Finanzen

Hohe Schuldenstände verhindern weitere Leitzins-Anhebungen

Die Notenbanken der westlichen Industriestaaten haben im ersten Quartal 2019 den Zinserhöhungszyklus abgesagt. Die immens gestiegenen Schuldenstände bei Staaten, Haushalten und Firmen machen höhere Zinsen unmöglich.
16.04.2019 17:14
Lesezeit: 2 min
Hohe Schuldenstände verhindern weitere Leitzins-Anhebungen
Nominaler und realer Leitzins der US Federal Reserve (in Prozent) Foto: Nicole Oppelt

Der US-Großbank J.P. Morgan (JPM) zufolge hat die US-Zentralbank Federal Reserve die Phase der Zinserhöhungen vorerst beendet. Der US-Leitzins liege derzeit zwischen 2,25 und 2,5 Prozent; angesichts der aktuellen Inflation von 2 Prozent ergebe dies einen realen Leitzins nur knapp über der Nulllinie. In Europa habe die EZB trotz fünfjähriger Wachstumsphase in der Eurozone gar nicht erst mit Zinserhöhungen begonnen und der reale Leitzins ist mit minus 1 Prozent tief negativ.

Tilmann Galler, globaler Kapitalmarktstratege bei JPM, sieht die Situation durchaus kritisch: „Die jüngsten Ergebnisse der Notenbanksitzungen in den USA und in Europa legen nahe, dass es das Phänomen der überfürsorglichen Helikopter-Eltern auch auf den Kapitalmärkten gibt. Doch es ist an der Zeit, dass die Notenbanken ihren Beschützerinstinkt für die Wirtschaft und die Märkte mäßigen, sodass die Wirtschaft wieder lernt, auf eigenen Füßen zu stehen.“

Keine Frage: Nicht zuletzt aufgrund der wirtschaftsfreundliche Notenbankpolitik haben die internationalen Aktienmärkte wie auch deren Investoren in den ersten Monaten des Jahres 2019 deutlich profitieren und etwaige Verluste aus 2018 wettmachen können. So hat beispielsweise der deutsche Leitindex DAX seit Beginn des Jahres von rund 10.400 Punkte bis heute (Stand: 08.04.2019) auf 11.970 Punkte etwa 15 Prozent zugelegt.

Faktisch jedoch zeigt sich, dass es einer permanenten Bereitschaft der Zentralbanken bedarf – notfalls mit aus dem Nichts geschaffener Liquidität zu intervenieren – damit die im Jahr 2008 sichtbar gewordenen Risse im Weltfinanzsystem nicht wieder aufbrechen. „Jedoch sind die Zentralbanken immer wieder auch zur Stelle, wenn es an den Finanzmärkten kracht. Das nährt den Verdacht, dass sie eben auch kapitalmarktabhängig agieren“, schreibt Galler.

Die Tatsache, dass die Federal Reserve ihren Normalisierungskurs abgebrochen hat, als die Realzinsen die Nullmarke nach oben hin durchbrechen wollten, sollte zu denken geben. Es bedeutet, dass das Finanzsystem Zinsen in signifikanter Höhe aufgrund der hohen Gesamtverschuldung nicht mehr verträgt.

Galler zufolge führe die lockere Zinspolitik von Fed und EZB zu gravierenden Nebenwirkungen. Zum einen befeuerten anhaltend niedrige Realzinsen Vermögenspreisblasen auf breiter Basis: Immobilien, Anleihen und Aktien befänden sich im historischen Vergleich auf erhöhten Bewertungsniveaus. Demgegenüber führe traditionelles Sparen zu einem kontinuierlichen realen Vermögensverlust. Dadurch würden vor allem einkommensschwächere Schichten der Gesellschaften belastet, die in der Regel weniger reale Vermögenswerte wie Aktien und Immobilien besäßen.

Als Folge davon befürchtet der JPM-Experte weitere tiefgreifende Auswirkungen: „Die Ungleichverteilung der Vermögen in der Gesellschaft nimmt durch die Niedrigzinspolitik zu. Auch beim Thema Altersvorsorge steigt aufgrund niedrigerer Ertragsaussichten das Risiko einer wachsenden Rentenlücke.“

Die größte Gefahr erkennt Galler jedoch in der Schaffung falscher Anreize durch die Niedrigzinspolitik. Für Unternehmen sei es verlockend, eine höhere Rentabilität und riskante Akquisitionen durch mehr Schulden zu finanzieren. Weltweit sei die Verschuldung der Nichtfinanzunternehmen in Relation zum BIP demnach seit der Finanzkrise 2008/09 angestiegen. Auch die Finanzminister würden die Geldpolitik der Notenbanken zunehmend nutzen, um die Ersparnis durch die verminderten Zinszahlungen für zusätzliche Wohltaten bei der Wählerschaft auszugeben.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Finanzen
Finanzen Ölpreis: OPEC-Konflikt eskaliert – Saudi-Arabien warnt vor Marktchaos
11.05.2025

Ein gefährlicher Riss geht durch die mächtige Allianz der OPEC-Plus-Staaten. Statt mit geschlossener Strategie die Preise zu...

DWN
Politik
Politik Kann Deutschland Europa retten? Der neue Koalitionsvertrag offenbart alte Schwächen
11.05.2025

Zum Europatag 2025 richtet sich der Blick erneut nach Berlin. Die Erwartungen an Deutschland sind hoch – nicht nur innerhalb der Union,...

DWN
Finanzen
Finanzen Börsenkrisen: Warum Volatilität kein Risiko ist
11.05.2025

Wenn die Börsen Achterbahn fahren, zittern viele Anleger. Doch Panik ist oft der schlechteste Berater – denn was aussieht wie ein...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Strategien für Krisenzeiten: Wie Sie jetzt Ihre Unternehmensleistung steigern
11.05.2025

Steigende Kosten, Fachkräftemangel, Finanzierungsdruck – viele KMU kämpfen ums Überleben. Doch mit den richtigen Strategien lässt...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft USA vor Energieumbruch: Strom wird zum neuen Öl – und zur nächsten geopolitischen Baustelle
11.05.2025

Ein fundamentaler Wandel zeichnet sich in der US-Wirtschaft ab: Elektrizität verdrängt Öl als Rückgrat der nationalen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Bill Gates verschenkt Vermögen – Symbol einer neuen Weltordnung oder letzter Akt der alten Eliten?
11.05.2025

Bill Gates verschenkt sein Vermögen – ein historischer Akt der Großzügigkeit oder ein strategischer Schachzug globaler Machtpolitik?...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft „Made in America“ wird zur Hypothek: US-Marken in Europa auf dem Rückzug
11.05.2025

Eine neue Studie der Europäischen Zentralbank legt nahe: Der Handelskrieg zwischen den USA und der EU hat tiefgreifende Spuren im...

DWN
Finanzen
Finanzen Tech-Börsengänge unter Druck: Trumps Handelskrieg lässt Startup-Träume platzen
10.05.2025

Schockwellen aus Washington stürzen IPO-Pläne weltweit ins Chaos – Klarna, StubHub und andere Unternehmen treten den Rückzug an.