Politik

Tschechien will Drehscheibe für Erdgas aus Russland werden

Tschechien könnte die Ukraine und Polen als Engerie-Drehscheibe für Mitteleuropa ausstechen. Die Tschechen versuchen eine Doppel-Strategie in einem komplexen geopolitischen Umfeld.
09.09.2017 20:51
Lesezeit: 4 min

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Tschechien will Drehscheibe für russisches Erdgas in die EU werden. Prag sieht für dieses Vorhaben gute Chancen, weil der Transport über die Ukraine unsicher ist. Die Unsicherheit ist geopolitisch bedingt – niemand kann aktuell sagen, ob sich die Konflikt in der Ostukraine so entspannt, wie die EU-Politiker dies hoffen. Noch gravierender sind allerdings die Probleme, die die Ukraine mit der maroden Infrastruktur hat. Der ukrainische Energieminister warnte erst vor wenigen Tagen, dass die Leitungen in so schlechtem Zustand seien, dass nicht klar sei, ob die Ukraine ab 2019 in der Lage sein wird, die Sicherheit des Transports zu gewährleisten. Russland möchte auf jeden FAll verhindern, dass der Transport unterbrochen wird. Die EU ist der wichtigste Absatzmarkt für den staatlichen Gazprom-Konzern. Die Russen müssen sich erstmals mit einer möglichen Konkurrenz auseinandersetzen: Die USA wollen Europa mit Flüssiggas (LNG) versorgen und den Russen Marktanteile abjagen. Erster Partner der USA ist Polen. Die Polen setzen auf LNG und haben mit den USA eine umfassenden Zusammenarbeit vereinbart.

Tschechien kann in der aktuellen Diskussion eine wichtige Rolle spielen. Diese könnte darauf aufbauen, dass Tschechien mit Deutschland eng kooperiert. Polen steht dagegen in direkter Konkurrenz zu Deutschland – die Polen wollen selbst ein Energie-Hub in Europa werden.

Als US-Präsident Donald Trump im Juni verschärfte Sanktionen gegen Russland unterzeichnete und damit die europäischen Investoren bei der Gas-Pipeline Nord Stream 2 unter Druck setzte, da war indirekt auch der tschechische Energiemarkt betroffen. Sollte Nord Stream 2 nicht zustande kommen, würde dies auch die Energieversorgung des deutschen Nachbarn einschränken.

Die geographische Lage Tschechiens im Zentrum Europas macht Nord Stream 1 und 2 auch für das kleine Binnenland interessant: 2013 wurde die Pipeline Gazelle in Betrieb genommen, die sich durch den Westen des Landes und vom Städtchen Brandov in Nordböhmen bis zum Grenzübergang Waldhaus/Rozvadov in Bayern zieht. 166 Kilometer ist Gazelle lang und hat rund 10 Milliarden Kronen (rund 383 Millionen Euro) gekostet.

Mit dem Ausbau der Versorgung über die Nordsee würde Tschechiens Position noch gestärkt: Innerhalb Deutschlands ist eine weitere Leitung, EUGAL, vorgesehen. Parallel zu OPAL soll EUGAL von Lublin bei Greifswald zur tschechischen Grenze verlaufen und die Kapazitäten um 51 Milliarden m³ erweitern. In dem Zusammenhang sollen auch die innentschechischen Pipelines ausgebaut werden. Das tschechische Unternehmen Net4Gas hat bereits angekündigt, an dem Ausbau interessiert zu sein. Net4Gas, früher RWE Transgas Net, wird seit 2013 von der Allianz und Borealis dominiert.

Von Brandov, Jirkov, Sviňomazy und Přimda aus wiederum wird das Gas ins bestehende tschechische Gasfernleitungsnetz eingespeist. Für Tschechien ist Gazelle jedoch nicht nur für die eigene Versorgung von größter Bedeutung. Die Pipeline ist in Rozvadov/Waidhaus wiederum mit der Leitung MEGAL verknüpft, die nach nach Süddeutschland und Frankreich führt. Über zwei Leitungen ist Tschechen zudem mit dem Osten des Landes und der Slowakei verbunden. Dort kam traditionell das Gas über die Ukraine-Trasse an.

Bei einem entsprechenden Ausbau eröffnet das neue Möglichkeiten: Fließt das Gas durch die Ukraine und die Slowakei, kann Tschechien die westlichen Länder versorgen. Sollte die Ukraine tatsächlich 2019 als Transitland ausfallen, so könnte Tschechien vom Norden aus Deutschland Gas weiterleiten. Am Ende würde Tschechien so zur Energie-Drehscheibe für  West- und Mittelosteuropa.

Eigentlich müsste die tschechische Regierung demnach entschieden für den Ausbau von Nord Stream 2 sein. Es gab jedoch keinerlei Wortmeldungen aus dem Parlament oder der Regierung, als Trump mit seiner Unterschrift unter die geplanten Sanktionen das ganze Projekt zu torpedieren drohte.

Einziger und eher verhaltener Hinweis darauf, dass die tschechische Regierung durchaus mit dem deutschen Energie-Plan einverstanden ist, war die Entscheidung im Dezember 2015, eine Protestnote, die der slowakische Wirtschaftsminister Vazil Hudák initiiert hatte, nicht zu unterzeichnen. Hudák warnte in einem Brief an die EU Energieunion, ein Ausbau der Nordsee-Pipeline könne die Situation in der Ukraine noch mehr destabilisieren. Estland, Lettland, Litauen, Polen, Ungarn und Rumänien stimmten ihm zu. Sein tschechischer Amtskollege Jan Mládek aber fand die Formulierungen zu scharf. Die tschechische Regierung beschloss, nicht zu unterzeichnen. Gleichzeitig formulierte sie ebenfalls Bedenken, die Ukraine vom Gastransit abzuschneiden. Es solle langfristig eine Garantie für eine minimale Transitmenge geben, forderte Mládek.

Was die Tschechen davon abhalte, sich offen an die Seite der Deutschen und Österreicher zu stellen, sei die Politik gegenüber der Ukraine, aber auch Rücksicht gegenüber der Slowakei, analysiert der Energie-Experte und Consultant Jan Žižka im Fachmagazin „O energetice“. Außer der Sorge um die Energiesicherheit bewegt die beiden Länder auch konkretes finanzielles Interesse. Die Ukraine verdient bis zu zwei Milliarden Dollar jährlich am Gastransit. Aber auch die Slowakei könnte durch Nord Stream 2 eine sichere Einnahmequelle verlieren. Es geht um bis zu 400 Millionen Euro jährlich an Gebühren.

Die Position der Slowakei in der Frage ist innerhalb der vergangenen zwei Jahre weicher geworden. Jan Žižka vermutet, dass dahinter vor allem die Einsicht steckt, dass die Deutschen die Leitung so oder so bauen. In dem Fall sei es praktischer, von dem Projekt zu profitieren, statt sich dagegen zu stellen.

Ähnlich pragmatisch sehen das laut Jan Žižka auch die Tschechen. Sie würden einerseits die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands sehen, andererseits wären sie sich auch der politischen Dimension bewusst. Laut Bloomberg ist für Deutschland das Gas durch die Nordsee-Pipeline um 40 Prozent billiger.  Von den niedrigen Preisen können auch andere Länder profitieren. Nord Stream 2 garantiert schließlich nicht nur die Gasversorgung Deutschlands, sondern stellt so viele Kapazitäten zur Verfügung, dass auch an andere Abnehmer geliefert werden kann.

Gleichzeitig ist in Tschechien ebenso wie in vielen anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks in der Gesellschaft ein tiefes Misstrauen gegenüber Russland verankert. Eine Umfrage des Instituts Ipsos von 2015 will herausgefunden haben, dass viele Tschechen (71 Prozent) Wladimir Putin mit Josip Stalin vergleichen. 59 Prozent der Befragten empfanden den wirtschaftlichen Einfluss aus Russland negativ. Ob die zwei Jahre alte Umfrage noch valide ist, ist schwer zu beurteilen. Der tschechische Präsident Milos Zeman, der immerhin vom Volk direkt gewählt wurde, ist ein Gegner eines harten EU-Kurses gegen Russland.

Doch die energiepolitischen Positionen der tschechischen Regierung dürften eher vom Pragmatismus geprägt sein – und der Aussicht auf ein lukratives Geschäft. Es müsse vielen osteuropäischen Ländern paradox erscheinen, dass es den Deutschen mit der Pipeline direkt aus Russland um die Sicherheit ihrer Energieversorgung gehe, schreibt Jan Žižka. Gleichzeitig räumt er ein: „Egal, was offiziell alles in Europa über die Ukraine gesagt wird, an der Sorge, dass es sich nicht um ein langfristig stabiles Land handelt, wird das nichts ändern. Und der Konflikt mit Russland hilft Kiew in der Hinsicht auch nicht gerade.“

Während die Politiker schweigen, wird in der Tagespresse dieser Zusammenhang mittlerweile durchaus laut diskutiert. Im Magazin „Ceska Pozice“ der Tageszeitung „Lidové noviny“ kommentierte Jan Schneider im Juli 2017, es sei schlicht unverfroren, den Verlust der Transitgebühren zu reklamieren, so als ob die Ukraine ein Recht darauf habe. Einerseits warnten Polen und die Ukraine vor Abhängigkeiten, andererseits kritisierten sie ausgerechnet die Begrenzung des Transits als „Erhöhung des Sicherheitsrisikos“. Russland habe die Gaslieferungen schließlich nicht in die EU, sondern nur in die Ukraine mehrfach eingestellt. Und das sei geschehen, weil die Ukraine schlicht ein „Schwarzes Loch“ gewesen sei.

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