Politik

Draghis vergiftetes Erbe: Europa als Kollateralschaden der EZB-Geldpolitik

Lesezeit: 6 min
09.03.2019 00:13
Die EZB wird die Zinsen auf unabsehbare Zeit nicht mehr anheben. Die massiven und schädlichen Nebenwirkungen dieser Geldpolitik bedrohen nicht nur die Sparer, sondern inzwischen das gesamte europäische Projekt.
Draghis vergiftetes Erbe: Europa als Kollateralschaden der EZB-Geldpolitik

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank, hat beschlossen, angesichts des aktuellen Konjunktureinbruchs das zu tun, was er seit seinem Amtsantritt vor bald acht Jahren tut: Er druckt Milliarden und hält die Zinsen niedrig. Diese Politik war schon bisher erfolglos und schädlich. Der gefeierte Aufschwung der letzten eineinhalb Jahre war nicht der Geldpolitik zu verdanken, sondern einer Aufholphase nach der langen Investitionsflaute.

Und auch jetzt wird Draghi das gewünschte Ziel einer Konjunkturbelebung verfehlen, aber Verluste bei den Sparern und Anlegern auslösen und die überschuldeten Staaten mit dem Morphium billigen Geldes versorgen. In der aktiven Wirtschaft wird die Geldschwemme wieder nicht ankommen, weil die seit Jahren mit absurden Regularien betriebene Kreditbremse nicht korrigiert, sondern sogar verschärft wird. Einzig die Spekulation wird weiter blühen.

Die Regularien bilden eine Staumauer gegen die EZB-Geldschwemme

In der EZB wird konsequent nicht zur Kenntnis genommen, dass das altbewährte Rezept, mit billigen Krediten die Investitionsbereitschaft der Unternehmen und der privaten Haushalte zu animieren, in Europa derzeit nicht funktionieren kann. Seit der Finanzkrise 2008 wird in der EU eine Vorschrift nach der anderen durchgesetzt, die das Risiko der Banken senken soll. Die Politiker und die Bürokraten der EU leben in der panischen Angst vor einer neuerlichen Krise und vermuten, dass die Gefahr in den Krediten liegt und behindern daher die Banken bei der Kreditvergabe.

Mit dem Regelwerk Basel III, den nachfolgenden Verschärfungen und den Praktiken der Bankenaufsicht wurde eine Staumauer errichtet, die die Geldschwemme aus der EZB wirksam stoppt und verhindert, dass die Mittel in den Unternehmen ankommen. Und laufend werden neue Bestimmungen erfunden und die bestehenden verschärft.

Eine der entscheidenden Bremsen: Durch die in den vergangenen Jahren beschlossenen Regeln müssen die Banken bei den geringsten Schwäche-Erscheinungen eines Kreditnehmers mit Kürzungen und der Verschlechterung der Konditionen prompt reagieren. Die betroffenen Kunden werden in der Bonität herabgestuft, die Kredite als gefährdet erklärt und die Probleme also verschärft, auch wenn die Schuldner ausreichend Vermögen haben. Auf diese Weise kommen die Meldungen zustande, wonach die Banken gigantische Summen an faulen Krediten hätten. Dass Bankmitarbeiter schon wissen, wie sie mit Kreditkunden umzugehen haben, wird pauschal in Frage gestellt.

Eigenartiger Weise wirken die Regeln bei kleinsten Beträgen nicht und so werben die Institute mit verführerischen Mini-Krediten für Private. Dass auch diese vermeintlich unbedeutenden Summen einen naiven Kreditnehmer in Schwierigkeiten bringen können, wird vernachlässigt.

Die Ursachen der Finanzkrise werden nicht zur Kenntnis genommen

Nicht berücksichtigt wird, dass die Kredite an Unternehmen und Privathaushalte nicht die Finanzkrise 2008 ausgelöst haben.

Die Finanzkrise wurde durch andere, problematische Sparten des Bankgeschäfts verursacht: Die Bündelung von Krediten in den USA und der Verkauf dieser Bündel zu günstigen Konditionen an Investoren, auch an europäische Banken, hatten katastrophale Folgen. Die Kredite wurden nicht mehr von Menschen betreut, Computer stellten Kredite auch von guten Kunden fällig. Durch den Verkauf zahlreicher Einfamilienhäuser fielen die Markt-Preise anderer Objekte, sodass bei diesen die Kredite nicht mehr ausreichend besichert waren. Es kam zu einem Domino-Effekt, der auch den Wert der Kreditbündel vernichtete. Die Banken, die die Kredite ursprünglich vergeben und in der Folge verkauft hatten, wurden in vielen Fällen zu Schadenersatzleistungen verurteilt.

  • Die Groteske: Aktuell fordern die EU-Behörden, dass die Banken, um ihr Risiko zu verringern, Kredite bündeln und verkaufen sollen.

Der zweite große Auslöser waren die Spekulationsgeschäfte, die vor allem von international tätigen Großbanken durchgeführt wurden. Um in diesem Bereich substanziell Geld verdienen zu können, muss in der Regel mit großen Beträgen agiert werden. Deswegen kommt es auch bei Verlusten prompt zu Ausfällen im Ausmaß von Milliarden, die die Existenz der spekulierenden Banken gefährden und dann zum Ruf nach der Hilfe durch den Staat führen.

  • Die nächste Groteske: Die EU-Regeln ermöglichen den Banken in Europa nach wie vor die Spekulation mit Milliarden und das geschieht auch in erschreckendem Ausmaß. In den USA wurde diese Praxis nach der Krise verboten und auch die kürzlich erfolgte Lockung der Bankenregulierung in den USA hat an dieser wichtigen Bremse fast nichts geändert.

Das EU-Parlament und die EU-Kommission, die primär die Regularien zu verantworten haben,  müssten zur Kenntnis nehmen, dass das Übel nicht in den regulären Krediten, sondern in den meist komplizierten Spekulationen der Finanzingenieure liegt. Die Regularien sind entsprechend zu ändern. Dann könnte auch die Geldschwemme der EZB wirken.

Die Niedrig- und Nullzinsenpolitik nützt den Staaten und plündert die Sparer

Die Opfer der Niedrig- und Nullzinsenpolitik sind die Sparer und insbesondere die Anleger, die Altersvorsorge betreiben: Die Erträge aller zinsabhängigen Veranlagungen liegen deutlich unter der Inflationsrate. Somit verringert sich der Wert dieser Anlagen. Um ein Sparziel, etwa eine Zusatzrente, zu erreichen, muss daher zusätzlich zur regulären Sparleistung Geld zur Seite gelegt werden, um den Wertverlust auszugleichen. Das überfordert naturgemäß die meisten.

Im Effekt resultiert aus der Zinspolitik eine Art Vermögensteuer.

Dieser Vergleich bietet sich nicht zufällig an. Die tatsächlichen Nutznießer der Niedrig- und Nullzinspolitik sind in erster Linie die Staaten, die ihre Schulden billig finanzieren können. Zur Illustration: Die Schulden der EURO-Länder betragen 10.000 Milliarden Euro, ein Prozent sind somit 100 Milliarden Euro. Steigen die Sätze um nur 2 Prozentpunkte, so würde dies eine jährliche Mehrbelastung von etwa 200 Milliarden Euro auslösen, somit die Budget-Defizite verdoppeln bis verdreifachen. Mario Draghi hat also den Finanzministern zulasten der Sparer geholfen und tut dies auch weiter. Allerdings endet Draghis Amtszeit am 31. Oktober dieses Jahres und es ist kaum anzunehmen, dass auch sein vorerst noch nicht bestimmter Nachfolger diese Politik beibehalten wird.

Die maßgebliche Bremse ist die Steuerlast und diese ist entscheidend durch die Renten bestimmt

Die Geldpolitik ist allerdings nicht der einzige Bereich, der Europa bremst. Die entscheidende Belastung in Europa bildet die extrem hohe Steuerlast. Wenn an die 50 Prozent der Wirtschaftsleistung vom Staat und den Sozialeinrichtungen blockiert werden, dann bleibt kein ausreichender Spielraum für zukunftsweisende Initiativen. Die Konsequenz kann man an einem Vergleich ablesen: Die USA und der Euro-Raum haben beide etwas mehr als 300 Millionen Einwohner. Die USA erwirtschaften bei deutlich geringeren Abgaben ein Sozialprodukt von fast 20.000 Milliarden Dollar, der Euro-Raum kommt auf 11.000 Milliarden Euro, zum aktuellen Kurs 12.300 Milliarden Dollar.

Im Mittelpunkt der Wirtschaftspolitik müsste die Bekämpfung der Ursachen für den Rückstand Europas stehen, wodurch eine Senkung der Belastung der Aktiven, also der Jüngeren, über Steuern und Sozialversicherungsbeiträge erreicht werden sollte. Das Hauptproblem entsteht durch die Sozialkosten, wobei die Rentenpolitik entscheidend ist.

-          Um beim Euro-Raum zu bleiben: Von den über 300 Millionen Einwohnern sind, in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich, zwischen 20 und 30 Prozent in Rente. Auch wenn viele Renten bescheiden sind, die Kosten sind enorm.

-          Das Kernproblem ist der frühe Pensionsantritt. Europaweit geht man mit etwa 60 in Rente, viele auch früher. Durch die lange Lebensdauer kommt es zu erheblichen Beträgen.

-          Die wichtigste Maßnahme wäre also der viel diskutierte spätere Renteneintritt. Das ist heute bereits ein volkswirtschaftlich relevantes Thema, durch die Babyboomer, die jetzt und in den nächsten Jahren in die Rente kommen, wird das Problem noch dramatischer.

-          Eine generelle Anhebung des Renteneintrittsalters auf mindestens 65 sollte angesichts der Gesundheitsdaten den meisten Europäern zumutbar sein.

-          Stattdessen werden europaweit Maßnahmen gesetzt, um das frühe Renteneintrittsalter zu erhalten oder bereits vorgenommene Anhebungen zu korrigieren.

-          Wenig geschieht, um die Arbeitsbedingungen und generell den Arbeitsmarkt für Ältere attraktiv zu gestalten.

Das Ausmaß der Regularien ist bereits ein Faktor im internationalen Wettbewerb

Neben der übermäßigen Belastung der Wirtschaft durch den Sozialstaat haben sich die Regularien zu einer unerträglichen Wirtschaftsbremse und zu einer enormen Behinderung im internationalen Wettbewerb entwickelt. Es gibt keinen Bereich mehr, in dem nicht Vorschriften der EU wirken. Die EU ist als Vorreiter der De-Regulierung angetreten und hat mittlerweile einen Wust an Regulierungen geschaffen, der alle früheren, von den Nationalstaaten betriebenen Bürokratien in den Schatten stellen. Wenn Europa bestehen soll, dann wird hier ein genereller Abbau erfolgen müssen.

Die schlimmsten Auswüchse entstanden im abgelaufenen Jahrzehnt. Durch den 2009 in Kraft getretenen Lissabonner Vertrag wurde die so genannte „prinzipienbasierte“ Rechtsfindung eingeführt: Das EU-Parlament beschließt nur ungefähre Grundsätze und überlässt im Rahmen „delegierter Rechtsakte“ der EU-Kommission die Ausformulierung der Detailbestimmungen. Auf diese Art wurde die Verwaltungsbehörde Kommission zum tatsächlichen Gesetzgeber, und zwar zu einem Gesetzgeber, der eine umfassende Steuerung anstrebt. Dadurch wird die Trennung von legislativer und administrativer Gewalt verletzt. Der liberale Verfassungsstaat, der die Bedingungen zu setzen hat, die den Rahmen für eine möglichst freie, aber dennoch regelgebundene Wirtschaft bilden sollen, degeneriert zum Regulator aller Lebensbereiche.

Fazit: Eine weitere Geldschwemme der EZB löst keine Probleme. Eine Zinspolitik, die die Sparer nicht enteignet, wäre ein Gebot der Stunde. Die Beseitigung der Kreditbremse und das Verbot der Spekulation durch Banken sind überfällig. Davon ist nicht die Rede. Die Rentenkosten überfordern die Jungen. Die Bürokratie lähmt den Kontinent. Mit diesen Hypotheken wird die EU nicht bestehen können.

Schon dieses Paket an ökonomischen Strukturschwächen hat eine enorme Bremswirkung. Und vor diesem Hintergrund werden die politischen Spannungen innerhalb der Gemeinschaft, das Gerangel um den BREXIT, die Flüchtlingsdebatte und der Streit über EU-konforme Verfassungen in den Mitgliedstaaten ausgetragen.

***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehendsten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift "Der Volkswirt" sowie Moderator beim ORF.

                                                                            ***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Halbzeit Urlaub bei ROBINSON

Wie wäre es mit einem grandiosen Urlaub im Juni? Zur Halbzeit des Jahres einfach mal durchatmen und an einem Ort sein, wo dich ein...

DWN
Technologie
Technologie 3D Spark: Ein Hamburger Start-up revolutioniert die Bahnbranche
25.04.2024

Die Schienenfahrzeugindustrie befindet sich in einem grundlegenden Wandel, in dessen Verlauf manuelle Fertigungsprozesse zunehmend...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Automesse China 2024: Deutsche Autohersteller im Preiskrieg mit BYD, Xiaomi und Co.
25.04.2024

Bei der Automesse in China steht der eskalierende Preiskrieg bei Elektroautos im Vordergrund. Mit hohen Rabatten kämpfen die Hersteller...

DWN
Politik
Politik Bericht: Habeck-Mitarbeiter sollen Kritik am Atom-Aus missachtet haben
25.04.2024

Wichtige Mitarbeiter von Bundesministern Habeck und Lemke sollen laut einem Bericht interne Zweifel am fristgerechten Atomausstieg...

DWN
Finanzen
Finanzen Feiertagszuschlag: Was Unternehmer an den Mai-Feiertagen beachten sollten
25.04.2024

Feiertagszuschläge sind ein bedeutendes Thema für Unternehmen und Arbeitnehmer gleichermaßen. Wir werfen einen genauen Blick auf die...

DWN
Finanzen
Finanzen Teurer Anlegerfehler: Wie der Blick in den Rückspiegel fehlgeht
25.04.2024

Anleger orientieren sich an den Renditen der vergangenen drei bis zehn Jahre, um Aktien oder Fonds auszuwählen. Doch laut Finanzexperten...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Kommunikation im Wandel – Was es für Unternehmen in Zukunft bedeutet
25.04.2024

In einer Ära schneller Veränderungen wird die Analyse von Trends in der Unternehmenskommunikation immer entscheidender. Die Akademische...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Lieferdienste in Deutschland: Bei Flink, Wolt und anderen Lieferando-Konkurrenten geht es um alles oder nichts
25.04.2024

Getir, Lieferando, Wolt, UberEats - es fällt schwer, in deutschen Großstädten beim Angebot der Essenskuriere den Überblick zu...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Familienunternehmer in Sorge: Land verliert an Wettbewerbsfähigkeit
25.04.2024

In einer Umfrage kritisieren zahlreiche Familienunternehmer die Politik aufgrund von übermäßiger Bürokratie und Regulierung. Besonders...