Politik

Israel: Militär kritisiert aggressive Politik gegen die Nachbarn

In Israel melden sich unter den Top-Militärs erste deutliche Kritik an der aggressiven Politik der Regierung Netanjahu gegenüber den Nachbarn im Norden.
14.07.2018 23:57
Lesezeit: 4 min

Amiram Levin, Generalmajor der Reserve der Israelischen Armee (IDF), hält die aggressive Politik der Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gegenüber Syrien für falsch. So wie er denken viele führende Militärs in Israel, doch nur wenige wagen es, ihre Position offen zu vertreten. Levin ist einer der besten Kenner der Lage an Israels Grenzen. Viele Jahre war er Befehlshaber des IDF Northern Command (syrische Grenze), war als Kommandeur der prominentesten Eliteeinheit der IDF an spektakulären Aktionen beteiligt und diente als stellvertretender Direktor des Mossad.

Er kritisiert die militärischen Schläge Israels auf syrischem Hoheitsgebiet und die Fixierung Israels auf einen vollständigen Abzug von iranischen Einheiten aus Syrien.

Am vergangenen Mittwoch hatte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu dem russischen Präsidenten Wladimir Putin einen Besuch abgestattet – der bereits dritte in nur sechs Monaten - und erneut den vollständigen Rückzug aller iranischen Truppen aus ganz Syrien gefordert.

Einen Tag zuvor hatte die israelische Luftwaffe zum dritten Mal die iranische Militärbasis T4  in der Nähe von Homs in Syrien angegriffen.

Diese und andere Angriffe sollen eine Politik signalisieren, derzufolge Israel keine iranische Präsenz in Syrien tolerieren werde. Levin ist der Meinung, dass diese Militärschläge nicht zum Erreichen von politischen Zielen geeignet sind.

Laut Levin kann die politische Forderung Netanjahus nach dem Abzug des Iran nicht mit Angriffen auf Militär-Basen in Syrien untermauert werden. Sie stellen keine Handlung der Selbstverteidigung dar. Levin sagte den Deutschen Wirtschaftsnachrichten: „Die israelischen Aktivitäten in Syrien bringen die Bedrohung nur näher an Israel heran. Israel hat eine unnötige Front mit Syrien eröffnet, statt das Mittel einer stillschweigenden Diplomatie zu wählen.“

Levin ist überzeugt, dass Israel die iranische Bedrohung größer darstellt, als sie tatsächlich ist. Er glaubt auch, dass einige der "unnötigen und sogar schädlichen" israelischen Militäraktionen - wie er sie definiert - wenig mit Sicherheit zu tun haben, sondern hauptsächlich politisch motiviert sind.

Wenn Levin über Syrien spricht, bringt er nicht nur theoretisches Wissen mit. Es klingt, als ob er die Gegend persönlich kennt. Auf die Frage, ob er jemals dort gewesen sei, antwortet Levin ausweichend: „Sagen wir einfach, ich kenne den Ort sehr gut.“

Die israelische Politik basiere darauf, dass Israel die iranische Präsenz und iranische Raketen jenseits der Grenze nicht akzeptieren kann. Laut Levin sei es dazu lediglich legitim, „stillschweigend einige gut ausgewählte Ziele anzugreifen, um unsere rote Linie zu markieren“.

Dies sei jedoch nicht der Fall, wenn diese Aktionen öffentlich gemacht würden. Ein solches Verhalten führe nicht zum Erfolg, sondern werde vom „Feind“ als Demütigung empfunden. Levin: „Die Demütigung des Feindes ist ein sehr falscher und gefährlicher Ansatz. All diese Aktionen sind Teil einer Politik, die verlangt, den Iran aus ganz Syrien zu vertreiben. Diese Forderung öffentlich zu machen, macht die Sache nur noch schlimmer.“ Die Forderung könne auf diplomatischem Wege mit den USA und mit Russland diskutiert, nicht jedoch als öffentliche Forderung erhoben werden.

Levin hält die Fixierung der israelischen Regierung auf den Iran für nicht angemessen: „Die Darstellung der iranischen Bedrohung durch die israelische Regierung ist stark übertrieben. Der Iran ist zwar ein Terrorstaat, aber sind die Aktivitäten der iranischen Streitkräfte in Syrien eine so große Bedrohung für Israel? Jeder, der etwas über die Funktionsweise der Armee weiß, welch entscheidende Auswirkung die große Entfernung vom Heimatland auf die Leistung der Einheiten hat. Das iranische Militär muss 1.500 Kilometer von seiner eigenen Grenze entfernt operieren. Sehen Sie, welch erfolglose Kriege die UdSSR und die USA weit weg von zu Hause führten! Der Iran ist sicher eine Bedrohung - aber sicher nicht in dem Ausmaß, wie die israelische Regierung das behauptet. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Iraner nach internationalem Recht legal eingeladen wurden, für Assad tätig zu werden.“

Levin sieht Assad zwar als „Kriegsverbrecher“ , aber „nach internationalen Standards ist die Präsenz der Iraner in Syrien ein legaler Schritt“.

Auf die Frage, warum er Assad einen „Kriegsverbrecher“ nennt, sagte Levin: „Wir hätten Assad vor sieben Jahren stürzen sollen. Als Opfer des Holocaust können wir keinen Völkermord an anderen Menschen vor unserer Haustür zulassen. Wir hätten Assad auch als politische Karte benutzen können. Wir hätten einen Deal mit den Supermächten schließen können. Wir hätten Assad akzeptieren und als Gegenleistung den Abzug der Iraner weiter östlich in Syrien verlangen können. Wir hätten sogar die internationale Anerkennung der israelische Kontrolle über die Golanhöhen fordern können. Assad, der damals sehr schwach war, hätte dem zugestimmt. Putin hätte diesen Preis für eine Stabilität unter Assad bezahlt.“

Nachdem ein solcher „Deal“ nicht zustande gekommen sei, müsse sich Israel auf realistische Ziele konzentrieren, um die Nordgrenze zu schützen: „Wir sollten erreichbare Ziele definieren und aufhören, mit unseren Erfolgen zu prahlen. Erstens sollten wir die unrealistische Forderung aufgeben, die Iraner aus ganz Syrien zu vertreiben. Wir sollten erreichbare Ziele definieren - realistische Ziele, stillschweigende Diplomatie und selektive Angriffe auf sorgfältig ausgewählte Ziele sind eine viel bessere Strategie.“

Ein „realistisches Ziel“ wäre für Levin die Zurückdrängung der iranischen Milizen „auf etwa 50 bis 70 Kilometer östlich von Damaskus“.

Levin zweifelt auch daran, dass es richtig sei, den Iran zum „Feind“ zu erklären: „Wann genau sind wir der Feind des Iran geworden? Wann genau hat der Iran das letzte Mal gegen uns gekämpft? Noch nie. Wir haben uns den Iran mehr als nötig zum Feind gemacht.“

Der Preis für die Fixierung auf den Iran sei, dass die israelische Regierung sich auf die wichtigen sicherheitspolitischen Fragen konzentriere. Levin: „Die Minister des Sicherheitskabinetts mussten die Israelis, die an der Grenze zu Gaza an der Hamas leiden, bitten, geduldig zu sein - weil wir den iranischen Feind bekämpfen müssen. Das ist ein hoher Preis für falsche Politik.“

Levin: „Der Iran wird nicht aus ganz Syrien abziehen. Mit dieser unrealistischen Forderung untergraben wir jene Grenze Israels, die seit Jahrzehnten am friedlichsten gewesen ist - eben jene mit Syrien. Gleichzeitig sind uns die Hände gebunden im Kampf gegen die Hamas und den Dschihad. Wir können in dieser Situation nur verlieren.“

Als Ausweg aus der Sackgasse sieht Levin das Zusammenspiel von „Politik und Diplomatie“: „Wir sind die stärkste Macht in dieser Region. Diese Position führt uns in Versuchung, unsere Macht zu nutzen, um den Feind zu vernichten. Wir haben den Iranern keine andere Wahl gelassen, als sich zu rächen. Wir sollten genau das Gegenteil tun. Wir sind so stark, dass wir es uns leisten können, die Politik endlich zu definieren und großzügig zu sein. Alle Siege, die unsere Soldaten erringen, sind in Ermangelung einer logischen Politik eine reine Verschwendung unserer Ressourcen.“

***

Lily Galili ist eine der renommiertesten Journalistinnen in Israel. Sie arbeitete viele Jahre für die Zeitung Ha’aretz, war Nieman-Fellow in Harvard und ist heute Autorin für I24News. Schwerpunkt ihrer Reportagen sind die ethnischen Gruppen in Israel, Araber, Drusen und Russen. Sie hat ein vielbeachtetes Buch über die russischen Immigranten geschrieben. Sie ist Mitglied des Syrian Aid Committee.

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