Der Chef des deutschen Energieunternehmens Uniper, Klaus Schäfer, ist der Ansicht, dass die europäischen Gasversorger angesichts der Bemühungen der USA, Flüssiggas (LNG) nach Europa zu liefern, eine stärkere Rolle auf dem europäischen Energiemarkt einnehmen müssen. Uniper ist eines von fünf europäischen Unternehmen, die in das deutsch-russische Pipelineprojekt Nord Stream 2 investiert haben. Das Projekt könnte aufgrund der jüngsten US-Sanktionen gegen Russland allerdings in Schwierigkeiten geraten.
„Der Hauptgrund (für die Sanktionen) sind strategische ökonomische Interessen, d.h. die gezielte Dominanz der USA auf den Energiemärkten (…). Die Bereitschaft von Uniper, das Nord Stream 2-Projekt mit anderen europäischen Partnern zu finanzieren, ergibt sich aus der Überzeugung, dass diese zusätzliche Gasverbindung wirtschaftlich sinnvoll ist und dass unser Beitrag zur Finanzierung rentabel sein wird“, zitiert der englischsprachige Dienst von Reuters Schäfer. Der Bau von Nord Stream 2 soll eigentlich im Jahr 2019 abgeschlossen werden. Die Fertigstellung würde den Anteil an russischem Gas auf dem europäischen Markt erhöhen.
Folglich würden US-amerikanische Produzenten von LNG einen Wettbewerbsnachteil erleiden. Nach eigenen Angaben hat Schäfer die Preise für LNG verglichen. Er meint, dass amerikanisches LNG im US- Binnenmarkt zwar günstig, doch als Exportprodukt relativ teuer sei. Nach Berücksichtigung der Gebühren für Versand, Verflüssigung und Vergasung steige der LNG-Preis enorm. Schäfer schlägt in diesem Zusammenhang vor, dass die europäischen Gasversorger neue Wege zur Herstellung von synthetischem Gas aus überschüssiger erneuerbarer Energie finden müssen.
Die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten haben verschiedene Ansichten über die Absichten der USA und Russlands auf dem europäischen Energiemarkt. Während Bundeskanzlerin Angela Merkel Nord Stream 2 als rein wirtschaftliches Projekt darstellt, sind die Polen der Ansicht, dass Russland über Nord Stream 2 auch politischen Einfluss in Europa ausüben möchte. Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries hatte die neuen Sanktionen gegen Russland als „völkerrechtswidrig" eingestuft. Ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWI) bestätigte dies den Deutschen Wirtschafts Nachrichten: „Extraterritoriale Sanktionen verstoßen nach unserer Auffassung gegen das Völkerrecht. Wir lehnen diese daher ab.“
Polen hingegen will sich aktiv von der russischen Gasabhängigkeit lösen und US-LNG in großen Mengen importieren. Das importierte Gas soll dann nicht nur für den Eigenverbrauch, sondern auch für den Weiterverkauf in weitere europäische Länder dienen.
Zuvor hatten Europas Energiekonzerne vor den negativen Folgen der neuen US-Sanktionen im Hinblick auf die Energieversorgung Europas gewarnt. Die Befürchtungen der deutschen Wirtschaft, dass die US-Sanktionen auch Firmen in Europa treffen könnten, nähren sich aus der exterritorialen Wirkung der US-Bestrafungspläne. Dies bedeutet, dass auch Firmen aus dem Ausland mit Aktivitäten in den USA, die gegen diese Sanktionen verstoßen, in den USA mit Strafen rechnen müssen.
Ciarán Burke, Professor für Internationales Recht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, erläuterte im Gespräch mit den Deutschen Wirtschafts Nachrichten die rechtliche Lage: „Vorausgesetzt, die Sanktionen der Vereinigten Staaten gegenüber Russland sind rechtmäßig, stellt sich die Frage, welche Wirkung sie gegenüber Dritten entfalten. Gemäß Art. 22 ARS ist bei rechtmäßigen Gegenmaßnahmen die Rechtswidrigkeit im Völkerrecht ausgeschlossen; eigentlich rechtswidrige Akte werden somit zu rechtmäßigen Handlungen. Allerdings greift dies dem Wortlaut nach nur in Verhältnis zum ersten Staat. Berührt die Gegenmaßnahme also die Rechte dritter Staaten, ist hier die Rechtswidrigkeit nicht ausgeschlossen. Dies hätte eine Entschädigungsverpflichtung des reagierenden Staates zur Folge. Ausgeschlossen ist eine nur indirekte Verletzung oder eine Beeinträchtigung, die nur eine Konsequenz der Maßnahmen gegen den Adressaten der Repressalie ist.“