Politik

Sind Kommunalwahlen wirklich nur Kommunalwahlen? Bedeutung der NRW-Kommunalwahl für die Bundespolitik

Die NRW-Kommunalwahl gilt als wichtigster Stimmungstest für die schwarz-rote Bundesregierung. Millionen Bürger entscheiden über lokale Mandate, doch der Ausgang wirkt weit über Nordrhein-Westfalen hinaus.
12.09.2025 13:21
Lesezeit: 3 min
Sind Kommunalwahlen wirklich nur Kommunalwahlen? Bedeutung der NRW-Kommunalwahl für die Bundespolitik
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) nimmt an der Sitzung des Bundestags teil: "Kommunalwahlen sind Kommunalwahlen." (Foto: dpa) Foto: Kay Nietfeld

Bedeutung der NRW-Kommunalwahl für die Bundespolitik

Es ist die erste große Bewährungsprobe seit Beginn der schwarz-roten Regierung. Auch wenn bei der NRW-Kommunalwahl über kommunale Mandate abgestimmt wird, dürfte das Resultat bis Berlin hineinwirken.

"Kommunalwahlen sind Kommunalwahlen." Mit diesen Worten reagierte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) auf die Frage, ob die Abstimmung in Nordrhein-Westfalen am Sonntag, nur gut vier Monate nach seinem Amtsantritt, zugleich ein Stimmungstest für die Bundespolitik sei. Selbstverständlich gebe es auch "einen gewissen Blick auf die Landespolitik und auf die Bundespolitik", erklärte Merz Anfang September bei seinem ersten Besuch als Kanzler in NRW. Doch die deutlichen Unterschiede bei den kommunalen Ergebnissen belegten, wie sehr diese von den Kandidaten vor Ort geprägt würden.

Auch andere Stimmen aus der schwarz-roten Koalition bemühten sich in den vergangenen Wochen, die Tragweite der Wahl abzuschwächen. "Ich gehe davon aus, dass die Ereignisse in Berlin keinen großen Einfluss auf die Wahlen in NRW haben werden", meinte etwa SPD-Fraktionsgeschäftsführer Dirk Wiese, ebenfalls aus dem Sauerland. "Als größtes und wirtschaftlich starkes Bundesland ist NRW selbstbewusst und unabhängig."

Einzige Wahl im Kalender: NRW mit mehr als einem Fünftel der Bevölkerung

Auch nach der NRW-Kommunalwahl wird schwer erkennbar sein, wie sehr die Bundespolitik das Ergebnis tatsächlich geprägt hat. Dennoch gilt als nahezu sicher, dass die Wahl Nachwirkungen auf die Bundespolitik haben wird. Dafür gibt es klare Gründe: Von den über 83 Millionen Menschen in Deutschland wohnen fast 22 Prozent in Nordrhein-Westfalen. Es ist das bevölkerungsreichste Bundesland mit 13,7 Millionen Stimmberechtigten. Allein das verschafft der NRW-Kommunalwahl ein besonderes Gewicht.

Hinzu kommt, dass NRW nahezu allein im Wahlkalender steht. Die letzte Wahl in Deutschland liegt mehr als ein halbes Jahr zurück (Hamburg-Bürgerschaft). Bis zur nächsten Abstimmung vergehen wieder sechs Monate: Am 8. März 2026 sind in Bayern Kommunalwahlen und in Baden-Württemberg Landtagswahlen. Damit ist NRW nicht nur die erste Wahl seit Schwarz-Rot in Berlin, sondern auch die einzige innerhalb eines Jahres.

Persönliche Betroffenheit der Koalition: Droht ein Denkzettel?

Unter den Wahlberechtigten finden sich etliche bekannte Koalitionspolitiker. Neben Kanzler Merz stammen auch Bundestagsfraktionschef Jens Spahn und CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann aus NRW. Gleiches gilt für SPD-Chefin Bärbel Bas aus Duisburg. Damit steigt die persönliche Betroffenheit innerhalb der Regierungsparteien. Für SPD und CDU auf Bundesebene geht es in erster Linie darum, ob sie selbst Verluste einstecken müssen. Bei der Bundestagswahl im Februar hatten Union und SPD gemeinsam noch 49,3 Prozent erreicht. In bundesweiten Umfragen sind nur noch 39 bis 44 Prozent übrig. Eine Mehrheit im Bundestag hätte Schwarz-Rot damit nicht mehr.

In ihrem einstigen Kernland Nordrhein-Westfalen muss besonders die SPD mit deutlichen Einbußen rechnen. Aber auch die Union steht unter Druck. Bei den letzten Kommunalwahlen 2020 erzielte sie 34,3 Prozent. Die SPD kam mit 24,3 Prozent knapp vor den Grünen mit 20,0 auf Rang zwei. Beide Parteien verbuchten ihr schwächstes Kommunalwahlergebnis in NRW.

Steigt der blaue Balken an?

Die entscheidende Frage der NRW-Kommunalwahl lautet: Wie stark wächst der blaue Balken, der damals bei 5,1 Prozent lag? 2017 zog die AfD erstmals mit einem einstelligen Ergebnis in den Düsseldorfer Landtag ein. Lange lagen ihre Werte dort deutlich unter denen in westlichen Bundesländern wie Niedersachsen, Bayern oder Hessen. Bei der Bundestagswahl im Februar jedoch wurde die AfD mit 16,8 Prozent drittstärkste Kraft vor den Grünen.

"Vor allem in strukturschwachen Regionen mit industriellem Niedergang – wie Gelsenkirchen oder Duisburg – hat die AfD gute Chancen, ihre Ergebnisse auszubauen und sich dauerhaft zu verankern", sagte Politikwissenschaftler Oliver Lembcke von der Universität Bochum Ende August.

Ob die Partei Bürgermeister-, Oberbürgermeister- oder Landratsposten erobert, bleibt ungewiss. Möglicherweise entscheidet sich dies erst in Stichwahlen. Den Wahlkreis Gelsenkirchen konnte die AfD bereits bei der Bundestagswahl im Februar gewinnen. Die kriselnde Ruhrgebiets-Stadt, einst geprägt durch Kohle- und Stahlindustrie, weist heute die höchste Arbeitslosenquote Deutschlands auf.

Neue Spannungen für die Koalition

Ein weiteres starkes AfD-Ergebnis dürfte frischen Streit in die Koalition tragen, die nach einem schwierigen Start gerade erst wieder Tritt fasst. Die Union würde sich in ihrem Ruf nach einem harten Kurs gegen illegale Migration bestätigt sehen. Die SPD hätte dagegen ein zusätzliches Argument, ein AfD-Verbotsverfahren zu fordern. Gespräche darüber hat die Union erst kürzlich abgelehnt. Auch die anstehenden Beratungen über Sozialreformen werden durch schwache Wahlergebnisse sicher komplizierter.

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