Das Ende der Käufe von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank hatte viele Anleger in Unruhe versetzt. Befürchtet wurde, dass die Europäische Zentralbank mit der Einstellung eines ihrer wichtigsten Kriseninstrumente die Renditen staatlicher Bonds - und damit auch die Kreditkosten vieler Länder im Euro-Raum - nach oben treiben könnte. Doch weit gefehlt. Die Verzinsung der zehnjährigen deutschen, französischen und italienischen Papiere ging im Januar deutlich zurück. "Nach einem schwierigen Aktienjahr stehen Staatsanleihen hoch im Kurs", erklärt Said Haidar vom Hedgefonds Haidar Capital.
Postbank-Analyst Lucas Kramer zieht ein ähnliches Resümee: Die Vielzahl globaler Unsicherheitsfaktoren sorge für eine anhaltend hohe Nachfrage nach Staatsanleihen. Sorgen vor einem noch stärkeren Konjunktureinbruch im Euro-Raum und in den USA, der US-Handelsstreit mit China wie auch der nach wie vor ungeklärte Brexit treiben Investoren dabei um. Von Aktienkäufen ließen viele Anleger 2018 lieber die Finger: Dax und EuroStoxx50 verloren 18 beziehungsweise 14 Prozent.
Auch die Notenbanken dies- und jenseits des Atlantiks sind wegen der eingetrübten Konjunkturaussichten besorgt. Die amerikanische Federal Reserve signalisierte gerade, dass sie es nach den vier Zinserhöhungen im vorigen Jahr 2019 ruhiger angehen lassen will. Faktisch hat sie festgestellt, dass die Leitzinserhöhungen in einer total verschuldeten Volkswirtschaft zu ernsten Zahlungsschwierigkeiten bei Unternehmen und vor allem Privatpersonen geführt haben.
EZB-Chef Mario Draghi wird seine achtjährige Amtszeit Ende Oktober vermutlich gleich ganz ohne eine einzige Leitzins-Anhebung abschließen. Denn die Finanzmärkte erwarten die Zinswende im Euro-Raum inzwischen erst im Jahr 2020. Faktisch gibt die EZB mit der endlosen Aufschiebung einer geldpolitischen Wende zu verstehen, dass die überschuldeten Euro-Staaten keine nennenswerten Verteuerungen des Zinsniveaus verkraften können.
Der Kurswechsel am Rentenmarkt wurde von der EZB dagegen wie geplant zum Jahresende 2018 vollzogen: Der Neuerwerb von Bonds durch die Notenbank ist nun Geschichte - fällig werdende Wertpapiere sollen jedoch noch auf unbestimmte Zeit reinvestiert werden. Das Programm läuft also mit dem Volumen von Dezember 2018 unbegrenzt weiter – nur von noch mehr Käufen wurde abgesehen.
Seit März 2015 hatte die EZB mehr als 2,6 Billionen Euro in Staatsanleihen und andere Wertpapiere investiert, um strauchelnde Eurostaaten an den Anleihemärkten zu unterstützen. In den Köpfen vieler Anleger war die EZB damit ein Sicherheitsnetz, das dafür sorgte, dass die Renditen der europäischen Staatsbonds nicht durch die Decke gingen.
Dass die EZB ihre Krisenmedizin nun heruntergefahren hat, hat Anleger bislang nicht verschreckt. Die Renditen der zehnjährigen französischen Bonds fielen im Januar mit 0,5530 Prozent auf den tiefsten Stand seit über zwei Jahren. Die Verzinsung der italienischen Pendants markierte zeitweise ein Sechs-Monats-Tief von 2,566 Prozent. Deutsche Bundesanleihen werfen derzeit nur noch 0,130 Prozent ab. Auch die zuletzt große Nachfrage bei Auktionen in Spanien, Italien oder Griechenland unterstreicht das Interesse an Staatsbonds. Laut Berechnungen der Landesbank LBBW verbuchten Anleihen in der Euro-Zone im Januar mit 1,1 Prozent in etwa den gleichen Wertzuwachs wie im gesamten Jahr 2018.
Experten gehen allerdings nicht davon aus, dass die Renditen dauerhaft so niedrig bleiben werden. "Bleibt eine Eskalation bei den derzeitigen Belastungsfaktoren aus, insbesondere beim Handelsstreit zwischen den USA und China, sollten in Zukunft 'sichere Häfen' weniger gefragt sein", prognostiziert Thomas Metzger vom Bankhaus Bauer. Auch Postbank-Experte Kramer konstatiert: "Wenn die politischen und konjunkturellen Sorgen etwas nachlassen, dürften Anleger wieder zunehmend risikofreudiger agieren." Dies könne die Kapitalmarkt-Renditen in begrenztem Maße nach oben treiben.
Laut Metzger dürfte dies insbesondere auf italienische Bonds zutreffen, deren Verzinsung 2018 angesichts des Haushaltsstreits mit der EU-Kommission streckenweise heftig nach oben geschnellt war und die Kreditaufnahme für Rom am Kapitalmarkt deutlich verteuert hatte. Im Vorfeld der Europa-Wahlen im Mai könnte die Regierung in Rom wieder den Konflikt suchen. Das werde viele Marktteilnehmer wohl vorsichtig stimmen.
Konfliktpotenzial birgt vor allem die konjunkturelle Entwicklung, da Italien unter der Koalition aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega in eine Rezession gerutscht ist. Die Regierung setzt darauf, dass sich die Wirtschaft wieder fängt und hat sich für 2019 ein Wachstumsziel von 1,0 Prozent gesetzt. Die EU-Kommission geht dagegen nur von 0,2 Prozent aus. Für Italien könnte es damit schwieriger werden, das nach monatelangem Gezerre mit der EU-Kommission vereinbarte Defizitziel von 2,04 Prozent einzuhalten, fürchten Börsianer.