Alvise Armellini von der dpa liefert einen interessanten Bericht über das Problem der anhaltend hohen Jugendarbeitslosigkeit in Italien:
Eine beliebte Radiosendung in Italien heißt in Anlehnung an einen bekannten Filmtitel „No Country for Young Men“ („Kein Land für junge Männer“). Angesichts einer stagnierenden Wirtschaft, die insbesondere jungen Männern und Frauen kaum Möglichkeiten bietet, verwundert das kaum.
Italiens Jugendarbeitslosigkeit liegt seit sechs Jahren über 30 Prozent. Allein im Jahr 2015 sind rund 50.000 Italiener unter 40 Jahren ausgewandert, um anderswo zu arbeiten. Knapp die Hälfte von ihnen ging mit Universitätsabschluss. Italien „blutet aus“, was junge Talente betrifft, sagt Luca Paolazzi, Chefvolkswirt des Arbeitgeberverbands Confindustria. Die Auswanderungen kosten Italien rund ein Prozent Wirtschaftswachstum pro Jahr, ist er überzeugt. „Wir sprechen hier von einer echten Krise.“
Die Mitte-links-Regierung von Ministerpräsident Paolo Gentiloni hat die Situation erkannt und versucht gegenzusteuern. Der kommende Haushalt werde Maßnahmen vorsehen, um Unternehmen dazu zu motivieren, junge Menschen einzustellen, versprach sie. „Mit Blick auf die Grenzen des Etats gibt es sehr wenig Mittel (für mehr Staatsausgaben)“, sagte Wirtschaftsminister Pier Carlo Padoan. „Die Jugendarbeitslosigkeit wird mit Sicherheit eines der sehr wenigen Themen sein, die bei den Haushaltsplanungen angegangen werden.“
So liegt derzeit die Idee auf dem Tisch, für neu eingestellte Arbeitnehmer unter einem bestimmten Alter die Sozialabgaben zu senken. Für Arbeitgeber fallen damit für frisch eingestellte junge Arbeitnehmer die Kosten, die sie neben dem Lohn bezahlen müssen – wodurch es für sie attraktiver wird, junge Menschen anzuheuern. Darüber hinaus erwägt Italiens Regierung, bis zu einer halben Million Angestellte im öffentlichen Dienst in den vorgezogenen Ruhestand zu schicken. So will sie diese Jobs für junge Arbeitnehmer freigeben.
Kritiker bemängeln, dass die Senkung der Sozialabgaben Firmen auch lediglich dazu bringen könnte, angestellte junge Menschen wieder zu entlassen, sobald sie älter werden und die – noch festzulegende – Altersgrenze überschreiten. Und das Versprechen neuer Jobs beim Staat wirkt für einige wie ein Wahlgeschenk – Gentilonis Regierung muss sich kommendes Jahr der Wiederwahl stellen.
Eine ökonomische Beratungsfirma hat im März eine radikalere Lösung vorgeschlagen: Wohlhabende Rentner sollen mit einer Steuer belegt werden, um von diesem Geld Wohlfahrtsmaßnahmen für Jüngere zu finanzieren. Das sei „nicht nur von einem ethischen Standpunkt aus angemessen, sondern auch sozial und wirtschaftlich sinnvoll“.
Die Denkfabrik hat berechnet, dass das Alter, in dem junge Italiener durchschnittlich erwarten können, finanziell von ihren Eltern unabhängig zu werden, immer weiter steigt: Lag es im Jahr 2004 noch bei 30 Jahren, soll es bis 2020 auf 38 steigen, bis 2030 gar auf 48. Viele von ihnen überleben nur, weil es sozial akzeptiert wird, auch mit über 30 noch zu Hause zu leben, ist sich auch Alessandro Rosina, Demografie-Professor an der Katholischen Universität Mailand, sicher. Ein gewisses Einkommen verdienten sie nebenher schwarz.
Ein besonderes Beispiel für die Situation der jungen Generation in Italien ist Enzo Lattuca. Der 29-Jährige ist der jüngste Abgeordnete des italienischen Parlaments. Knapp ein Drittel seiner Mitschüler seien ausgewandert, sagt er der Deutschen Presse-Agentur. Das sei aber kein Grund, die Jungen gegen die Alten auszuspielen. „Ich glaube nicht an die Idee, dass der einzige Weg, die Jungen besser zu stellen, darin liegt, die Älteren schlechter zu stellen“, sagt Lattuca, Parteikollege von Ministerpräsident Gentiloni.
Italiens Gewerkschaften bringen sich mit ähnlichen Argumenten in Stellung. Pläne der Regierung, das Renteneintrittsalter im Jahr 2019 um fünf Monate – auf 67 Jahre – zu erhöhen, lehnen sie strikt ab. Zugleich solle die Regierung aber auch „die künftigen Renten der jungen Menschen unterstützen“.
Kann es genug für jeden geben? Auch wenn Italiens Wirtschaft beginnt, nach der Krise besser zu laufen, sitzt das Land auf einem riesigen Schuldenberg – der Spielraum für neue Staatsausgaben ist stark begrenzt. „Ist die Decke kurz, wird es schwer, alle warm zu halten“, fasst es Massimiliano Valerii zusammen, Direktor des Sozialforschungsinstituts Censis.
Valerii verweist zudem auf sinkende Geburtenraten und eine steigende Lebenserwartung. „Es ist eine Tatsache, dass wir heute weniger junge Menschen haben als früher – das macht die Jüngeren politisch weniger relevant“, sagt der Sozialforscher über Italiens Gesellschaft. „Es ist traurig, aber alte Menschen, die für Renten kämpfen, haben mehr Einfluss als junge Menschen, die für Arbeitsplätze kämpfen.“