Der ungarische Premierminister Viktor Orbán hat am Montag bei einem Besuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan gesagt, dass die EU entscheiden muss, ob sie eine "umfassende, tiefe Zusammenarbeit" mit der Türkei will oder nicht. Die Verhandlungen der Türkei, ein vollwertiges EU-Mitglied zu werden, wurden 2005 eingeleitet, sind jedoch in den vergangenen Jahren ins Stocken geraten. Hungary Today zitiert Orbán: "Ich erinnere mich nicht an eine Zeit, als wir einem Kandidatenland gesagt haben, dass wir verhandeln wollen, während bedeutende Länder sagten, dass wir dieses Land niemals in die Europäische Union aufnehmen werden. Wenn Europa sich tatsächlich dazu entschließt, ein wichtiger globaler politischer Akteur zu werden, dann muss es die richtige Form der Zusammenarbeit mit der Türkei finden. Was wir jetzt tun, ist unehrlich. Ungarn will ein starkes Europa, und dazu brauche es ein strategisches Abkommen mit der Türkei".
Orbán sagte auch, dass die Stabilität in der Türkei und ihre Bemühungen, den Zustrom von Migranten nach Europa zu stoppen, für die Sicherheit Ungarns von entscheidender Bedeutung seien. Der ungarische Premier will nach eigenen Aussagen die Zusammenarbeit mit der türkischen Militärindustrie ausbauen. In den vergangenen Jahren habe keine nennenswerten Investitionen in das ungarische Militär gegeben. "Ungarns Ziel ist der Aufbau einer modernen und effektiven nationalen Armee", zitiert Hungary Today Orbán. Die ungarische Außenpolitik müsse sich auf drei Städte konzentrieren: Ankara, Moskau und Berlin. "Deshalb ist es wichtig, dass die Beziehungen zwischen Ungarn und der Türkei immer ausgeglichen, geordnet und positiv sind und dass die Beziehung zwischen den beiden Ländern auf Respekt basiert", so der ungarische Premier.
Der ungarische Premier hatte im Juli 2017 seine Loyalität zur Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan bekräftigt. "Was auch immer an türkeifeindlichen Äußerungen in bedeutenden EU-Ländern fallen mag, Ungarn wird sich daran nie beteiligen (…) Selbst wenn das Unannehmlichkeiten bringt", erklärte er im Juli 2017 auf einem bilateralen Geschäftsforum in Ankara. Die Freundschaft zur Türkei bezeichnete er als "Folge einer Strategie, wonach in Ungarn - als einem konservativen Land - die menschlichen Werte zählen". Ungarn stehe an der Seite "seiner Freunde", so Orbán.
Erdoğan sagte am Dienstag, dass die Türkei und Ungarn insbesondere gemeinsame Investitionen auf dem afrikanischen Kontinent vornehmen werden. Der bilaterale Handel zwischen beiden Staaten sei derzeit zu niedrig und müsse ausgebaut werden. "Eine große Hürde stellt die Tatsache dar, dass die EU mit den Neuverhandlungen zur Zollunion mit der Türkei immer noch nicht begonnen hat", zitiert der türkische Fernsehsender NTV den türkischen Präsidenten. Erdoğan fügte hinzu, dass der türkische Vorschlag zur rechtzeitigen Errichtung von Schutzzonen im Norden Syriens, um die Flüchtlingswelle einzudämmen, von "unseren Verbündeten sabotiert" wurde.
Die regierungsnahe türkische Zeitung Yeni Şafak berichtet: "Der hochrangige Strategische Kooperationsrat (HLSCC) zwischen den beiden Ländern wurde während des Besuchs des damaligen Premierministers Erdoğan in Ungarn im Jahr 2013 vereinbart. Das erste HLSCC-Treffen fand während des Besuchs von Orbán in der Türkei im Jahr 2013 statt. Ein zweites Treffen folgte 2015 in Budapest und das dritte in Ankara im Jahr 2017 unter dem Vorsitz des damaligen Premierministers Binali Yıldırım und Orbán. Das vierte Treffen wird 2019 in Budapest stattfinden. Nach Angaben der Webseite des türkischen Außenministeriums verfolgt Ungarn eine auf Wirtschaft und Handel ausgerichtete Außenpolitik und betrachtet die Türkei als eines der Schlüsselländer in seiner Öffnung gen Osten. Das bilaterale Handelsvolumen zwischen den beiden Ländern erreichte 2017 2,5 Milliarden Dollar. Etwa 80.000 ungarische Touristen besuchten die Türkei im Jahr 2017. Nach Angaben des Ministeriums leben rund 2.500 türkische Bürger in Ungarn."
Die Türkei plant, ihre wirtschaftlichen und politischen Beziehungen mit der Visegrad-Gruppe, dessen Mitglieder Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn sind, zu stärken. Die Zeitung Yeni Safak berichtet, dass die Beziehungen zwischen den Visegrad-Mitgliedern sich in den vergangenen Jahren intensiviert hätten. Angesichts des anstehenden Brexits werde die Visegrad-Gruppe künftig mehr Gewicht innerhalb der EU erlangen.