Der Deutsche Städtetag fordert vor der Ministerpräsidentenkonferenz am heutigen Donnerstag mehr Geld für die Unterbringung und gesellschaftliche Integration von Migranten. "Die Städte benötigen über das Jahr 2019 hinaus unbedingt deutlich höhere Bundesmittel als bisher angekündigt", sagte Städtetagspräsident Markus Lewe den Zeitungen der Funke Mediengruppe, wie AFP berichtet. "Integration ist eine Daueraufgabe und findet in den Kommunen statt."
Der Städtetag erwarte deshalb, dass der Bund sich maßgeblich weiter an den Kosten für die Integration und Versorgung von Migranten beteilige, sagte Lewe. "Darauf werden auch die Länder zu Recht pochen."
Lewe warnt vor einem geringeren finanziellen Engagement der Bundesregierung. "Der Bund darf auf keinen Fall seine Finanzhilfen an Länder und Kommunen in den nächsten drei Jahren von derzeit 4,7 Milliarden Euro pro Jahr auf 1,3 Milliarden Euro senken", sagte der Oberbürgermeister von Münster. "Das wäre ein Schlag ins Kontor für die Haushalte der Städte."
Ende März berichtete die dpa in einer Reportage über die Kosten, welche mit der Aufnahme der Migranten verbunden sind. Schon damals liefen die Kommunen Sturm gegen Pläne von Finanzminister Scholz, die Bundesmittel zu kürzen:
Wenn der Eppinger Oberbürgermeister Klaus Holaschke derzeit an Olaf Scholz denkt, wird er sauer. Zwar liegen mehr als 600 Kilometer zwischen Holaschkes Rathaus in dem beschaulichen Städtchen im Kreis Heilbronn und dem SPD-geführten Finanzministerium in Berlin. Aber Holaschke fürchtet, dass Scholz und seine Politik das Zusammenleben in seiner 22 000-Einwohner-Stadt verändern wird. Ihm gehe es nicht nur ums Geld. Der soziale Zusammenhalt sei in Gefahr, warnt er.
Scholz will den Großteil der Flüchtlingsgelder des Bundes an die Länder streichen. Ende 2019 laufen mehrere Regelungen der Kostenübernahme für Flüchtlinge aus: die 670-Euro-Pauschale für Ausländer im Asylverfahren, die Integrationspauschale und die Übernahme der Unterkunftskosten für anerkannte Flüchtlinge.
Stattdessen plant das Finanzministerium eine Pauschale von 16 000 Euro pro Flüchtling für die ersten fünf Jahre nach der Ankunft. Damit würde der Bund seine Unterstützung nach Berechnung der Hamburger Senatskanzlei von derzeit 4,7 Milliarden auf rund 1,3 Milliarden Euro im Jahr 2022 senken. Scholz begründet seine Pläne damit, dass längst nicht mehr so viele Asylbewerber nach Deutschland kommen wie noch 2015. Und er verweist darauf, dass CDU, CSU und SPD im Koalitionsvertrag Aufwendungen von 8 Milliarden Euro zur Entlastung von Ländern und Kommunen vereinbart haben. Wenn wieder mehr Flüchtlinge kämen, stiegen nach seinem Modell auch die Kosten für den Bund.
Die Länder stoßen sich unter anderem daran, dass das Geld nur noch für anerkannte Flüchtlinge fließen soll und nicht für Asylbewerber. Wie lange so ein Asylverfahren dauert, hängt aber am Bundesamt für Migration und Flüchtlinge(Bamf) - einer Bundesbehörde. Und viele Migranten bleiben trotz abgelehntem Asylantrag noch lange im Land und verursachen Kosten. «Die Länder haben keinen direkten Einfluss darauf, die Verfahren zu beschleunigen», sagt der Hamburger Senatssprecher Marcel Schweitzer. Die Länder laufen Sturm gegen seine Pläne, auch die Städte und Gemeinden begehren auf - von Bremen bis Baden-Württemberg.
EPPINGEN, BADEN-WÜRTTEMBERG
«Die Kommunen sind die Orte der Wahrheit, weil hier die Menschen aufschlagen», findet Klaus Holaschke. Er ist seit 15 Jahren Oberbürgermeister der Gemeinde mit dem Motto «Fachwerk mit Pfiff» nördlich von Stuttgart, direkt an der Grenze zwischen Baden und Württemberg. Klar, es kämen nicht mehr so viele Flüchtlinge wie 2015, räumt er ein. Aber viele Asylbewerber, die bereits hier sind, würden erstmal bleiben - auch wenn ihr Antrag abgelehnt wurde. Holaschke erzählt, dass erst am Dienstag ein geduldeter Nigerianer ins Rathaus spaziert sei und einen Antrag auf Familienzusammenführung für seine Frau und vier Kinder gestellt habe.
Nach zwei Jahren der vorläufigen Unterbringung sind im Südwesten die Gemeinden für die Anschlussunterbringung zuständig. «Jetzt kommen die Menschen zu uns», sagt Holaschke. Bereits jetzt könne Eppingen Dutzende Flüchtlingenicht unterbringen. Aber es geht Holaschke nicht nur ums Wohnen. Er sorgt sich auch um seine Integrationsmanagerin.
Martina Xander steht im örtlichen Jugendzentrum, hinter ihr sitzen Frauen an einem langen Tisch und murmeln Sätze wie: «Keinen Kaffee, bitte» oder «Haben Sie auch einen Hund?» Deutschkurs für geflüchtete Frauen, Anfängerniveau. Martina Xander kennt viele der Frauen. Die 53-Jährige arbeitet seit 2019 als Integrationsmanagerin in Eppingen. Die ausgebildete Krankenschwester kümmert sich um Lebensläufe, Arztbesuche, schwer verständliche Behördenpost.
Rund 1250 solcher Integrationsmanager sind in Baden-Württemberg im Einsatz, um Flüchtlingen vor Ort zu helfen. Xanders Job steht nun auf der Kippe. Ihre Stelle ist auf zwei Jahre befristet. Wenn ihr Vertrag nicht verlängert wird, will sie wieder als Krankenschwester arbeiten, sagt sie. Der baden-württembergische Sozialminister Manne Lucha (Grüne) hält die Kürzungspläne von Scholz deshalb für ein «fatales Signal». «Integration hört nicht auf, wenn Geflüchtete die Erstaufnahmeeinrichtungen verlassen - im Gegenteil, sie fängt dann erst richtig an und dauert über Jahre hinweg.»
Im baden-württembergischen Landeshaushalt sind knapp eine Milliarde Euro für 2019 für Flüchtlings- und Integrationsausgaben vorgesehen - mit stark rückläufiger Tendenz. Gleichzeitig würde die Integration an Bedeutung gewinnen, heißt es in der mittelfristigen Finanzplanung. Eppingen erhielt vom Land allein 2017 und 2018 knapp 300 000 Euro an Pauschalen für die Anschlussunterbringung und 200 000 Euro für das Integrationsmanagement für zwei Jahre.
«Was vom Bund nicht kommt, kann vom Land nicht weitergegeben werden», sagt Klaus Holaschke. Er hofft auf weitere Verhandlungen in Berlin. «Ich bin sicher, dass Scholz damit nicht durchkommt.» Integration sei eine gesamtgesellschaftliche Daueraufgabe, sagt er. Auch ein reiches Bundesland wie Baden-Württemberg könne das nicht allein bewerkstelligen.
BREMEN
Wenn schon ein reiches Bundesland wie Baden-Württemberg die Kürzungen der Flüchtlingsmittel fürchtet, wie sieht es dann in einem armen Land wie Bremen aus? Die Freie Hansestadt sitzt auf 20 Milliarden Euro Schulden. Ihr Haushalt gilt als notleidend und ist jahrelang unter strenger Aufsicht des Bundes saniert worden. Erst 2020 zeichnet sich etwas finanzieller Spielraum ab.
Wie überall sind die Zahlen neuer Asylbewerber in Bremen gesunken. Nach dem Höchststand von 10 274 Geflüchteten 2015 waren es 2018 noch 1358 Neuankömmlinge. 2018 wurden statt geplanter 212 Millionen Euro für Flüchtlinge nur 164 Millionen Euro ausgegeben. Allerdings sind besonders viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge an die Weser gekommen. Bremen erfülle seine Aufnahmequote allein schon durch die Härtefälle unter diesen Jugendlichen, sagt ein Sprecher von Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne).
Die rückläufigen Zahlen änderten nichts daran, dass immer noch viele Flüchtlinge versorgt und integriert werden müssten, sagte Stahmann: «Integration ist ein Marathon. Er ist nicht beendet, wenn die Flüchtlinge aus den Schlagzeilen verschwunden sind.» Eine Kürzung stelle die Weichen falsch. «Wer am Anfang nicht massiv investiert, darf sich am Ende über die Folgekosten nicht wundern.»
Mit besonderen Sorgen sehen Nichtregierungsorganisationen in der Flüchtlingshilfe mögliche Kürzungen. Refugio in Bremen beispielsweise bietet psychotherapeutische Behandlungen für Flüchtlinge und Folteropfer. Das ist wichtig, doch im Asylbewerberleistungsgesetz so nicht vorgesehen. «Wir haben etwa 450 Ratsuchende im Jahr, und wir haben in den vergangenen Jahren keinen Rückgang wahrgenommen», sagt Refugio-Sprecher Marc Millies. Refugio finanziert sich neben Spenden und eigenen Einnahmen auch zu 18 Prozent aus Mitteln des Bremer Senats. Wenn der Bund weniger Geld gibt, könnten solche Zuwendungen auf der Kippe stehen. «Da würde an Erstversorgung und Prävention am falschen Ende gespart», kritisiert Millies.
Der Verein Fluchtraum baut in Bremen seit 2017 mit staatlichem Geld ein Beratungs- und Betreuungszentrum für junge Flüchtlinge auf. Es richtet sich an die jungen Männer und Frauen, die mit 18 Jahren die Jugendhilfeeinrichtungen verlassen müssen. «Sie sind noch nicht so weit, dass sie sich zurechtfinden können», sagt Claudia Schmitt, Vereinsvorsitzende und im Hauptberuf Lehrerin für Flüchtlingsklassen. Für die Ehrenamtlichen sei es ein «Zeichen von Wertschätzung», wenn ihre Arbeit unterstützt werde - und sei es mit einem kleinen Betrag. «Ich fürchte, dass diese Arbeit Gefahr läuft, nicht weiter gefördert zu werden.»
Bis zum Sommer sollen die Verhandlungen über den Bundeshaushalt eigentlich abgeräumt sein. Den Ministerpräsidenten dürften noch anstrengende Gespräche mit Scholz bevorstehen. Dass sie so viel Gelder für Flüchtlinge erhalten wie bisher, gilt als sehr unwahrscheinlich.