Der US-Senat hat mit großer Mehrheit neue Sanktionen gegen Russland gebilligt. 98 der 100 Senatoren stimmten am Donnerstag (Ortszeit) für die Strafmaßnahmen. Nach der Verabschiedung müssen die neuen Maßnahmen, die auch Sanktionen gegen den Iran und Nordkorea vorsehen, Präsident Donald Trump zur Unterschrift vorgelegt werden.
Die EU bereitet sich angesichts des vergleichsweise zügigen Gesetzgebungsverfahrens in den USA auf Vergeltungsmaßnahmen vor. Eine Sprecherin der EU-Kommission sagte den Deutschen Wirtschafts Nachrichten:
"Gestern hatte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker darauf hingewiesen, dass das US-Gesetz unbeabsichtigte Auswirkungen auf die EU-Interessen im Bereich der Energieversorgungssicherheit haben könnte. Deswegen hat die Kommission gestern beschlossen, innerhalb weniger Tage angemessene Maßnahmen zu ergreifen, falls ihre Bedenken nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt werden. Allerdings setzt die EU-Kommission gemeinsam mit ihren Mitgliedstaaten auf einen diplomatische Regelung. Dies hat zum Teil auch schon zu Ergebnissen geführt. Einige der europäischen Bedenken wurden in dem Gesetzesentwurf berücksichtigt.
Die Kommission wird die weiteren Entwicklungen genau verfolgen und im Bedarfsfall innerhalb weniger Tage Gegenmaßnahmen ergreifen. Da es sich bisher lediglich um einen andauernden Prozess handelt und das Gesetz noch nicht in Kraft ist, wird sich die Kommission auch nicht zu den möglichen Gegenmaßnahmen äußern."
Die Sprecherin verwies auf die "Handelsschutzinstrumente", die sie "auch schon unter anderem gegen China eingesetzt hat". Diese sind umfassend und betreffen zahlreiche Bereiche, wie aus einer Aufstellung der Kommission hervorgeht.
Im November 2016 hatte die Kommission einen Vorschlag zur Modernisierung der Handelsschutzinstrumente vorgelegt. Dazu heißt laut einer Mitteilung der Kommission:
Die Europäische Kommission hat heute eine neue Methode zur Berechnung von Dumping bei Einfuhren aus Ländern vorgeschlagen, in denen erhebliche Marktverzerrungen bestehen oder der Staat einen allgegenwärtigen Einfluss auf die Wirtschaft hat. Ziel ist es, der EU handelspolitische Schutzinstrumente an die Hand zu geben, die es ihr ermöglichen, mit den aktuellen Gegebenheiten – insbesondere Überkapazitäten – im internationalen Handelsumfeld umzugehen und gleichzeitig in vollem Umfang ihren internationalen Verpflichtungen innerhalb des Rechtsrahmens der Welthandelsorganisation (WTO) nachzukommen. Der Vorschlag, der Änderungen der EU-Antidumping- und Antisubventionsvorschriften vorsieht, war zuvor Gegenstand einer breiten öffentlichen Konsultation und wird durch eine Folgenabschätzung ergänzt.
Die EU muss sicherstellen, dass sie weiterhin über wirksame handelspolitische Schutzinstrumente für den Umgang mit starken Marktverzerrungen in bestimmten Ländern verfügt, die zu industriellen Überkapazitäten führen können und Ausführer dazu veranlassen, ihre Produkte auf dem EU-Markt zu Dumpingpreisen zu verkaufen. Dies hat eine Schädigung europäischer Wirtschaftszweige zur Folge, was letztlich zu Arbeitsplatzverlusten und Fabrikschließungen führen kann, wie vor Kurzem in der EU-Stahlindustrie zu beobachten war.
Der heute vorgelegte Vorschlag ist im Kontext der Aufforderung des Europäischen Rates vom Oktober zu sehen, dringend eine ausgewogene Einigung über den Standpunkt des Rates zur umfassenden Modernisierung aller handelspolitischen Schutzinstrumente bis Ende 2016 zu erzielen. Eine Neugestaltung der Antidumpingmethodik wäre – ergänzend zu der von der Kommission bereits im Jahr 2013 vorgeschlagenen Modernisierung aller handelspolitischen Schutzinstrumente – ein wichtiger Baustein der notwendigen Reformen.
Die neue Antidumpingmethodik würde nur auf diejenigen Untersuchungen Anwendung finden, die nach Inkrafttreten der geänderten Regelungen eingeleitet werden. Der Vorschlag sieht zudem einen Übergangszeitraum vor, in dem alle derzeit geltenden Antidumpingmaßnahmen sowie laufende Untersuchungen weiterhin den bestehenden Rechtsvorschriften unterliegen würden. Darüber hinaus hat die Kommission eine Stärkung der EU-Antisubventionsvorschriften vorgeschlagen, sodass künftig auch etwaige neue Subventionen, die im Laufe einer Untersuchung bekannt werden, geprüft und bei der Festsetzung des endgültigen Zolls berücksichtigt werden können. Das Europäische Parlament und der Rat werden nun nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren über den Vorschlag befinden.
Dazu der für Arbeitsplätze, Wachstum, Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit zuständige Vizepräsident der Europäischen Kommission, Jyrki Katainen: „Handel ist Europas bester Wachstumshebel. Aber Freihandel muss fair sein, und nur fairer Handel kann frei sein. Heute legen wir einen Vorschlag zur Anpassung unserer handelspolitischen Schutzinstrumente vor, um den neuen Realitäten, wie Überkapazitäten und einem sich wandelnden internationalen Rechtsrahmen, Rechnung zu tragen. Über 30 Millionen Arbeitsplätze in Europa, 6 Millionen davon in KMU, hängen vom freien, fairen Handel ab, der nach wie vor Herzstück der EU-Strategie für Wachstum und Beschäftigung ist.“
EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström erklärte: „Der Vorschlag ist wichtig, da er zeigt, dass die EU ihren Verpflichtungen im Rahmen der WTO nachkommt. Die vorgeschlagene Methode ist länderneutral und es wird keinem Land ein ‚Marktwirtschaftsstatus‘ zuerkannt. Mit der Verabschiedung des Vorschlags durch das Europäische Parlament und den Rat werden die handelspolitischen Schutzinstrumente der EU angepasst, sodass wir gerüstet sind, um neuen Herausforderungen zu begegnen und den aktuellen rechtlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten gerecht zu werden. Dabei werden wir ein vergleichbares Schutzniveau aufrechterhalten.“
Nach den derzeit geltenden Vorschriften wird Dumping bei normalen marktwirtschaftlichen Bedingungen berechnet, indem der Ausfuhrpreis einer in die EU exportierten Ware mit den Inlandspreisen oder den Kosten für die Ware im Ausfuhrland selbst verglichen wird. Dieser Ansatz wird beibehalten und durch die neue Methode ergänzt, die länderneutral ist, also keine länderspezifischen Bestimmungen vorsieht. Sie wird in gleicher Weise für alle WTO-Mitglieder gelten und wird starken Verzerrungen in bestimmten Ländern Rechnung tragen, die ihren Grund in der Einflussnahme des Staates auf die Wirtschaft haben. WTO-Mitglieder werden nicht mehr in einer Liste von Ländern aufgeführt, auf die die sogenannte „Vergleichslandmethode“ Anwendung findet. Diese Methode wird ausschließlich bei Ländern ohne Marktwirtschaft angewandt, die nicht Mitglied der WTO sind.
Bei der Ermittlung von Verzerrungen sollen verschiedene Kriterien berücksichtigt werden, unter anderem staatliche Politik und Einflussnahme, ausgeprägte Präsenz staatseigener Betriebe, Diskriminierung zugunsten heimischer Unternehmen und Unabhängigkeit des Finanzsektors. Die Kommission wird länderspezifische oder sektorspezifische Berichte erstellen, in denen entsprechende Verzerrungen beleuchtet werden. Wie es bereits heute der Fall ist, werden auch künftig Akteure des jeweiligen Wirtschaftszweigs der EU einen Antrag auf Einleitung einer Untersuchung einreichen müssen, doch werden sie sich dann auf einschlägige Berichte der Kommission stützen können.
Die von der Kommission durchgeführte Folgenabschätzung zeigt, dass die neue Methodik im Großen und Ganzen zu Antidumpingzöllen in ähnlicher Höhe führen wird, wie sie derzeit erhoben werden.
Der gewählte Ansatz wird die Erfüllung der internationalen rechtlichen Verpflichtungen durch die EU sicherstellen, weiterhin die Wirksamkeit der handelspolitischen Schutzinstrumente der EU gewährleisten und dieses Instrumentarium weiter stärken – bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des derzeitigen Beschäftigungsniveaus.
Der Vorschlag ersetzt nicht den Vorschlag zur Modernisierung der handelspolitischen Schutzinstrumente der EU aus dem Jahr 2013. Die seinerzeit vorgeschlagene Verordnung würde zu einer Straffung der Verfahren führen und es der EU ermöglichen, unter bestimmten Umständen höhere Zölle zu erheben.
Ob US-Präsident Donald Trump den Maßnahmen zustimmen wird, ist noch offen. Sein Sprecher Anthony Scaramucci sagte am Donnerstag CNN: "Er könnte das Sanktionsgesetz genau so unterzeichnen, wie es vorliegt, er könnte aber auch sein Veto mit dem Ziel einlegen, eine noch härtere Regelung für Russland zu verhandeln." Ob dies eine Finte ist, um die Unterzeichnung zu vermeiden, ist nicht zu beurteilen.
Es wird allgemein erwartet, dass Trump die Sanktionen befürwortet, weil sie dem Präsidenten einen weiten Spielraum geben, gegen Unternehmen oder Privatpersonen vorgehen zu können. Die Drohung der EU dürfte in Washington ernstgenommen werden, weil die USA mit 16 Prozent des Welthandels längst keine wirtschaftliche Dominanz mehr ausüben und durch das von Willkür geprägte Instrument der Sanktionen in die Isolation geraten könnte.
Das größte Problem der EU ist ein massiver Dissens unter den Staaten: Vor allem Polen, das selbst wegen der Justizreform in einem erbitterten Streit mit Brüssel liegt, könnte sich querlegen und Gegenmaßnahmen mit einem Veto blockieren. Polen sieht sich in direkter Konkurrenz zu Deutschland, weil das Land selbst ein europäischer Energie-Hub werden will und daher gegen das von Deutschland und Russland forcierte Pipeline-Projekt Nord Stream 2 opponiert.
Der russische Präsident Wladimir Putin nannte die US-Pläne illegal und "extrem zynisch". Putin zeigte sich jedoch eher zurückhaltend und will abwarten: Die Antwort seines Landes hänge nun davon ab, wie das Gesetz am Ende aussehe, sagte Putin laut Reuters. Putin sagte, er setze trotz der Turbulenzen darauf, dass sich die Beziehungen zwischen beiden Ländern irgendwann wieder besserten.
Auch in Deutschland wurden die Stimmen lauter, die von Gegenmaßnahmen sprachen, weil die US-Pläne auch Firmen in Deutschland und europäischen Partnerländern bedrohten. Die deutsche Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries beklagte das und warnte vor einem Handelskrieg mit den USA. "Es gibt die Möglichkeit von Gegensanktionen, das sieht die Welthandelsorganisation so vor", sagte sie in der ARD. Auch der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft (OA) plädierte dafür, sich dies als allerletzte Möglichkeit offenzuhalten.
Das US-Repräsentantenhaus hatte am Dienstag einen Gesetzentwurf verabschiedet, der geltende Strafmaßnahmen gegen Russland verschärft. Damit soll Russland für die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim, die Unterstützung von Präsident Baschar al-Assad im syrischen Bürgerkrieg und eine mutmaßliche Einflussnahme auf die US-Präsidentschaftswahl bestraft werden. Im Zentrum der Sanktionspläne steht dabei der Energiebereich. Im Öl- und Gasgeschäft sind die USA ein Konkurrent Russlands. Daher rührt sich Kritik, dass die USA aus den Sanktionen auch einen wirtschaftlichen Nutzen ziehen wollen.
Im Zentrum des Unmuts in Deutschland und der Europäischen Union steht die Auswirkungen der US-Pläne auf nicht-amerikanische Firmen. Die deutsche Wirtschaft und die deutsche Politik werfen den USA vor, dies zu nutzen, um eigene Wirtschaftsinteressen in Europa zu durchzusetzen - nämlich um mehr Öl und Gas in den europäischen Markt zu drücken. "Solche exterritorialen Wirkungen von solchen Sanktionen sind nach unserer Auffassung völkerrechtswidrig", sagte der Koordinator der Bundesregierung für die transatlantischen Beziehungen, Jürgen Hardt, im SWR. Man werde nicht hinnehmen, dass die USA über Sanktionen Einfluss auf Europas Energiepolitik nehmen. Auch die Europäische Union ist auf Gegenmaßnahmen eingestellt.
Der OA-Geschäftsführer Michael Harms warf den USA pure Interessenpolitik vor. "Die gewünschten Sanktionen gegen Pipelineprojekte sollen dazu dienen, die Energieexporte aus den USA nach Europa anzukurbeln, Jobs in den USA zu schaffen und die US-Außenpolitik zu stärken". Das stehe so im Gesetzentwurf. Ausdrücklich zielten die Vereinigten Staaten auch darauf ab, das Gaspipeline-Projekt Nord Stream 2 in der Ostsee zu verhindern, das der russische Gazprom-Konzern mit europäischen Unternehmen plant. Insgesamt seien alle internationale Firmen bedroht, die am Ausbau, der Modernisierung und dem Erhalt russischer Energie-Leitungen beteiligt seien. "Das Gesetz schwebt wie ein Damoklesschwert über europäischen Firmen, die sich im Energiesektor engagieren". Sorge bereite zudem, dass auch die Russische Bahn als Sanktionsziel genannt werde.
Die deutsch-russische Auslandshandelskammer sprach von einer "Gefährdung der deutschen Wirtschaft in Russland". Ihr Präsident Rainer Seele sieht in den schärferen Sanktionen eine Bedrohung für die Energiesicherheit Europas. Sie förderten den Protektionismus und schafften neue Konfliktfelder. Auch die Vereinigung der europäischen Wirtschaft in Russland äußerte sich tief-besorgt über die US-Sanktionspläne.
Kritik kommt auch vom deutschen BASF-Konzern, der über seine Tochter Wintershall seit langem mit russischen Partnern im Energiebereich, vor allem Gazprom, zusammenarbeitet. Vorstandschef Kurt Bock bemängelte: "Sanktionen zu beschließen zulasten eines Dritten, nämlich zulasten Europas, und gleichzeitig die amerikanische Wirtschaft zu befördern nach dem Motto 'buy american gas' - das ist schon bemerkenswert, vor allem wenn man sich vor Augen führt, dass Russland uns seit Jahrzehnten zuverlässig in Europa beliefert." Allerdings sei wohl das letzte Wort in Washington noch nicht gesprochen. Er hoffe, dass europäische Interessen doch noch berücksichtigt werden. Ähnlich äußerte sich der OA.
In der russischen Presse hieß es laut Reuters unter Berufung auf Quellen aus dem Moskauer Außenministerium, sollte Trump den Gesetzentwurf unterzeichnen, werde die russische Seite Vergeltungsmaßnahmen ergreifen. Der mit großer Mehrheit im US-Abgeordnetenhaus verabschiedete Entwurf muss noch durch den Senat und dann noch vom Präsidenten unterzeichnet werden. Ein Wirtschaftsberater des russischen Präsidenten Wladimir Putin sagte zwar, er rechne nicht damit, dass sich die neuen US-Sanktionen besonders negativ auswirkten. Jedoch dämpften sie die Hoffnung, dass die bestehenden westlichen Strafmaßnahmen in den nächsten Jahren aufgehoben würden, sagte Alexej Kudrin zu Reuters. Die aktuellen Sanktionen drückten die Wirtschaftsleistung derzeit um 0,5 Prozent.