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Großbritannien als Vorbild: Erdogan verliert die Lust an der EU

Lesezeit: 3 min
26.04.2017 01:43
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Die Türkei erwägt nach den Worten von Präsident Recep Tayyip Erdogan ein Umschwenken in ihrer Haltung zum EU-Beitritt, wenn das Land weiter hingehalten werde und feindselige Tendenzen anhielten. Er sei bereit, ein Referendum zur EU abzuhalten, sagte Erdogan am Dienstag in einem Interview der Nachrichtenagentur Reuters. "Warum sollen wir noch länger warten?" Die Türkei warte bereits seit 54 Jahren vor den Toren der EU, obwohl sie alles tue, was von ihr verlangt werde. Die Beitrittsgespräche begannen 2005. Die EU habe sich nun der Türkei verschlossen, kritisierte Erdogan. "Was das Ausmaß an Islamophobie betrifft, ist es in Europa sehr schwierig geworden."

In Großbritannien habe es ebenfalls eine Abstimmung über die EU-Mitgliedschaft gegeben, sagte er mit Blick auf das Brexit-Referendum. "Sie haben nun Sicherheit, sie beschreiten den Weg in eine neue Zukunft... das könnte auch die Türkei tun." Die EU sei ohnehin am Rande der Auflösung, sagte er mit Blick auf Frankreich, wo die EU-Gegnerin Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National am Sonntag den Einzug in die Präsidentenstichwahl schaffte. Die EU habe nicht begriffen, dass sie die Türkei brauche, um ihr Fortbestehen zu sichern. "Sie finden es sehr schwierig, ein muslimisches Land wie die Türkei aufzunehmen".

Erdogan kritisierte die Entscheidung des Europarats, ein formales Verfahren gegen die Regierung in Ankara wegen des umstrittenen Verfassungsreferendums und des Vorgehens gegen Oppositionelle einzuleiten. Der Schritt sei politisch motiviert, sagte der Präsident. Die Türkei erkenne die Entscheidung nicht an.

Der Europarat hatte am Dienstag dafür gestimmt, die Türkei unter Beobachtung zu stellen. Die Institution überwacht die Einhaltung von Menschenrechten und ist keine Institution der Europäischen Union. Ihm gehören insgesamt 47 Staaten an, darunter die Türkei und Russland.

Die Entscheidung könnte Einfluss auf die Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei haben, die schon lange nicht vom Fleck kommen. In der EU mehren sich die Stimmen, die ein Ende der Gespräche fordern. Erdogan steht wegen des von ihm gewonnenen Verfassungsreferendums in der Kritik, das ihm mehr Macht einräumen soll.

In Deutschland ist Erdogan besonders in der Kritik, weil er der Bundesregierung Listen mit angeblichen Regimegegnern übergeben hat. Diese Listen stellen mehr oder weniger wahllos Politiker, Journalisten und andere Personen als Verschwörer gegen Erdogan dar. Die Bundesregierung hat auf das Ansinnen Erdogan, tausende Deutsch-Türken an Erdogan auszuliefern, bisher nicht reagiert, sondern die Betroffenen vor möglichen Repressalien in der Türkei oder den türkischen Konsularvertretungen in Deutschland gewarnt.

EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn rief die EU-Außenminister vor ihrem informellen Treffen am Freitag in Malta dazu auf, neue Formate mit Blick auf die Türkei zu erwägen. Der Chefsprecher der EU-Kommission sagte Reuters allerdings, dass dies nicht die Position von Präsident Jean-Claude Juncker sei.

Was Erdogan genau will, ist unklar. Er laviert aktuell zwischen den USA und Russland. Beide Großmächte brauchen Erdogan wegen des Syrien-Krieges. Erdogan hat in diesem Zusammenhang ein Signal der Kollaboration an die USA gerichtet und die Entmachtung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad gefordert. "Solange Assad an der Macht bleibt, kann es keine Lösung für Syrien geben", sagte Erdogan am Dienstag in einem Interview der Nachrichtenagentur Reuters. Er greife sein Volk mit Panzern, Fassbomben, Chemiewaffen und Kampfjets an. Der Konflikt könne nur beendet werden, wenn Assad nicht mehr an der Macht sei.

Er habe diese Frage auch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin erörtert. Putin habe ihm signalisiert, dass sich die russische Unterstützung für Assad abschwächen könnte. Er habe gesagt: "Verstehen Sie mich nicht falsch, Erdogan. Ich bin nicht Assads Anwalt." Ob dieser Spruch stimmt, ist nicht zu überprüfen. Die Russen haben zu Assad von Beginn an eine konsistente Position eingenommen: Es sei Aufgabe der Syrer, ihre Regierung zu bestimmen. Gewalttätige Regierungswechsel von außen lehnen die Russen ab.

Erdogan führt in Syrien seinen eigenen Krieg: Er hat am Dienstag hat die Angriffe seiner Luftwaffe in Nordsyrien und im Sindschar-Gebirge im Irak gerechtfertigt. Die Türkei werde nicht zulassen, dass die Sindschar-Region zu einem Stützpunkt für Extremisten der Kurdischen Arbeiterpartei PKK werde, sagte Erdogan Reuters. Die Militäraktionen würden solange fortgesetzt "bis der letzte Terrorist vernichtet ist". Die Türkei müsse diese Maßnahmen ergreifen, dies sei auch den USA, Russland und dem Irak vermittelt worden.

Bei den Angriffen wurden nach Darstellung der Kurdenmiliz YPG mindestens 20 Kämpfer getötet. Das türkische Militär sprach von rund 70 getöteten Extremisten.

Die USA zeigten sich besorgt über die Angriffe. Sie seien nicht von der von den USA geführten Koalition gegen die Extemistenmiliz IS gebilligt worden, sagte ein Sprecher des Außenministeriums. Die PKK-nahe Miliz YPG ist einer der wichtigsten Verbündeten der USA im Kampf gegen den IS. Die PKK selbst wird auch von den USA und der EU als Terrorgruppe eingestuft. Sie kämpft seit drei Jahrzehnten für eine Autonomie der Kurden. Mehr als 40.000 Menschen sind in dem Konflikt getötet worden.


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