Politik

Türkei: Erdogan kündigt neue Militäreinsätze in Syrien an

Die Türkei zieht ihre Truppen nicht aus Syrien an, im Gegenteil: Präsident Erdogan hat weitere Aktionen angekündigt. Russen und Amerikaner dürften diese Entwicklung mit Sorge beobachten.
04.04.2017 01:58
Lesezeit: 3 min

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Nach dem Ende des türkischen Militäreinsatzes "Schutzschild Euphrat" in Nordsyrien hat Präsident Recep Tayyip Erdogan weitere Offensiven gegen "Terrorgruppen" angekündigt. "Die erste Phase, die Operation 'Schutzschild Euphrat' zur Vertreibung der Terroristen aus Al-Bab, ist vorbei, doch es wird weitere geben", sagte Erdogan am Montag bei einer Rede in der Schwarzmeerstadt Trabzon laut AFP.

"Es gibt kein Aufhalten", fügte Erdogan hinzu. Weiter sagte er: "Wir bereiten uns darauf vor, die Terroristen auf ihren Hügeln zu erreichen. Wir werden den neuen Operationen neue Namen geben. Wartet auf den Frühling und alle Terrorgruppen, PKK, YPG, Daesch, FETÖ, werden sehr nette Überraschungen erleben."

Daesch ist die arabische Abkürzung für die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS). FETÖ ist die türkische Bezeichnung für die islamische Gülen-Bewegung.

Die Türkei hatte Ende August "Schutzschild Euphrat" gestartet, um die IS-Miliz und die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), die als syrischer Ableger der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gelten, von der türkischen Grenze zurückzudrängen. Nach ersten Erfolgen geriet der Einsatz aber ins Stocken. Erst nach monatelangen Kämpfen gelang der Armee im März die Einnahme der IS-Hochburg Al-Bab.

Die türkische Regierung kündigte anschließend an, auch die Stadt Manbidsch einnehmen zu wollen, die von der YPG kontrolliert wird. Zudem sprach sie sich für eine Beteiligung an der geplanten Offensive auf die IS-Hauptstadt Raka aus. Allerdings lehnt die US-Regierung es ab, wie von Ankara gefordert ihre Unterstützung für die YPG zu beenden. Washington sieht die YPG als wichtigen Verbündeten gegen die IS-Miliz.

Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim hatte am vergangenen Mittwoch den Einsatz "Schutzschild Euphrat" für beendet erklärt. Zwei Tage später stellte die Armee aber klar, dass die türkischen Truppen in Nordsyrien bleiben würden. Wo die neuen Militäreinsätze geplant sind, sagte Erdogan nicht. Möglich wäre auch ein Einsatz gegen die PKK im Nordirak, wo die kurdische Guerilla seit langem Stützpunkte hat.

Vergangene Woche war Erdogan mit dem neuen US-Außenminister Rex Tillerson zusammengetroffen. Tillerson wich nicht von seiner Einschätzung ab, dass die USA in Syrien weiter mit der YPG zusammenarbeiten werden. Diese Nachricht war eine herbe Enttäuschung für die Regierung in Ankara - zumal auch die Russen mit der YPG kooperieren.

Ebenfalls nicht befriedigend verlief die Einschätzung des Putsch-Versuchs vom Juli. die Türkei fordert die Auslieferung des Predigers Gülen, den viele in der türkischen  Regierung für einen Mann aus dem Umfeld der CIA halten. Die CIA wiederum hat nach dem Putsch behaupten lassen, dass der Putsch ein Fake-Putsch gewesen sein soll - was angesichts der hohen Zahl an Toten sehr unwahrscheinlich ist.

Doch nun kommt dieser Vorwurf an Erdogan sogar aus der Türkei selbst.

Der türkische Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu hat der Regierung vorgeworfen, vorab Kenntnis von dem gescheiterten Militärputsch am 15. Juli gehabt zu haben. Es habe sich um einen "kontrollierten Putsch" gehandelt, sagte der Vorsitzende der Republikanischen Volkspartei (CHP) am Montag vor Journalisten in Istanbul. Es gibt schon lange Vorwürfe, die Regierung habe die Putschisten gewähren lassen, um den Staatsstreich für ihre eigenen Interessen auszunutzen.

Kilicdaroglu warf der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) vor, Parteimitglieder zu decken, die das verschlüsselte Nachrichtenprogramm ByLock benutzten, das laut der Regierung von den Putschisten verwendet wurde. Der Geheimdienst habe eine Liste dieser bis zu 180 AKP-Mitglieder, sagte Kilicdaroglu. "Wenn diese Liste geheim gehalten wird, zeigt das, dass der 15. Juli ein kontrollierter Putsch war."

Der CHP-Vorsitzende sagte, er habe ein "spezielles Dossier" zusammengestellt zu dem Putschversuch, wollte sich aber nicht näher zu dessen Inhalt äußern. Kilicdaroglu hatte sich nach dem 15. Juli hinter Recep Tayyip Erdogan als dem gewählten Präsidenten gestellt. Es ist das erste Mal, dass der Oppositionsführer die offizielle Darstellung zum gescheiterten Staatsstreich in Zweifel zieht.

Kilicdaroglus Äußerungen sorgten umgehend für Kritik seitens der Regierung. "Wenn du ein Dossier hast, dann raus damit", sagte Erdogan in einer Rede in der Schwarzmeerregion Rize. Die Vorwürfe seien eine "große Lüge". Ministerpräsident Binali Yildirim sprach von einer "Beleidigung" für die 249 Opfer des Putschversuch. Wer solche Vorwürfe erhebe, müsse "die Beweise auf den Tisch legen".

Die CHP macht ebenso wie die Regierung die Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen für den Putschversuch verantwortlich. Allerdings fordert die Oppositionspartei, dass die Regierung Auskunft zum genauen Ablauf des gescheiterten Staatsstreichs gibt. Berichten zufolge hatte Geheimdienstchef Hakan Fidan bereits Stunden vor Beginn des Putschversuches Kenntnis von der Verschwörung, ohne Erdogan darüber zu informieren.

Zudem soll Gülen, der lange mit Erdogan verbündet war, bevor er sich mit ihm im Jahr 2013 überwarf, noch immer zahlreiche Anhänger in der AKP-Führung haben. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss zu den Ereignissen des 15. Juli wurde beendet, ohne dass er zentrale Zeugen vernehmen konnte. Kritiker werfen der Regierung vor, Gülen-Anhänger in der AKP schützen zu wollen.

Erdogan ist wegen der verwirrenden Lage sehr nervös. Beobachter halten einen neuerlichen Putschversuch für möglich. 

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