Politik

„Politiker drängen Menschen dazu, in die Stadt zu ziehen“

Lesezeit: 3 min
22.07.2019 15:09
Der Immobilien-Experte Harald Blumenauer geht mit der deutschen Wohnungspolitik hart ins Gericht. Wie die Verantwortlichen unrealistische Erwartungen wecken und warum sie die Landbevölkerung mit der Aussicht auf einen mondänen Lebensstil zum Umzug in die Stadt drängen, erläutert der Makler im großen DWN-Interview - wo er auch Anregungen gibt, wie die Politik es besser machen könnte.
„Politiker drängen Menschen dazu, in die Stadt zu ziehen“
Demonstranten versuchen, im Berliner Szene-Viertel Neukölln die Räumung eines Gebäudes zu verhindern. (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Sie stellen der Politik beim Thema ´Mieten und Wohnen´ ein äußerst schlechtes Zeugnis aus. Warum?

Harald Blumenauer: Weil die Politik den Menschen einredet, dass ein moderner, zeitgemäßer Lebensstil nur noch in der Stadt möglich ist. Dass man in einem urbanen Umfeld wohnen muss, um in punkto Freizeitgestaltung und Kulturerleben auf der Höhe der Zeit zu sein.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Warum tun Politiker das - warum singen sie das Hohelied des urbanen Lebens?

Harald Blumenauer: Politiker haben in der Regel studiert, und Universitäten sind nun mal in größeren Städten zu finden. Darüber hinaus sind die Bundesregierung und fast alle Landesregierungen in größeren Städten angesiedelt. Das heißt, Politiker neigen dazu, ihre eigenen Vorlieben und Lebensverhältnisse auf die Gesamtbevölkerung zu projizieren. Von Seiten der Medien werden sie übrigens häufig unterstützt. Journalisten gehören ja in der Regel auch eher zum Typ Mensch, der das Leben in der Stadt dem Landleben vorzieht.

Dazu kommt, dass Landbewohner im Durchschnitt konservativer sind als die Stadtbevölkerung:  Das bedeutet, dass Politiker, die nicht zum konservativen Spektrum gehören, durchaus ein Interesse daran haben, dass möglichst viele Menschen in die Stadt ziehen. Das ist vielleicht nur ein Nebenaspekt - aber einer, den man nicht völlig außer Acht lassen sollte.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Aber der Drang in die Städte wird doch nicht nur von der Politik und den Medien ausgelöst. Immer mehr Menschen, vor allem junge, zieht es in die Städte - sie wollen eben nicht in Ostfriesland oder im Bayerischen Wald, sondern in Berlin oder München leben.

Harald Blumenauer: Das stimmt wohl - das ist ja auch zu akzeptieren. Aber den Menschen wird von der Politik eingeredet, sie hätten einen absoluten Anspruch auf günstigen Wohnraum. Die Politik schürt Erwartungen, die in vielerlei Hinsicht völlig unrealistisch und nicht erfüllbar sind.

Ich will mal ein konkretes Beispiel geben: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat kürzlich günstigeren städtischen Wohnraum angemahnt. Er sprach von Großstadt-Mietpreisen in Höhe von sechs Euro pro Quadratmeter. Das ist natürlich eine sehr soziale Forderung - aber sie geht völlig an der Realität vorbei. Tatsache ist, dass Sie in der Großstadt für nicht viel weniger als 4.500 Euro pro Quadratmeter bauen können, einschließlich der Grundstückskosten. Selbst wenn Sie ein sehr ökonomisches Gebäude errichten, beispielsweise mit kleinen Fluren, die wenig Platz in Anspruch nehmen, werden Sie kaum weniger als zwölf Euro Miete pro Quadratmeter nehmen können.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Was also sollte die Politik in Ihren Augen machen?

Harald Blumenauer: Sie muss ehrlich sein und den Menschen reinen Wein einschenken - so wie derzeit agiert, schafft sie dagegen ein riesiges Konfliktpotential. Wichtig ist natürlich auch, Auswüchsen des Marktes - wie sie es derzeit in den besonders beliebten Ballungsräumen ohne Zweifel gibt - entgegenzutreten. Damit Forderungen nach Enteignungen, so wie sie derzeit in Berlin erhoben werden, gar nicht erst aufkommen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Was halten Sie vom sozialen Wohnungsbau?

Harald Blumenauer: Es kommt darauf an, wie er organisiert ist. Ich halte wenig davon, dass der Staat als Bauherr auftritt. Man muss sich nur vor Augen halten, wie das in Berlin - Stichwort ´ewige Baustelle´ Flughafen Berlin-Brandenburg - und in Baden-Württemberg - Stichwort ´Stuttgart 21´ - geklappt hat, nämlich überhaupt nicht.

Eine Möglichkeit wäre, dass die öffentliche Hand staatliche städtische Grundstücke günstig an private Investoren verkauft. Und zwar mit der Auflage, auf ihnen bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Ich glaube, dass damit allen gedient wäre. Und ich habe eine sogar eine Idee, was der Staat mit den Erlösen machen sollte.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wir sind gespannt.

Harald Blumenauer: Sie sollten in den Öffentlichen Nahverkehr im ländlichen Raum investiert werden. Überhaupt muss die Infrastruktur auf dem Lande erheblich verbessert werden, damit es wieder attraktiver wird, dort zu leben. Geschieht das, wird der Drang, unbedingt und unter allen Umständen in der Stadt leben zu müssen, schwächer werden.

Derzeit steht die Bekämpfung des Klimawandels im öffentlichen Fokus. Die Politik sähe es gerne, wenn die Menschen auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen würden, anstatt das Auto zu benutzen. Die junge Generation ist auch in steigendem Maße dazu bereit - nur muss dann das entsprechende ÖPNV-Angebot zur Verfügung stehen. Das Gleiche gilt für eine schnelle Internet-Verbindung.

Wenn wieder mehr Menschen auf dem Lande wohnen, steigt die Nachfrage, dann wird es auch für Ärzte und Ladeninhaber wieder attraktiver, sich dort niederzulassen. Es entsteht ein Kreislauf - der sowohl den Landbewohnern als auch den Gewerbetreibenden zugutekommt.

***

Harald Blumenauer ist Geschäftsführer der „Blumenauer Consulting GmbH“ in Bad Soden (bei Frankfurt). Er ist seit genau 50 Jahren im Immobilien-Geschäft tätig und hält unter anderem ein Mandat bei „ImmobilienScout24“ in Berlin.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Kostenloses Experten-Webinar: Die Zukunft der personalisierten Medizin aus der Cloud - und wie Sie davon profitieren

Eine individuelle Behandlung für jeden einzelnen Menschen - dieser Traum könnte nun Wirklichkeit werden. Bei der personalisierten Medizin...

DWN
Politik
Politik Deutsch-australische Rüstungskooperation: Mehr als Boote und Panzer?
05.05.2024

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock befürwortet eine engere Rüstungskooperation zwischen Deutschland und Australien, da sie betont,...

DWN
Immobilien
Immobilien Die Grunderwerbssteuer: Was Sie unbedingt wissen sollten!
05.05.2024

Jeder, der in Deutschland ein Grundstück erwerben will, zahlt darauf Steuern. Vorne mit dabei: Die Grund- und Grunderwerbssteuer. Doch was...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Eli Lilly, Merck und Biontech: Deutschland behauptet sich als Pharma-Standort
05.05.2024

Mehr als 250.000 Beschäftigte sind in Deutschland allein in der Pharma-Industrie beschäftigt. Dass die Branche auch in naher Zukunft...

DWN
Finanzen
Finanzen Dispozinsen: Wie sie funktionieren und wie man sie vermeidet
05.05.2024

Dispozinsen können eine teure Überraschung für Bankkunden sein, die ihr Konto überziehen. Dieser Artikel erklärt, wie Dispozinsen...

DWN
Technologie
Technologie EU-China-Beziehung: Droht ein Handelskrieg um Elektroautos?
05.05.2024

Vor Xi Jinpings Besuch in Paris bekräftigt Deutschland seine Haltung im EU-China-Streit um E-Autos. Doch wie wird die EU reagieren?

DWN
Unternehmen
Unternehmen Europameisterschaft 2024 am Arbeitsplatz streamen: Wie weit geht Arbeitgeber-Toleranz?
05.05.2024

Die Spiele der Europameisterschaft 2024 finden zu Zeiten statt, die nicht ideal für Arbeitnehmer sind. Einige Spiele starten bereits um 15...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Handwerksbetriebe in Not: Geschäftslage trübt sich ein
05.05.2024

Die aktuelle Lage im Handwerk bleibt düster, mit einer spürbaren Verschlechterung der Geschäftslage im ersten Quartal 2024 aufgrund...

DWN
Politik
Politik DWN-Kommentar: Eine Welt ohne Europa?
04.05.2024

Der Krieg in der Ukraine und die Spannungen im Nahen Osten gefährden die Zukunftsfähigkeit der EU. Nun steht sie an einem Scheideweg:...