Im Vorfeld des geplanten Teil-Börsengangs des staatlichen Erdölkonzerns Saudi Aramco versucht die Regierung in Riad, den Wert des Unternehmens in die Höhe zu treiben. Im Zuge der teilweisen Privatisierung sollen etwa fünf Prozent von Saudi Aramco ausländischen Investoren an der Börse in Riad sowie an einer noch nicht bestimmten Börse im Ausland angeboten werden. Je höher der Firmenwert eingestuft wird, desto höher werden die Erlöse ausfallen, welche die saudische Regierung dann einnehmen kann.
Vertreter der Regierung hatten in den vergangenen Monaten versucht, einen Gesamtwert Aramcos von etwa 2 Billionen Dollar ins Spiel zu bringen. Hauptgrund für die Teil-Privatisierung dürfte der Zerfall der Ölpreise seit Mitte 2014 sein, der inzwischen zu einer bedrohlichen Schieflage des Haushalts geführt hat. Zusätzliche Einnahmen neben den Erlösen aus dem Ölgeschäft sind dem Herrscherhaus deshalb dringend notwendig. Im vergangenen Jahr machte das ölreiche Saudi-Arabien Schlagzeilen, als es sich Milliarden am internationalen Kapitalmarkt auslieh.
Tatsächlich geht aus Untersuchungen unabhängiger Analysten hervor, dass der Firmenwert deutlich unter den vom mächtigen Vize-Kronprinzen Mohammed bin Salman genannten 2 Billionen Dollar liegen dürfte, berichtet das Wall Street Journal. Beamte von Saudi Aramco selbst kommen anhand interner Einschätzungen offenbar zum Schluss, dass das Unternehmen „nur“ zwischen 1,3 Billionen Dollar und 1,5 Billionen Dollar wert ist. Ein nicht näher genannter Aramco-Angestellter habe bin Salmans Einschätzung gar als „unrealistisch und verblüffend“ bezeichnet.
Wie das Wall Street Journal schreibt, arbeiten dutzende Angestellte seit mindestens einem Jahr an dem Börsengang. In Zusammenarbeit mit Beratern aus dem Westen sollen Wege gesucht werden, Aramco so zu restrukturieren, dass der Firmenwert maximiert werden kann. Nicht zuletzt wegen Komplikationen bei diesen Umstrukturierungen erscheint es jedoch immer unwahrscheinlicher, dass Aramco vor Ende 2018 den Sprung aufs Parkett wage, schrieb das Wall Street Journal unter Berufung auf mehrere mit der Sache vertraute Personen. Sollten sich die ausländischen Berater durchsetzen, könnte es sogar erst 2019 so weit sein, hieß es. Bereits in den letzten Monaten habe sich herauskristallisiert, wie schwer es sei, einen Konzern wie Saudi Aramco schnell in ein den Aktionären verantwortliches Unternehmen umzuwandeln. Im April 2016 hatte bin Salman noch die Jahre 2017 oder 2018 für einen Börsengang genannt. Saudi-arabische Offizielle hatten zuletzt das Jahr 2018 ins Spiel gebracht.
Das Team aus Angestellten und Beratern hat verschiedene Stellschrauben identifiziert, deren Entwicklung sich maßgeblich auf den künftigen Unternehmenswert auswirkt – etwa der Rohölpreis und die Steuersenkung der saudischen Regierung.
Vergangenen Monat hatte die politische Führung Aramcos Steuerquote von 85 Prozent auf 50 Prozent gesenkt, um sich den Konkurrenten aus dem Westen wie Exxon Mobil oder Royal Dutch Shell anzunähern. Indem die Steuerlast deutlich gesenkt wurde, hat sich das Potential für höhere Dividendenzahlungen an die künftigen Aktionäre erhöht. Dies sei ein Grund dafür gewesen, warum der Firmenwert anschließend von etwa 500 Milliarden Dollar auf 1,3 Milliarden Dollar bis maximal 1,5 Milliarden Dollar heraufgesetzt werden konnte, zitiert das Wall Street Journal interne Quellen.
Die Entwicklung des Ölpreises – und damit auch die Bewertung des Konzerns – ist jedoch alles andere als gewiss. Zwar versucht die saudische Regierung die Öffentlichkeit von langfristig steigenden Notierungen zu überzeugen – nicht zuletzt auch als Folge der Förderbegrenzung – doch angesichts des globalen Überangebots ist dies sehr unsicher. „Die Kommentare von Aramcos Chef, wonach der Ölpreis stark steigen wird und keine Gipfel bei der weltweiten Nachfrage bevorstehe, verströmten einen Hauch Wunschdenken. Aramco wäre sicherlich mehr wert, wenn die Ölpreise steigen aber Investoren werden sich die Lage genau anschauen – insbesondere vor dem Hintergrund der Fehlprognosen der vergangenen drei Jahre“, schreibt die FT.
Bestehende Zweifel an einer fairen Bewertung Aramcos wurden Anfang des Jahres von der Beratungsgesellschaft Wood Mackenzie verstärkt, welche den Gesamtwert des Unternehmens bei nur etwa 400 Milliarden Dollar verortete. „Die Diskrepanz der Bewertung stellt eine zusätzliche Belastung für ein Projekt dar, das ohnehin sehr komplex ist und Widerstand aus den Rängen der Bürokratie des Königreichs erfährt“, kommentiert das Wall Street Journal.
Angelsächsische Großbanken sind mit den Vorbereitungen des Börsenganges betraut worden. Nach den Wall-Street-Banken JP Morgan und Morgan Stanley erhielt auch das britische Geldhaus HSBC ein Beratungsmandat. HSBC-Chef Stuart Gulliver gab den Auftrag am vergangenen Montag auf der Hauptversammlung in Hongkong bekannt. Früheren Reuters-Informationen zufolge ist HSBC für Aramco deswegen interessant, weil das Geldhaus in Asien stark vertreten ist. Es solle insbesondere in China Investoren gewinnen. Erst vor wenigen Wochen hatte der saudische König Salman im Zuge einer ausgedehnten Reise durch Asien auch China besucht.
Neben der Frage des Ölpreises und der Steuerbelastung sind es vor allem weitere zwei Faktoren, die eine endgültige Wertbestimmung Aramcos prägen und letztendlich über die Attraktivität eines Teil-Börsenganges entscheiden werden – der Umfang der saudischen Ölreserven und die politischen Implikationen eines Engagements.
Wie oilprice.com berichtet, herrscht in der Branche weitgehend Unklarheit über den Umfang und die Verwertbarkeit der Ressourcen von Aramco sowie bezüglich weiterer unternehmensinterner Faktoren. Die mangelhafte Transparenz würde viele potentielle Investoren abschrecken. „Aramcos IPO schafft es derzeit nicht, Klarheit über die Reserven, operationellen Kennzahlen und Einnahmen zu schaffen, die wir von anderen internationalen Unternehmen kennen. Ja, Aramco hat Einblicke in den Umfang der Öl- und Gasreserven Saudi-Arabiens gewährt aber es muss noch viel getan werden bis Analysten dieselbe Sicherheit haben wie bei Exxon, Shell, BP, Apache, Tullow oder Statoil. (…) Bezüglich der wahren Fakten und Zahlen bestehen noch viele Fragen. (…) Bis jetzt wurden noch keine Einblicke in die Erschöpfungsraten der Ölfelder von Aramco gegeben, speziell jener des Al Ghawar-Felds. Nimmt man nicht-offizielle Untersuchungen zur Hand – etwa jene von Simmons & Simmons vor einigen Jahren – kommt man zum Schluss, dass die Verringerung der Reserven in saudischen Feldern überdurchschnittlich hoch sein könnten. Ohne diese Einblicke und Fakten sollten Investoren eine Beteiligung am Teil-Börsengang sehr genau prüfen“, schreibt der Energieberater Cyril Widdershoven.
Offiziellen saudischen Angaben zufolge fördert Saudi Aramco täglich rund 10 Millionen Barrel (159 Liter) Öl – rund 10 Prozent der weltweit täglich geförderten Menge – und besitzt Erdölreserven im Umfang von 266 Milliarden Barrel sowie 8,3 Billionen Kubikmeter Erdgas, berichtet die Financial Times.
Wer es schafft, sich bei den Saudis einzukaufen, dürfte auch eine gewisse Nähe zu wichtigen politischen Entscheidungen in der Region erlangen. Das Unternehmen wird auch nach einem 5-prozentigen Teil-Börsengang naturgemäß ein Faktor der geopolitischen Strategie Saudi-Arabiens bleiben. „Derzeit ist die Produktion und Exportstrategie Aramcos zu 100 Prozent mit der geopolitischen Strategie des Landes verwoben. Die Macht des Königreichs basiert vollkommen auf seinen Erdölreserven und seinen Förderzahlen. Auch das ,Vision 2030' genannte Projekt, um die Wirtschaft zu diversifizieren, wird daran nichts ändern – der geopolitische Einfluss Riads wird in den nächsten 40 bis 50 Jahren fast vollständig auf den Rohölvorkommen beruhen. Vor diesem Hintergrund sollte der Börsengang betrachtet werden“, schreibt Widdershoven. Saudi-Arabien führt derzeit einen offenen Krieg im Nachbarland Jemen gegen die schiitischen Huthi-Rebellen und einen verdeckten Krieg mithilfe von Söldnern in Syrien.
Die Anleger scheinen im Hinblick auf Saudi-Arabien geneigt zu sein, beide Augen zu verschließen: Erst vor wenigen Wochen wurde eine Auktion auf Saudi-Bonds ein Riesenerfolg, obwohl das Land de facto pleite ist.