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Experte warnt: Ende der Stahl-Industrie hätte dramatische Folgen für Deutschland

Lesezeit: 3 min
10.07.2019 17:03
Die deutsche Stahlindustrie macht schwere Zeiten durch. Die Produktion geht deutlich zurück.
Experte warnt: Ende der Stahl-Industrie hätte dramatische Folgen für Deutschland
Stahlabstich im Duisburger HKM-Werk. Die deutsche Stahlindustrie kämpft mit Schwierigkeiten. (Foto: dpa)

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Schwierige Zeiten für die deutsche Stahlindustrie: In den ersten fünf Monaten dieses Jahres sank die Produktion im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 4,9 Prozent, wie der Branchen-Verband „Wirtschaftsvereinigung Stahl“ mitteilte. Die DWN sprachen mit dem Rohstoff-Experten der „IKB Deutsche Industriebank“, dem promovierten Volkswirt Heinz-Jürgen Büchner, über die gegenwärtige Situation und die Aussichten der Stahlindustrie.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Die Stahlproduktion in Deutschland war im ersten Halbjahr stark rückläufig. Was waren die Gründe?

Heinz-Jürgen Büchner: Zunächst einmal gab es eine Reihe von Sonderfaktoren. So wurde unter anderem eine Produktionslinie der ´Badischen Stahlwerke´ in Kehl modernisiert und stand deshalb still. Der Hauptgrund war aber die gesunkene Nachfrage, und zwar sowohl von Seiten der Automobil- als auch der Maschinenbau-Industrie.

Im zweiten Halbjahr wird die Produktion voraussichtlich wieder anziehen, weil eine Reihe der Sonderfaktoren wegfallen werden und die Nachfrage wieder steigen dürfte. Das heißt, insgesamt wird die Branche dieses Jahr wohl ein schwächeres Ergebnis erzielen als 2018. Aber der Gesamt-Rückgang wird geringer ausfallen als der Rückgang in den ersten fünf Monaten.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Löhne und Produktionskosten in Deutschland sind hoch. Wie kann sich die deutsche Stahlindustrie angesichts der Konkurrenz aus Ländern wie China, Indien oder der Ukraine international behaupten?

Heinz-Jürgen Büchner: Indem sie auf hochwertige Produkte setzt. Bestes Beispiel waren die Strafzölle, welche die Trump-Regierung letztes Jahr auf EU-Stahl verhängte. Zwar gingen die Lieferungen in die USA etwas zurück, aber nur in geringem Ausmaß. Der Grund war, dass die Amerikaner auf die Importe aus Deutschland angewiesen sind - eine Reihe von Stahlsorten, die sie dringend benötigen, können sie selbst nicht in ausreichendem Umfang produzieren.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Ein Abgesang auf die deutsche Stahlindustrie einzuläuten, kommt also zu früh?

Heinz-Jürgen Büchner: Auf jeden Fall. Zwar gibt es bestimmte Bereiche, in denen statt Stahl heute Kunststoff oder Aluminium verwendet werden. Aber ein Material, das Stahl durchgehend ersetzen kann, existiert gegenwärtig nicht. Zwar verliert konventioneller Stahl an Bedeutung, aber an seine Stelle treten höherwertigere Stahlsorten, beispielsweise hochfester, rostfreier oder kaltgewalzter Stahl.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Es wird in Deutschland also auch in Zukunft Stahlarbeiter geben?

Heinz-Jürgen Büchner: Ja, das wird es. Allerdings wird sich ihre Zahl voraussichtlich verringern. Grund ist der technische Fortschritt - es werden neue, verbesserte Produktionsmethoden entwickelt, die es ermöglichen, mit weniger Personal mehr Stahl zu fertigen.

In diesem Zusammenhang ist ein Blick in die USA interessant. Nach Einführung der Strafzölle auf importierten Stahl im letzten Jahr steigerten die amerikanischen Werke ihre Produktion um sechs Prozent. Das führte aber - anders als Trump immer behauptet - nicht zu mehr Arbeitsplätzen. Die Erhöhung des Outputs wurde durch technische Neuerungen erreicht, mehr Mitarbeiter bedurfte es nicht.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche Bedeutung hat die Stahl-Industrie für Deutschland?

Heinz-Jürgen Büchner: Sie spielt für die heimische Wirtschaft eine wesentliche Rolle - ich halte es nicht für übertrieben, sie als system-relevant zu bezeichnen. Sehr viele Innovationen zum Beispiel der Auto-Industrie und des Maschinenbaus sind in Zusammenarbeit mit der Stahl-Industrie entstanden.

Lassen Sie mich das bildhaft ausdrücken: Wenn Sie aus einem Biotop eine einzige Pflanze herausnehmen, kann das zum Austrocknen des gesamten Biotops führen. So ist das auch mit der Stahl-Industrie: Sie ist ein unverzichtbarer Teil unseres Wirtschafts-Systems. Deshalb warne ich ausdrücklich davor, der Stahlproduktion in Deutschland ein Ende zu setzen. Das hätte ungute Folgewirkungen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Aber was ist mit der Umwelt? Wäre es nicht besser, zu ihrem Schutz auf die heimische Produktion zu verzichten und den benötigten Stahl aus dem Ausland zu importieren?

Heinz-Jürgen Büchner: Nein, das wäre in keiner Weise besser. In anderen Ländern verursacht die Produktion viel mehr Emissionen als in Deutschland, ist somit um einiges umweltschädlicher. Und ich spreche nicht nur von Ländern wie China und Indien, ich spreche auch von Ländern wie den USA. Die Stahlproduktion in Deutschland beenden zu wollen, um die weltweite Umwelt zu schützen - das ist, freundlich ausgedrückt, blauäugig.

 

Zahlen und Fakten: 

Die deutsche Stahlindustrie beschäftigt an bundesweit 23 Produktions-Standorten rund 85.000 Mitarbeiter und erzielt einen Jahresumsatz von circa 44,1 Milliarden Euro. Die wichtigsten Abnehmer sind folgende Industrien: Bau (35 Prozent), Automobil (26 Prozent), Metallwaren (12 Prozent), Maschinenbau (11 Prozent).


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