments zum Vorschein. Man hat den Eindruck, die Bundesregierung würde am liebsten Sanktionen gegen die USA verhängen.
Doch das geht nicht. Den Plan haben nämlich die Amerikaner. Er ist ganz einfach und trifft die Deutschen völlig unvorbereitet: Die Globalisierung wird zurückgefahren, weil die Wirtschafts- und Finanzeliten erkannt haben, dass die Ungleichheit den sozialen Zusammenhalt in fast allen Staaten so stark zur Erosion gebracht hat, dass man mit Revolutionen rechnen muss. Die Schuldenkrise muss gelöst werden, weil das schwache Wachstum der Weltwirtschaft die ökonomischen Modelle nicht mehr trägt.
Nun steht ein Verteilungskampf an, das klassische Endspiel in jeder Schuldenkrise. Die „Plünderung der Welt“ ist in ihre finale Phase eingetreten. Wie alle Entwicklungen im technologisch-industriellen Zeitalter geht alles ganz schnell vor sich.
Die Zuspitzung bedeutet nicht zwangsläufig einen militärischen Krieg, obwohl Michail Gorbatschow einen solchen befürchtet. Doch seit der Finanzkrise 2008 brauen sich immer neue Stürme zusammen. Sie brausen auf und flauen wieder ab. Die dunklen Wolken türmen sich über allen Volkswirtschaften auf. Die expansive Geldpolitik der Zentralbanken schien die Antwort auf die Finanzkrise zu sein. Die vergangenen zwei Jahre waren erstaunlich ruhig. Doch was verschieden Wirtschaftsforscher als „zarten Aufschwung“ interpretierten, war in Wahrheit die Ruhe vor dem Sturm.
Dieser bricht nun los. Der Sieg von Donald Trump war kein Zufall und auch nur in Teilen ein Reflex der „Bedauernswerten“, die einen „ganz anderen“ Präsidenten wollten. In den USA und in Großbritannien haben sich die Verhältnisse dramatisch verändert: In beiden Ländern haben wir es de facto mit Ein-Parteien-Regierungen zu tun. Die linken Oppositionsparteien wurden auf ihrem ureigensten Feld geschlagen – dem der Forderung nach sozialer Gerechtigkeit. Die Medien wurden als kontrollierende Instanz ins Abseits geschickt – und haben durch ihre oft voreingenommene Analyse der Entwicklungen ihren eigenen Anteil an ihrer gesellschaftlichen Marginalisierung.
Die Stoßrichtung lautet nun: Die Schulden-Krise wird mit dem Recht des Stärkeren aufgelöst. Die Vermögen des reichsten 1 Prozents sollen geschützt werden, indem die Schwachen weiter geschwächt und zugleich handlungsunfähig gemacht werden. In der Wirtschaft gilt, wie Roland Baader richtig angemerkt hat, immer das Prinzip: Wer hat, dem wird gegeben; wer nicht hat, dem wird genommen.
In der ersten Phase wird dieses Endspiel wie ein großer Verhandlungspoker ablaufen. Es wird gedroht und gelockt, brüskiert und geschmeichelt. Es ist kein Zufall, dass Trump ein Unternehmer ist und viele seiner Regierungsleute aus der Wirtschaft und aus der Finanzindustrie gekommen. Man mag diese Leute mögen oder nicht, man sollte sie aber keinesfalls unterschätzen: Sie alle sind moderne Oligarchen, die wissen, wie man wirklich reich wird. In der neuen US-Regierung sitzen nur Milliardäre und Millionäre.
Sie haben eine neue Kampfeinheit ausgerufen: die Nation. Mit dem Opium des glühenden Patriotismus ist es ihnen gelungen, den Amerikanern das Gefühl zu geben, es gehe nun wieder um den berühmten „kleinen Mann“. Die „Nation“ ist die „Corporate Identity“, mit denen die Bürger hinter dem Präsidenten wie Mitarbeiter hinter der neuen Vision eines CEO für das Unternehmen geschart werden. Die USA sind im Grunde wie ein Unternehmen aufgebaut: Im Board of Directors sitzen die Shareholder aus Banken und Konzernen. Sie vertreten die Interessen der Aktionäre. Die Aktionäre sind jedoch nicht die Bürger, sondern die Vertreter des 1 Prozents der Superreichen. Der US-Präsident ist der CEO. Er ist der Sprecher der Shareholder. Sein Job ist der „Turnaround“: Das Unternehmen hat in den vergangenen Jahren schwere Verluste eingefahren, die ihren Ausdruck in den Staatsschulden und in der negativen Handelsbilanz finden. Nun geht es gegen alle anderen. Im Fachjargon der Wirtschaft würde man von einer „Konsolidierung“ sprechen. Darwin würde einen anderen Begriff finden.
Die US-AG geht nun aggressiv in den Weltmarkt. Sie wird kleine Mitbewerber an die Wand spielen – daher der Abschied vom Freihandel zugunsten von bilateralen Abkommen. Mit großen Mitbewerbern wird sich die US-AG zwar anlegen. Doch Russland oder China sind nicht in die Knie zu zwingen. Am Ende eines Konsolidierungsprozesses steht in der Regel auch nicht zwangsläufig ein Monopol. In der Regel kommt es zu einem Oligopol, am liebsten wäre dem Marktführer ein Duopol. Dazwischen können allenfalls jene bestehen, die innovativ sind und über eine extrem gute Unternehmenskultur verfügen. Viele sind das in der Regel nicht. Es haben aber nur jene eine Chance, die alle Funktionen ihres Unternehmens richtig gut in Schuss gehalten haben.
Das wichtigste für jeden neuen CEO ist eine Strategie. Er muss sich als Angriffsziel jenen Mitbewerber heraussuchen, den er wirklich in die Knie zwingen und von dessen Niederlage er den größten Nutzen ziehen kann. Die dänische Saxo-Bank schreibt in einer Analyse, dass Deutschland das eigentliche Ziel der aggressiven neuen US-Politik von Donald Trump sei. Deutschland hat viele Assets, eine solide Industrie, gute Mittelständler. Die Chinesen haben schon mit ihrer Einkaufstour begonnen. Es ist kein Zufall, dass Barack Obama die jüngsten chinesischen Initiativen in Deutschland gestoppt hat. Die Amerikaner wollen die Juwelen selbst haben.
Sie finden Deutschland nicht einmal ansatzweise abwehrbereit: Alle Funktionen, die ein Staat oder eine Nation braucht, um einen Angriff abzuwehren, sind massiv geschwächt. Müsste ein Headhunter einen neuen CEO für Deutschland finden und dem Kandidaten schildern, in welchem Zustand das Unternehmen in den brutalen Konsolidierungsprozess geht – er hätte Schwierigkeiten, jemanden zu finden. Man kann verstehen, warum sich unter den 80 Millionen Deutschen nicht ein einziger oder eine einzige von Format findet, die heute noch sagt: Ich will BundeskanzlerIn werden.
Deutschland hat keine eigene Währung. Die Deutschen haben die EU favorisiert, weil der Euro der schönste Exportbeschleuniger aller Zeiten war. Die Unternehmen haben Gewinne gemacht, ohne sich im Zeitalter der technologisch-industriellen Revolution verändern zu müssen. Der weiche Euro war gut, solange alles stabil war. Nun wird es zu einer Intensivierung der Währungskriege kommen. Zwischen den USA und China gibt es die schon lange. Deutschland hat jedoch keine eigenständige Zentralbank mehr. Mario Draghi muss die Interessen aller Euro-Staaten im Blick haben – das kann man ihm gar nicht vorwerfen. Mit dem Dollar machen die Amerikaner Weltpolitik. Das ist nichts Neues. Doch wenn der „gütige Hegemon“ plötzlich eine aggressive Agenda forciert, wird es unangenehm. Die Briten machen es vor: Die brutale Abwertung des Sterling ist kalkuliert. Viele Spekulanten werden in diesen Monaten hohe Profite einfahren.
Deutschland hat ein dysfunktionales Banken-System. Die Großbanken und einige Landesbanken sind angeschlagen. Sie müssen in der Konsolidierung der europäischen Banken bestehen. Ihre schlechte eigene Unternehmenskultur macht sie anfällig, wie die Milliarden-Strafen für die Deutsche Bank zeigen. Die Sparkassen funktionieren als öffentlich-rechtliche Banken gut, wenn auch bei weitem nicht perfekt. Aber immerhin: Anders als in anderen Ländern haben sie mit dem DSGV einen Verbund, der sie in stürmischen Zeiten stabilisieren kann. Doch auch sie sind verwundbar: Die unter anderem von der Deutschen Bank und der Open Society Foundation von George Soros finanzierte Website Correctiv hat in den vergangenen Monaten eine beispiellose Diffamierungskampagne gegen die Sparkassen gefahren. Noch halten die Brandmauern der Sparkassen auch im Hinblick auf die europäische Einlagensicherung. Ihrer Abwehrschlacht könnten sie unter Umständen ihr Überleben verdanken.
Deutschland hat ein kaputtes Parteien-System. Das eigentlich vernünftige System der repräsentativen Demokratie wurde durch die Maßlosigkeit von Netzwerken und Seilschaften ausgehöhlt. Keine Partei ist auch nur noch annähernd mehrheitsfähig. In den USA und in Großbritannien herrscht das Mehrheitswahlrecht. Das mag man schlecht finden, weil es nicht sehr differenziert ist. Aber es ermöglicht politische Führung und Entscheidungen. In Deutschland wird es nach der nächsten Bundestagswahl vielleicht eine Dreier-Koalition aus Union, Grünen und der FDP geben. Man kann sich ausmalen, wie kompliziert die Entscheidungsprozesse sein werden.
Deutschland hat kein vitales Medien-System. Die Öffentlich-Rechtlichen verzerren den Markt. Sie sind keine vierte Gewalt, sondern werden von den Parteien kontrolliert. Die Finanzkrise hat dazu geführt, dass die Sender trotz der vielen guten Journalisten nur noch ein Interesse haben: Die Pensionen von tausenden Rentnern zu sichern. Sie sind in der Defensive – und schotten sich daher intellektuell ab. Viele andere Medien haben sich ideologisch ins Bockshorn jagen lassen. Sie verteidigen die Bundesregierung gegen die Gefahren von rechts und links, statt die Bundesregierung hart und unbestechlich zu kritisieren, damit die Bundesregierung besser arbeitet und die Wähler nicht nach links und rechts abwandern. Zugleich erodiert das Geschäftsmodell: Facebook ist die neue, globale Bild-Zeitung. Nur wenige werden überleben.
Deutschlands Autoindustrie steckt in der Krise. Der Abgas-Skandal war erst der Anfang. Kommt es wirklich zu den Strafzöllen, hat die größte deutsche Branche eine existentielle Krise. Die Autobauer sind Opfer ihres eigenen Erfolges. Sie können sich nicht vorstellen, dass es etwas anderes gibt als ihre Art zu denken. Der Schwenk zur Elektromobilität wird, wenn er denn wirklich kommt, aus den USA kommen, weil die Amerikaner nichts zu verlieren haben.
Deutschland hat keine globale Technologiebranche. Die großen Player kommen aus den USA, Alibaba aus China. Deutschland hat als Avantgarde der Innovation die Deutsche Telekom.
Deutschland hat keine Energiewirtschaft mehr. Die theoretisch lobenswerte Energiewende entpuppt sich als Milliardengrab. Völlig unkontrolliert wurde gefördert, ohne eine Infrastruktur aufzubauen. Die Nebenwirkungen, wie die Zerstörung des ländlichen Raums durch die Windparks, wurden nicht thematisiert, sondern ideologisch weggebügelt. Deutschland ist aus der Kernkraft ausgestiegen. Deutschland hat kein Öl. Die Kohle geht zu Ende. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich die Folgen auszumalen: Deutschland wird in Abhängigkeiten geraten.
Deutschland hat keine funktionierenden Geheimdienste. Die Amerikaner haben den Geheimdienstapparat so überdehnt, dass er ein Eigenleben entwickelt hat. Trump wird versuchen, ihn zurückzuschneiden. In Deutschland können die US-Dienste ungehindert schalten und walten. Das Problem sind hier weniger die unappetitlichen Schmierenkampagnen, die immer gegen Abweichler lanciert werden. Der wahre Sinn der Dienste besteht in der Wirtschaftsspionage. Die Amerikaner können sich legal bedienen, Russen und Chinesen finden wenig Widerstand. Die Deutschen können nicht einmal die entscheidenden Selektoren selbst bedienen. Das neue Geheimdienst-Gesetz verbietet den Deutschen die Wirtschaftsspionage. Das ist höchst moralisch – aber bei einem knallharten Verteilungs-Poker ist es eine entscheidende Schwäche, wenn man nicht weiß, was der Gegner will – der Gegner jedoch auf alles Zugriff hat, was er braucht.
Deutschland hat keine Grenzen. Das Land kann nicht mehr kontrollieren, wer hier ein- und ausgeht. Kriminelle Banden aus aller Herren Länder können sich frei bewegen. Die Bevölkerung hat das Gefühl der Unsicherheit und projiziert ihre Ängste auf die Flüchtlinge – von denen viele nicht wissen, wie ihnen geschieht. Die Folge sind Spannungen und Spaltungen. Heute muss man sich als Tunesier in Deutschland tunlichst verstecken – auch wenn man der ehrbarste Mensch ist. Das nennt man Rassismus.
Deutschland hat keine Verbündeten mehr. Das Fenster, mit Russland und/oder der Türkei zu einer Allianz zu kommen, hat sich geschlossen. Die Russen werden mit den Amerikanern paktieren, wenn sie können. Die beiden können sich dann den deutschen Energiemarkt aufteilen – ein ideales Duopol am Ende einer Konsolidierung. Die einsame Entscheidung Merkels bei der Öffnung der Grenzen hat Deutschland von den Osteuropäern entfremdet. Die jedem ökonomischen Sachverstand widersprechende Austeritätspolitik hat Deutschland vom Süden entfremdet. In den meisten Beziehungen gibt es kein Zurück mehr zur alten Freundschaft. Europa ist gespalten.
Deutschland ist nicht Herr über seine Handelspolitik. Auch hier gilt: Solange alles gut ging, war es kein Problem, die Kompetenzen für den Freihandel bei der EU zu belassen. Doch der Austritt der Briten hat alles verändert: Die Briten werden Freihandelsabkommen verhandeln, auch noch als EU-Mitglied. Das ist illegal. Die Briten werden sagen: So what? Das können internationale Gerichte später entscheiden. Diese verhandeln dann mit hoher Wahrscheinlichkeit nach angelsächsischem Recht. Die Deutschen werden das Nachsehen haben – weil nicht deutsche Verhandler gegen die Briten antreten, sondern die EU-Kommission. Diese hat, wie die EZB, die Interessen aller EU-Staaten zu vertreten. Das kann alles sehr, sehr lange dauern. In der Zwischenzeit müssen die Briten und die EU-Staaten weiter koexisitieren.
Deutschland hat keine widerständige Zivilgesellschaft. Jedes Unternehmen lebt von seinen kritischen Mitarbeitern. Veränderungen werden durch Kritik herbeigeführt. Gefahren werden von jenen erkannt, die den CEO warnen – auch wenn dieser lieber hören würde, dass alles ganz toll läuft. In Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren eine Haltung breitgemacht, die wir aus Heinrich Manns Buch „Der Untertan“ kennen. Der gesellschaftliche Aufstieg scheint jenen sicher zu sein, die sich unterwürfig wegducken, wenn Unrecht geschieht oder schwere Fehler gemacht werden. In der Wirtschaftsgeschichte haben nur Unternehmen überlebt, in denen ein hohes Maß an Zivilcourage und Selbstbewusstsein der einzelnen Mitarbeiter den CEO zur ständigen Verbesserung getrieben haben.
Deutschland hat schlechte Karten im kommenden Handels- und Wirtschaftskrieg, in dem jeder gegen jeden kämpfen wird. Mit geschwächten oder ausgehöhlten Strukturen kann man nicht kämpfen. Die Schwächung Deutschlands wurde in den vergangenen Jahren zum Teil bewusst von außen betrieben. Zum anderen Teil hat die Bundesregierung sich dieser Entwicklung nicht entgegengestellt, sie sehenden Auges zugelassen oder in Teilen aus ideologischer Verblendung sogar selbst vorangetrieben. Als eine seiner letzten Amtshandlungen hat Sigmar Gabriel gesagt, die Deutschen und die Europäer müssten sich „warm anziehen“. Dann trat er zurück und übergab das Amt an eine Politikerin, die betont, in wenigen Monaten endgültig Abschied nehmen zu wollen. Mehr Führungsschwäche geht nicht. Dieses Land hätte Besseres verdient.