Finanzen

Bundesregierung: ESM soll Kredite ohne Auflagen vergeben können

Die Bundesregierung plant eine weitreichende Reform des ESM als Kredit-Vehikel. Die Ansätze erinnern an jene der Deutschen Industrie-Lobby aus dem Jahr 2011.
21.11.2018 16:39
Lesezeit: 3 min

Die Bundesregierung legt einem Medienbericht zufolge erstmals konkrete Pläne für einen Umbau des Euro-Rettungsfonds ESM zu einem Europäischen Währungsfonds vor. Demnach soll der Fonds eine neue Kreditlinie erhalten, die auch wirtschaftlich solide Länder in Anspruch nehmen können, ohne Austeritäts-Auflagen, die offiziell "Reformen" genannt werden, umsetzen zu müssen. Die Zeitung Die Zeit beruft sich auf ein Arbeitspapier des Bundesfinanzministeriums, das mit dem Kanzleramt abgestimmt sei. Das Finanzministerium hat das Papier weder bestätigt noch dementiert.

Finanzminister Olaf Scholz hatte am Dienstag in der Haushaltsdebatte des Bundestages angekündigt, dass bei Reformen in der EU und der Eurozone noch im Dezember wichtige Entscheidungen fallen sollen. "Wir müssen und wir werden dafür Sorge tragen, dass wir in Europa große Fortschritte erreichen", hatte Scholz gesagt. Jetzt sei die Zeit zu entscheiden. Das betreffe auch die Fortentwicklung des ESM mit der Schaffung einer Banken-Letztabsicherung.

Die Vorschläge des Finanzministeriums dazu sehen der Zeit zufolge vor, dass die Voraussetzungen für Kredite aus der neuen Kreditlinie streng ausfallen sollen. Die betroffenen Länder müssten mit einem "asymmetrischen ökonomischen Schock außerhalb ihrer politischen Kontrolle" konfrontiert sein. Sie müssten zudem europäischen Haushaltsregeln einhalten. Die Neuverschuldung sollte unter drei Prozent der Wirtschaftsleistung und die Staatsschuldenquote nicht mehr als 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen. Sollte die Schwelle übertroffen werden, müsse das Land nachweisen, dass es diese in den drei Jahren vor Beantragung des Kredits um mindestens 0,5 Prozentpunkte jährlich gesenkt habe.

Für überschuldete Länder solle zudem eine Art Insolvenzverfahren eingeführt werden. Sie sollen aber nicht automatisch in die Insolvenz geschickt werden, wenn sie einen Kredit beantragen, da dies Krisen noch verschärfen würde.

Die Vorschläge tragen einige der Züge, die die Deutsche Industrie-Lobby bereits während der ersten Finanzkrise lanciert hatte.

Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Markus Kerber, hatte im August 2013 einen Vorschlag auf vorgelegt, bei dem es um die Erneuerung der Finanz-Architektur in Europa ging.

Kerber sagte damals in einem Interview:

„Meine Idee wäre: Wenn Privatisierungen auf nationaler Ebene so langsam vorangehen wegen der politischen Ökonomie in Nationalstaaten: Warum übertragen wir nicht nationales Staatsvermögen auf den ESM und machen den ESM dann zu einem Euro-Schatzamt? Und dann kann man schuldrechtliche Ansprüche dagegen verrechnen. Staatsvermögen gibt es in allen Not leidenden Staaten im dreistelligen Milliardenbereich. Das ist für die nationalen Regierungen nicht so einfach, aber das ist ein Ausweg für die Länder, die vielleicht geben wollen oder geben müssen.“

Kerber griff ein Konzept des BDI aus dem September 2011 auf, mit welchem die Deutsche Industrie ihre Frustration über die aktionistischen Maßnahmen zum Ausdruck brachte. Der BDI sieht die wirkungsvollste Lösung der Schuldenkrise in Europa in der Ausgliederung der Fiskalpolitik aus der nationalen Kompetenz, wenn der Haushalt in einem Land aus dem Ruder läuft.

In dem Konzept des BDI heißt es:

„Die institutionelle Architektur der Eurozone muss … substanziell weiterentwickelt werden. Aus Sicht der deutschen Industrie ist es unverzichtbar, die Instrumente des EFSF bzw. ESM zu einem politisch unabhängigen Europäischen Fiskalfonds (EFF) weiterzuentwickeln, um die gegenwärtigen Ad-hoc Rettungsmaßnahmen durch ein langfristig tragfähiges Konzept abzulösen. Der EFF bietet in Bedrängnis geratenden Mitgliedstaaten und Banken der Eurozone „Hilfe in der Not“ und stellt darüber hinaus eine letzte Instanz dar bei der Durchsetzung fiskalischer Disziplin. Der EFF gewährt dem hilfesuchenden Land auf Antrag Kredite gegen Sicherheiten und strikte wirtschaftspolitische Auflagen. Die Sicherheiten dienen nicht nur als Pfand für den EFF und dessen Sicherungsgeber im Falle der Zahlungsunfähigkeit eines Empfängerlandes. Das Erfordernis der Sicherheitsleistung stellt außerdem einen Anreiz für Empfängerländer dar, finanzielle Hilfen nur in Anspruch zu nehmen, wenn sie davon ausgehen, dass sie die Kredite vollständig zurückzahlen können.“

Der damalige BDI-Präsident Hans-Peter Keitel sagte damals dem DLF:

„Wir können nicht jeden Tag über neue Notmaßnahmen diskutieren, sondern wir müssen einmal in aller Klarheit sagen, wohin uns Europa führen soll, wie weit es in Europa mit einer Gemeinsamkeit gehen soll, und dafür müssen wir dann schleunigst aber wirklich die Strukturen schaffen, die dann auch unabhängig von der Politik dafür garantieren können, dass bei uns die Währung stabil bleibt, dass die Wirtschaften, dass die öffentlichen Haushalte sich an die Regeln halten.“

Konkret schlug Keitel vor:

„Wir brauchen eine Weiterführung der Stabilitätsfonds in Richtung eines europäischen Fiskalfonds, der unabhängig von der Politik, ähnlich wie der Internationale Währungsfonds, die Sicherheit der Haushalte, die Disziplin in den Haushalten garantiert und im Notfall Hilfen gegen Gegenleistung anbietet. Wir müssen wegkommen von den politischen Notmaßnahmen, hin zu langfristigen stabilen Maßnahmen, die unabhängig sind von Wahlterminen und politischen Farben.“

Dazu müssten nicht die traditionellen EU-Institutionen wie die Kommission oder das EU-Parlament gestärkt werden. Die EU-Verträge müssten geändert werden.

Als Problemlöser sah Keitel schon damals nicht die Politik:

„Und wenn wir dann mit Bedacht die Möglichkeit nutzen, eben auch unabhängig von der Politik Stabilität einzuführen, wenn das dann eine Ergänzung von Verträgen bedarf, was ich heute nicht übersehen kann im einzelnen, dann müssen wir den Weg gehen, in der Bevölkerung dafür zu werben, diesen Weg auch zu gehen. Das wird kurzfristig nicht möglich sein, aber wir müssen Schritt für Schritt nach vorne gehen und der Bevölkerung und uns allen sagen, wo das wirklich hinführen soll. Wir müssen das Ziel erkennbar machen.“

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