Politik

Landgericht Tübingen bringt Rundfunkbeitrag vor den EuGH

Lesezeit: 3 min
04.09.2017 12:40
Das Landgericht Tübingen lässt die Rechtmäßigkeit des Rundfunkbeitrags vom Europäischen Gerichtshof prüfen. Der Vorgang könnte weitreichende Folgen für die Sender haben.
Landgericht Tübingen bringt Rundfunkbeitrag vor den EuGH

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

+++Werbung+++

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Das Landgericht Tübingen bezweifelt die Europarechtskonformität des Rundfunkbeitrags. Die 5. Zivilkammer hat dass Thema in einer Verfügung vom 2. August 2017 dem EuGH zur Prüfung vorgelegt. Der Vorgang ist bemerkenswert, weil der EuGH sich nun mit der grundsätzlichen Rechtmäßigkeit des Rundfunkbeitrags befassen muss. Der zwangsweise erhobene Beitrag wurde schon vor Jahren von der EU-Kommission unter dem Aspekt einer staatlichen Beihilfe untersucht. Laut Jahrbuch der ARD 08/2008 hatte die EU-Kommission bei den Rundfunkgebühren in Deutschland den "Tatbestand der Beihilfe gemäß den Bestimmungen des EG-Beihilferechts" zwar ausdrücklich bejaht. Die weitere Verfolgung wurde dann jedoch auf Drängen der Bundesregierung stillschweigend beerdigt (der Vorgang ist hier im Detail dokumentiert, Seite 85 ).

Der Ökonom Norbert Häring schreibt dazu auf seinem Blog:

"Der rebellische Richter am Landgericht Tübingen, dessen Urteile gegen den Vollstreckungswahnsinn der Rundfunkanstalten immer wieder von der nächsten Instanz kassiert werden, geht einen neuen Weg. Er hat vor dem Urteil zu einer Vollstreckung dem Europäischen Gerichtshof Fragen zur Vereinbarkeit des Rundfunkbeitrags mit Europarecht gestellt.

Die Fragen, die der Richter mit Beschluss vom 3.8.2017 dem EuGH vorlegte, haben es in sich. So will der Richter vom EuGH unter anderem wissen, ob der Rundfunkbeitrag eine Beihilfe darstellt, die der EU-Kommission zur Genehmigung hätte vorgelegt werden müssen. Hintergrund sind die vielfältigen wirtschaftlichen Tätigkeiten der Rundfunkanstalten, mit denen sie mit privaten Anbietern in Wettbewerb treten. Auch das Privileg der Anstalten, behördliche Bescheide selbst ausstellen und direkt vollstrecken zu dürfen, will er unter Gleichbehandlungsgrundsätzen geprüft haben."

Die Fragen des Gerichts laut Beschluss des Landgerichts Tübingen im Wortlaut:

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden nach Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist das nationale baden-württembergische Gesetz vom 18.10.2011 zur Geltung des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags (RdFunkBeitrStVBW) vom´17. Dezember 2010, zuletzt geändert durch Artikel 4 des Neunzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrages vom 3. Dezember 2015 (Gesetz vom 23. Februar 2016 - GBI. S. 126, 129) mit Unionsrecht unvereinbar, weil der dort grundsätzlich seit 1.1.2013 von jedem im deutschen Bundesland Baden-Württemberg wohnenden Erwachsenen voraussetzungslos zugunsten der Sendeanstalten SWR und ZDF erhobene Beitrag eine gegen Unionsrecht verstoßende bevorzugende Beihilfe zugunsten ausschließlich dieser öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten gegenüber privaten Rundfunkanstalten darstellt? Sind Art. 107/108 AEUV so auszulegen, dass das Gesetz betreffend den Rundfunkbeitrag der Zustimmung der Kommission bedurft hätte und mangels Zustimmung unwirksam ist?

2. Ist Art. 107/108 AEUV so auszulegen, dass er die im nationalen Gesetz „RdFunkBeitrStVtrBW" fstgesetzte Regelung erfasst, nach der grundsätzlich von jedem in Baden-Württemberg wohnenden Erwachsenen voraussetzungslos ein Beitrag zugunsten ausschließlich behördlicher/öffentlich-rechtlicher Sender erhoben wird, weil dieser Beitrag eine gegen Unionsrecht verstoßende bevorzugende Beihilfe ,zur technischen Ausgrenzung von Sendern aus EU-Staaten beinhaltet, da die Beiträge dazu verwendet werden, einen konkurrierenden Übertragungsweg zu errichten (DVB-T2 - Monopol), dessen Nutzung durch ausländische Sender nicht vorgesehen ist? Ist Art. 107/108 AEUV so auszulegen, dass er auch nicht unm.ittelbare Geldzuwendungen, sondern auch andere wirtschaftlich relevante Privilegierungen (Titulierungsrecht, Befugnis zum Handeln sowohl als wirtschaftliches Unternehmen als auch als Behörde, Besserstellung bei der Berechnung der Schulden) erfasst?

Ist es mit dem Gleichbehandlungsgebot und dem Verbot privilegierender Beihilfen vereinbar, wenn aufgrund eines nationalen, baden-württembergischen Gesetzes, ein deutscher Fernsehsender, der öffentlich – rechtlich organisiert und als Behörde ausgestaltet ist, zugleich aber im Werbemarkt mit privaten Sendern konkurriert, dadurch gegenüber diesen privilegiert wird , dass er nicht wie die privaten Wettbewerber seine Forderungen gegenüber Zuschauern beim ordentlichen Gericht titulieren lassen muss, bevor er zwangsvollstrecken kann, sondern selbst ohne Gericht einen Titel schaffen darf, der gleichermaßen zur Zwangsvollstreckung berechtigt?

Ist es mit Art. 10 EMRK/Art. 4 GRCh (Informationsfreiheit) vereinbar, dass ein Mitgliedstaat in nationalem, baden-württembergischen Gesetz vorsieht, dass ein Fernsehsender, der als Behörde ausgestaltet ist, einen Beitrag zur Finanzierung gerade dieses Senders von jedem im Sendegebiet wohnhaften Erwachsenen bußgeldbewehrt verlangen darf, unabhängig davon, ob er überhaupt ein Empfangsgerät besitzt oder nur andere, nämlich ausländische oder andere, private Sender nutzt?

Ist das nationale Gesetz „RdFunkBeitrStVtrBW", insbesondere §§ 2 und 3, mit dem unionsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot und Diskriminierungsverbot vereinbar, wenn der zur Finanzierung eines öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders von jedem Bewohner voraussetzungslos zu zahlende Beitrag eine Alleinerziehende pro Kopf mit dem vielfachen dessen belastet, was ein Mitglied einer Wohngemeinschaft schuldet? Ist die Richtlinie 2004/113/EG so auszulegen, dass auch der streitgegenständliche Beitrag erfasst wird und dass eine mittelbare Benachteiligung ausreicht, wenn aufgrund der realen Begebenheiten zu 90 % Frauen höher belastet werden?

Ist das nationale Gesetz „RdFunkBeitrStVtrBW", insbesondere §§ 2 und 3, mit dem unionsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot und Diskriminierungsverbot vereinbar, wenn der zur Finanzierung eines öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders von jedem Bewohner voraussetzungslos zu zahlende Beitrag bei Personen, die einen zweiten Wohnsitz aus beruflichen Gründen benötigen, doppelt so hoch ausfällt wie bei anderen Berufstätigen?

Ist das nationale Gesetz „RdFunkBeitrStVtrBW", insbesondere §§ 2 und 3, mit dem unionsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot, dem unionsrechtlichen Diskriminierungsverbot und der unionsrechtlichen Niederlassungsfreiheit vereinbar, wenn der zur Finanzierung eines öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders von jedem Bewohner voraussetzungslos zu zahlende Beitrag bei Personen so ausgestaltet ist, dass ein Deutscher bei gleicher Empfangsmöglichkeit unmittelbar vor der Grenze zum EU-Nachbarstaat ausschließlich in Abhängigkeit von der Lage des Wohnsitzes den Beitrag schuldet, der Deutsche unmittelbar jenseits der Grenze aber keinen Beitrag schuldet, ebenso der ausländische EU-Bürger, der sich aus beruflichen Gründen unmittelbar jenseits einer EU-Binnengrenze niederlassen muss, mit dem Beitrag belastet wird, der E:U-Bürger unmittelbar vor der Grenze jedoch nicht, auch wenn beide am Empfang des deutschen Senders nicht interessiert sind?


Mehr zum Thema:  
Europa >

DWN
Politik
Politik DWN-Interview mit Ex-Militärberater Jörg Barandat: „Wasser und Energie sind untrennbar miteinander verbunden.“
19.05.2024

Wasser sollte nicht getrennt von anderen Faktoren wie Energie und Klima betrachtet werden, sagt Jörg Barandat, langjähriger Berater...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Im Sog der Krise: Chinas Immobilienbranche unter Druck
19.05.2024

Seit einigen Jahren belastet die Immobilienkrise China und beeinträchtigt das wirtschaftliche Wachstum. Die Geduld vieler Gläubiger...

DWN
Politik
Politik Absturz des Präsidentenhubschraubers im Iran: „Alle Insassen sind tot“
19.05.2024

Ein Hubschrauber mit Irans Präsident Raisi und Außenminister Amir-Abdollahian ist abgestürzt. Die Insassen sind tot. Es wirft Fragen zur...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft EU-Kommission unterstützt Lausitz: Auf dem Weg zum "Netto-Null-Valley"
19.05.2024

Wie kann man ohne die Freisetzung von Treibhausgasen produzieren? Das Kohlerevier in der Lausitz strebt danach, als Modellregion in Europa...

DWN
Politik
Politik 75 Jahre Europarat: Ein Jubiläum in turbulenten Zeiten
19.05.2024

Der einst stolze Europarat feiert sein 75-jähriges Bestehen, doch das Jubiläum findet inmitten von Krisen und Unsicherheit statt,...

DWN
Finanzen
Finanzen P2P-Kredite als alternative Geldanlage: Chancen und Risiken
19.05.2024

P2P-Kredite sind eine aufstrebende Anlageklasse, die Privatpersonen ermöglicht, direkt in den Kreditbedarf anderer Privatpersonen zu...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Vom Erfolg zur Krise: Wie Adidas seine Dominanz im Sportmarkt verlor
19.05.2024

Adidas, einst ein Riese im Sportmarkt, kämpft nach katastrophalen Kooperationen und einem Börsenabsturz gegen den Aufstieg von Nike. Mit...

DWN
Finanzen
Finanzen Kreditanstalt für Wiederaufbau in der Kritik, nutzt Potenzial unzureichend
19.05.2024

Eine neue Studie der Stiftung Klimaneutralität zieht eine kritische Bilanz zur Rolle der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Demnach...